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Kultur: Alles ist im Fluß, nirgends die geringste Spur von Verfestigung

Kurz nach Mitternacht fand der gut besuchte Mozart-Marathon im Kammermusiksaal der Philharmonie sein umjubeltes Ende: neun Quintette und eine Transkription, sechs Stunden Musik, von vier verschiedenen Ensembles in ebenso vielen Konzerten konzentriert an einem Wochenende dargeboten - so etwas kann nur ein Festival leisten.Fast das ganze Quintett-Schaffen des Meisters rückten die Berliner Festwochen auf engstem Raum ins Blickfeld.

Kurz nach Mitternacht fand der gut besuchte Mozart-Marathon im Kammermusiksaal der Philharmonie sein umjubeltes Ende: neun Quintette und eine Transkription, sechs Stunden Musik, von vier verschiedenen Ensembles in ebenso vielen Konzerten konzentriert an einem Wochenende dargeboten - so etwas kann nur ein Festival leisten.Fast das ganze Quintett-Schaffen des Meisters rückten die Berliner Festwochen auf engstem Raum ins Blickfeld.Nur der Beitrag für Glasharmonika, Bläser und Streicher, der seine Entstehung der kurzlebigen, spiritistisch inspirierten Begeisterung für die blinde Virtuosin Marianne Kirchgessner verdankt, und die vielen Alternativfassungen und abgebrochenen Versuche, die ein Lied singen von den Mühen bei der Verfertigung des Leichten, fehlten.

Was bei dieser Ballung vor allem auffiel, war die Offenheit einer prinzipiell solitären Gattung, die vieles in sich aufnimmt, nie aber die einheitliche, klassische Form verbindlich definiert.Fünf Spieler, das ist einer zuviel fürs streng komponierte Quartett.Immer wieder neu entscheidet sich die Frage, ob sich der Satz am Solokonzert mit begleitendem Tutti, am dialogischen Konzertieren zweier hervortretender Stimmen, am concerto grosso-Prinzip mit rivalisierenden Instrumentengruppen orientiert, selbst retrospektiv den längst abgetanen Generalbaß wieder zu Ehren bringt oder umgekehrt progressiv so tut, als habe man es stellenweise mit dem "vernünftigen Gespräch vier gleichberechtigter Leute", einem verkappten Streichquartett also zu tun.Alles ist im Fluß, nirgends die geringste Spur von Schablone oder Verfestigung.Die Lust an Spiel und Experiment, Abwechslung und Farbigkeit regiert mit lockerer Hand eine überbordende Fülle melodisch-rhythmischer Eingebungen, instrumentaler Gruppierungen und Besetzungsvarianten.Noch in den Spätwerken ist der Geist der unterhaltenden Serenaden und Divertimenti in der paradoxen Einheit von sublimer Zerstreuung und Konzentration zu spüren.Würde man es nicht nacheinander vorgeführt bekommen, man würde es nicht glauben, was dieser eine Name "Quintett" alles in sich faßt.

Als besonders anregend erwies sich der Umstand, daß der Zyklus mit den vier jeweils eigenständig profilierten Ensembles so etwas wie ein Panorama möglicher Mozart-Interpretationen aufrollte.Das noch verhältnismäßig junge Berliner Vogler-Quartett, um Rainer Kussmaul am zweiten Bratschen-Pult erweitert, pflegte einen zeitlos-eleganten, kraftvollen und polierten Ton, der die großen verbindenden Spannungsbögen weiträumig ausschwingen ließ und den allgemeinen Ausdrucksgestus, gelegentlich auf Kosten präziser Artikulation, in den Mittelpunkt stellte.Mit besonderem Sinn für die lyrische Aura und die dunkleren Farben Mozarts, fand die romantische Tönung seines Ansatzes im agogisch wie dynamisch betont subjektivistisch-einfühlend gestalteten Adagio des D-Dur-Quintetts KV 593, das einer inneren Empfindungszeit eher als einer objektiven Zählzeit zu gehorchen schien, seine reinste Ausprägung.

In großen Bögen und Strichen phrasierte auch das Guarneri-Quartett.Dreißig Jahre, ein Menschenalter ist das amerikanische Ensemble in dieser Besetzung eingespielt.Ein Hauch Historie gab dem konservativen Phrasierungs-Konzept einen schwer definierbaren, aber desto suggestiveren Reiz.Innerhalb dieses Rahmens allerdings - in den die Bratscherin Kim Kashkashian am zweiten Pult sich nur schwer hineinfinden konnte - geboten die vier Herren, die mit geradezu draufgängerischem Feuer auf Risiko spielten und dabei kleine Intonationstrübungen in Kauf nahmen, über einen Ton von so unvergleichlichem Reichtum an scharfgeschnittenen Artikulationsnuancen, bewiesen einen so untrüglichen Sinn für natürliche Anmut und Schönheit ohne alle Biederkeit, die ihren unverwechselbaren Zugang in den Rang des Besonderen erhoben.Nur von historischen Aufnahmen ganz großer Interpreten der Vergangenheit erinnert man sich so unaufwendiger und doch erfühlter Verzierungen wie derjenigen des Primarius Arnold Steinhardt, der die simplen Doppelschläge in KV 515 zu Miniaturwelten ausweitete.

Mit Thomas Zehetmair und seinem um den Bratscher Alexander Besa erweiterten Quartett kamen junge hochprofessionelle Künstler zum Zuge, die ganz im Stile Nikolaus Harnoncourts die großen Spannungsbögen in zahlreiche kleine Sinneinheiten unterteilten und mittels einer Welt von feinsten Schattierungen der Artikulation in dialektischen Einheiten von Bild und Gegenbild, Ruf und Echo, Original und Spiegelung aufeinander bezogen.Zu ihnen trat mit Marie Luise Neunecker im Hornquintett KV 407 dann eine Hornistin, die den flinken Streicherfiguren auf ihrem viel schwerfälligeren Instrument fast nicht nachstand.Eine unglaubliche Leistung, zu der sich schließlich auch diejenige Karl Leisters in dem vom Ensemble Wien-Berlin interpretierten Klarinetten-Quintett KV 581 gesellte.

BORIS KEHRMANN

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