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Kultur: Alles ist am Fluss

Wie zwei Kulturmanager eine Industrieruine zum heißen Kunstzentrum machen. Morgen eröffnet das Radialsystem

Von Sandra Luzina

Folkert Uhde steht im Kreis seiner Techniker und genehmigt sich ein Bier. Der Kulturmanager ist einer der Initiatoren dieses „new space for the arts“, wie der Gebäudekomplex am Spreeufer von seinen Gründern ambitioniert definiert wird. Die Männer sehen erschöpft aus, betrachten ihr Werk mit stolzem Wenn- alles-getan-ist-Blick. In drei Tagen wird eröffnet nach eineinhalbjähriger Umbauphase. Die Handwerker haben zuletzt Sonderschichten eingelegt und kleinere Krisen durchgemacht. Doch an Berlins derzeit attraktivster Kulturbaustelle läuft alles nach Plan. Als Letztes wurden die Böden in den beiden großen Sälen verlegt – mit feinsten Hölzern aus Oregon Pine. Es riecht noch nach Lack. Uhde wirft noch einmal einen andächtigen Blick in die leere, imposante Halle. Am Wochenende wird aus der Idee ein Ereignis. Denn wie ein Lauffeuer hat sich die Nachricht verbreitet, dass in Berlin ein neues Haus für die Künste eröffnet, das seinesgleichen sucht.

„Wir sind froh, dass es jetzt endlich losgeht“, sagt Jochen Sandig. Er und Folkert Uhde, beide verfügen über einen guten Namen und beste Verbindungen weltweit, haben das prestigeträchtige Projekt gestemmt. Uhde als Teilhaber einer Konzertagentur sowie Manager und Dramaturg der Akademie für Alte Musik; Sandig war Mitbegründer des Tacheles und der Sophiensäle und managt die Tanzcompagnie seiner Lebensgefährtin Sasha Waltz. Die beiden suchten dringend nach einem Domizil für ihre Ensembles, als der Architekt Gerhard Spangenberg auf sie zutrat. Mit der Telamon Vermögensverwaltung OHG aus Bochum hatte der einen privaten Investor gewonnen, der bereit war, den zehn Millionen Euro teuren Umbau des denkmalgeschützten ehemaligen Pumpwerks zu finanzieren. „Mein erster Impuls war: Das ist der perfekte Raum für die vielen angestauten Ideen“, so Sandig.

Uhde und Sandig haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder an der Unbeweglichkeit des Kunstbetriebs gestoßen. Sie träumen von einem Ort, den es so noch nicht gibt: Einerseits soll er den Anforderungen der frei produzierenden, perfekt vernetzten und international agierenden Künstler entsprechen, andererseits ein aufgeschlossenes Publikum anziehen, das nicht so sehr auf soziale Distinktion Wert legt. Im Radialsystem, wie das Pumpwerk schon früher hieß, haben sie ihn gefunden. Das Kunstzentrum an der Schnittstelle Mitte und Kreuzberg-Friedrichshain profitiert von seiner Lage. Die Nachbarschaft: eine der lebhaftesten Partyzonen Berlins. Der Regierende Bürgermeister setzte sich persönlich für das Radialsystem ein. 1,2 Millionen Euro Lottomittel flossen an die Radial-Stiftung, die für die künstlerische Qualität des Programms verantwortlich ist. Klaus Wowereit hat ein neues Vorzeigeprojekt.

„Das Radialsystem ist Katalysator, Verstärker und Transformator“, erklärt Sandig. Es ist zugleich Aufführungs- und Produktionsort – und soll damit auch die Lücke schließen zwischen Hochkultur und Clubszene. Tanz, Oper und Konzerte im Liegen, Modeschauen, Kongresse und literarische Happenings: All das und noch viel mehr soll im Radialsystem stattfinden. Neben den beiden multifunktionellen Veranstaltungsräumen, der 600 Quadratmeter großen Halle und dem Saal (400 Quadratmeter) verfügt es über drei Probenräume mit herrlichem Spreeblick. Sandig und Uhde können sich immer aufs Neue an den Details begeistern: dem Glaskubus oder dem überdachten Sonnendeck. Voller Stolz führen sie durch die lichtdurchflutete Künstleretage. Nach Sandig „eines der schönsten Künstlerfoyers weltweit“.

Chefbüros gibt es keine. In diesem Haus, in dem alles auf Mobilität und Flexibilität abzielt, müssen auch die Chefs mobil sein. Sandig und Uhde verkörpern eine neue Form von Unternehmertum. „Wir rechnen nicht damit, Subventionen zu erhalten“, erklärt Sandig. Das Geld für Miete, Betriebskosten und den kleinen Mitarbeiterstab müssen sie selbst erwirtschaften – vor allem durch lukrative Vermietung und Einnahmen aus der Gastronomie. „Wie wir den Ort künstlerisch positionieren, als Ort von Kommunikation und Kreativität, das macht ihn attraktiv für Events“, weiß Uhde. Schon jetzt wird ihm ein hoher Bohème-Faktor attestiert.

Ob der Spagat zwischen Kunst und Kapital gelingt, bleibt abzuwarten. Die Liste der Künstler und kooperierenden Institutionen liest sich jedenfalls imposant. Und dass im Radialsystem neue Allianzen zwischen den Künsten geschmiedet werden, davon sind zumindest die leidenschaftlichen Netzwerker schon überzeugt. Der künstlerische Dialog findet statt. Sasha Waltz probt für ihr neues Stück „Radiale Systeme“, das am 14. September hier uraufgeführt wird. 22 Tänzer und 32 Musiker aus drei Ensembles treffen aufeinander, um das vibrierende Energiefeld des Hauses zu erkunden. Von dessen Strahlkraft kann man sich schon dieser Tage überzeugen. Am besten, man nähert sich ihm über die Schillingbrücke, nachts, wenn alle Lichter eingeschaltet sind und der gläserne Quader wie ein Raumschiff aussieht, das gerade gelandet ist.

Eröffnung morgen ab 21 Uhr, Sonntag finden von 12 bis 20 Uhr künstlerische Aktionen drinnen und draußen statt.

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