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Kultur: Alles Unrecht unter der Sonne Kent Nagano als Oster-Gast beim DSO

Es gibt Konzertprogramme, die sehen auf dem Papier richtig gut aus. Die Kombination aus Bruckners neunter Symphonie mit Bernd Alois Zimmermanns Ekklesiastischer Aktion für zwei Sprecher, Bass- Solo und Orchester ist ein solches Programm: Zwei Werke, die den Hörer ans Ende des Begreifens führen, weil sie von letzten Dingen handeln und letzte Taten vollbringen.

Es gibt Konzertprogramme, die sehen auf dem Papier richtig gut aus. Die Kombination aus Bruckners neunter Symphonie mit Bernd Alois Zimmermanns Ekklesiastischer Aktion für zwei Sprecher, Bass- Solo und Orchester ist ein solches Programm: Zwei Werke, die den Hörer ans Ende des Begreifens führen, weil sie von letzten Dingen handeln und letzte Taten vollbringen. Bruckner widmete seine unvollendete Neunte „dem lieben Gott“, und Zimmermann nahm sich fünf Tage nach Beendigung seiner Ekklesiastischen Aktion das Leben, am 10. August 1970. Zwei Werke wie geschaffen für die Osternacht. Die Auferstehung, sagen sie, mag eine Frage des christlichen Glaubens sein – ausgemacht ist sie nicht.

Auf dem Papier, wie gesagt. Am Abend jedoch, in der Philharmonie, mit dem unerhört zerbrechlich wirkenden Kent Nagano am Pult des Deutschen Symphonie- Orchesters, plagt man sich, ist bereits nach der halbstündigen Zimmermann-Aktion osternächtlich mehr als bedient. Hätte man es nur dabei bewenden lassen! Naganos Bruckner nach der Pause jedenfalls bleibt so unentschieden, dass man dem Zimmermann-Erlebnis schwer nachtrauert. Nagano ist bekanntlich kein Verfechter des apotheotischen, katapultischen Bruckner-Spiels. Auch den Gegenbeweis aber bleibt er leider schuldig: Wer ist dieser Bruckner, wenn er sich in seiner „Abschiedssymphonie“ auf schneidendes Blech über körperlosen Tutti reduzieren lässt und auf Übergänge, die partout nichts Transistorisches mehr haben? Ein Renegat, der seine Hörer ins offene Messer laufen lässt? Ein verkappter, bis heute verkannter Modernist?

Bernd Alois Zimmermann wusste sehr genau, wie kritisch es wird und wie existenziell, wenn die Musik nicht nur Fragen stellt, sondern auch Antworten gibt. In seiner Ekklesiastischen Aktion schichten sich Texte aus der Bibel (Prediger Salomo, 4) und aus Dostojewskis „Brüdern Karamasow“ übereinander, und je weniger die beiden Sprecher sich dabei berühren, desto stärker hat man das Gefühl, dass die Musik vor dem Wort kapituliert, ja sich verflüchtigt. Ulrich Matthes (Bibel) und Thomas Thieme (Dostojewski) machen das fabelhaft, zwei Trabanten, die allenfalls in Matthias Goernes balsamischen Bass-Vokalisen noch ein menschliches Echo finden.

Die seriellen Module der Partitur, die im Raum postierten Trompeten, die E-Gitarre, für Zimmermann sind das alles Versatzstücke einer längst versunkenen Bemühung, die da Leben hieß oder Kunst. So ist es auch nur konsequent und überhaupt nicht peinlich, wenn Nagano sich gegen Ende im Schneidersitz auf dem Dirigentenpodium niederlässt, für Minuten das Gesicht in den Hände vergräbt. „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“: Lange müssten wir so dasitzen und unseren Blick nicht wenden. Christine Lemke-Matwey

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