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Kultur: Alles für Afrika

Louis Jensen beschreibt einen dänischen Robin Hood unserer Tage.

Herr Olsen wundert sich, warum der Erzähler nur noch jeden zweiten Tag zur Schule kommt. Dabei handelt dieser aus seiner Sicht nur konsequent, wenn er das ernst nimmt, was Herr Olsen im Unterricht verkündet hat. Er hatte Broschüren über Afrika verteilt, über hungernde Kinder mit großen Köpfen und Fliegen an der Nase. „Für 33 Cent kann man einem Kind Essen für einen ganzen Tag kaufen, für morgens, mittags und abends. Für 33 Cent kann man ein unterernährtes Kind vorm Verhungern retten.“ Das hat der 14jährige Erzähler im Unterricht bei Herrn Olsen irgendwo in Dänemark gelernt – und es lässt ihn nicht mehr los. Dass jeden Tag, jede Stunde Kinder in Afrika sterben, beschäftigt den Erzähler - und er entwickelt einen Plan.

Ein radikales Buch hat Louis Jensen mit „33 Cent – um ein Leben zu retten“ vorgelegt. 33 Cent ist der eurokompatible Titel des Originals, das 2010 unter dem Titel „Zwei Kronen und 25 Öre“ erschienen ist und für Aufsehen gesorgt hat. Doch mit dänischen Kronen kennen wir uns nicht aus, 33 Cent klingt einleuchtender, banaler. Um seinen Plan durchzusetzen, beschließt der Erzähler, nur noch jeden zweiten Tag zur Schule zu gehen, also nicht am Dienstag und nicht am Donnerstag. Bedauerlich aus seiner Perspektive ist nur, dass er Anne an diesen Tagen nicht sehen kann.

Louis Jensen erzählt seinen spannenden Roman in kurzen knappen Sätzen und in ebenso knappen Kapiteln. Es werden nicht viele Worte gemacht, der Erzähler geht nicht mehr regelmäßig in die Schule, er ist aber intelligent genug, um dennoch dem Unterricht zu folgen. An den beiden so genannten freien Tagen meldet er sich als Hilfsarbeiter im Coop, wo sinnigerweise auch Lebensmittel aus Afrika angeliefert werden. Er arbeitet, um Geld zu verdienen, um afrikanischen Kindern das Leben zu retten, 33 Cent pro Kind pro Tag.

Eine verrückte Idee, mag man denken, aber der Erzähler bleibt konsequent. Er nimmt für sein Ziel Nachteile in Kauf, Gespräche mit dem Direktor der Schule, mit der Mutter und seinem Vater, dem Richter. Sie wundern sich über seine Arbeitswut, wo er doch so ein schönes Taschengeld bekommt. „Ich brauche mehr. Je mehr Geld ich verdiene, umso mehr kann ich vorm Sterben retten.“

Sei Vater ahnt zunächst nichts von den Plänen seines Sohnes, aber er rät ihm, das Richtige zu tun. „Ich will immer das Richtige tun! Und darüber denke ich jeden Tag nach: Was ist das Richtige? Ist das Richtige gerecht?“

Konsequent entwickelt Jensen seine Geschichte des dänischen Robin Hood in kurzen, spröden Sätzen. Man staunt über die Toleranz und Großzügigkeit, die dem Schulschwänzer entgegengebracht wird, man versucht, mit ihm zu diskutieren, aber es bestärkt ihn nur. Was ist kriminell? Ist es kriminell, per Online-Banking das Konto des Vaters zu knacken und Geld für Afrika zu überweisen? Ist es kriminell, im Kaufhaus zu stehlen und die Sachen zu verkaufen? „Ist es auch kriminell, dass Kinder verhungern?“

Jensen stellt Fragen in einer Radikalität, die verblüfft. Sein Rigorismus erinnert an die Romane von Janne Teller, die in „Nichts“ auch bis an die Grenzen des Erträglichen gegangen ist. Louis Jensen zwingt angesichts der eskalierenden Situation zur Auseinandersetzung mit Fragen von Gerechtigkeit, Leben und Tod und Überfluss. Was wäre, wenn? Was wäre, wenn alle so handeln würden wie der Erzähler? Wie weit darf Idealismus gehen? Kann das auch schief gehen? Zweifel an der Legitimität des Handelns kommen beim Erzähler auf, aber die Aktion ist nicht mehr zu stoppen.

Dass er einen Kühlwagen voller Lebensmittel stiehlt und gen Marokko mit Anne fährt, erscheint unwahrscheinlich, ist aber konsequent gedacht. Das Ende soll nicht verraten werden. Louis Jensen hat für seine Frage keine perfekte Lösung parat, aber sein faszinierender Roman zwingt zum Nachdenken, zum Innehalten und trifft den Nerv des Gerechtigkeitsgefühls junger Menschen.

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