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Kultur: Als Pop noch kein Schimpfwort war

Innenansichten einer männlichen Diva: Ein Film über George Michael erzählt das Drama des begnadeten Selbstdarstellers

In Handschellen abgeführt zu werden, ist nicht angenehm. Für niemanden. Aber besonders unangenehm ist es Popstars, denn sie werden nicht nur dem Richter eine Menge erklären müssen. Man kennt die scheinheiligen Geständnisse eines Mick Jagger, John Lennon oder einer Courtney Love, nachdem sie wegen Drogenbesitzes verhaftet wurden – Ja, ich hab das Zeug genommen … aber nehmt es nicht, denn es ruiniert euer Leben, blablabla. Nur George Michael fühlte sich sofort erleichtert, als ihn Polizisten in einer öffentlichen Toilette von Los Angeles beim Onanieren überraschten. Eine innere Stimme hatte ihm geraten, den Schwulen-Treff zu meiden. Aber etwas, das auch Michael noch Jahre danach nicht genau benennen kann, war stärker. Er tappte in eine Falle: Sirenen, Handschellen, Kameras. Das sei „nicht gerade die beste Art, vom Klo zu kommen“, spöttelte Elton John, doch Michael hielt es für einen Segen: Der Star brauchte niemandem mehr zu erklären, dass er homosexuell war. Und er wusste: „Jetzt muss ich wirklich eine Hit-Single rausbringen.“

Das tat er. „Outside“ wurde 1998 ein durchschlagender Erfolg. Das Video zeigte kopulierende Männer in allen erdenklichen Posen, aus Hubschraubern gefilmt, die es in Autos, auf Hochhausdächern, in Telefonzellen und anderen Halbverstecken miteinander trieben. Er hätte erledigt sein können. Wann hat ein Popstar je seine Karriere wieder in Gang gebracht, nachdem er so tief gefallen war? Für George Michael wurde die Enthüllung ein Triumph. So gehört die Toiletten-Affäre auch nicht zu den negativen Erlebnissen, an die er sich in Southan Morris’ imponierender Dokumentation „A Different Story“ erinnert. Wenn der Film nächste Woche in den Berliner Kinos anläuft (der Bundesstart folgt am 12. Januar), wird vielmehr die Rückkehr eines Pop-Giganten zelebriert, dessen Fehltritt ihn mit sich selbst ins Reine brachte. Das Einzige, was er bis heute nicht verwinden kann, ist, dass sich Amerika von ihm abgewandt hat. Dort nichts zu gelten, gibt dem Popstardom etwas Falsches, Unvollendetes, selbst bei weltweit 85 Millionen verkauften Platten.

In den USA war George Michael lange vorher in Ungnade gefallen. Dabei hatten die Vereinigten Staaten seine Band Wham! zuvor als Quersumme des furios- aufgeföhnten Achtzigerjahre-Pop adoptiert und zur erfolgreichsten Gruppe des Jahrzehnts gemacht. An Michaels Beliebtheit änderte sich auch nichts, als er sich 1986 von seinem Kompagnon Andrew Ridgeley trennte. Da war er 23 Jahre alt. Der pausbäckige Sohn eines griechischen Emigranten, dessen Vater in Nord-London ein Restaurant betrieb, wusste, wie er es anstellen musste. Er habe sich, erklärte er einmal, das große phallische Symbol, die Gitarre, umgehängt, kräftig mit dem Arsch gewackelt, und schon konnte Amerika ihm nicht widerstehen. Von seinem Solodebüt „Faith“ wurden 15 Millionen Exemplare abgesetzt, allein in den USA schafften sechs Songs des Albums den Sprung auf Platz eins der Hitparade.

Doch dann kam der Bruch. Gerade als Michael den Pop-Olymp besteigen und neben Michael Jackson, Madonna und Prince Platz nehmen sollte, weigerte er sich, für sein zweites Album Werbung zu machen oder auch nur in einem Video aufzutauchen – für seine Plattenfirma Sony ein unverzeihlicher Affront. Obwohl es nicht gleich spürbar wurde, gab er mit seinem Rückzug den Anspruch preis, als Künstler für alle Menschen da zu sein. Seine folgenden Hits rangierten immer noch in den obersten Rängen und bestätigten sein unerschöpfliches Talent als Singer/Songwriter für die Massen. Aber er beanspruchte nun eine Sonderrolle, die Amerikaner nur jenen zugestehen, die sie nicht annehmen wollen.

Wie Curt Cobain. Zur gleichen Zeit, als Grunge seinen Durchbruch erlebte, ruinierte Michael seinen Ruf vollends, indem er gegen Sony vor Gericht zog. Er inszenierte sich – wie kurz darauf Prince – als „Sklave“ einer Vertragspolitik, die seine künstlerische Freiheit beschnitt. Obwohl sie ihm gleichzeitig Millionensummen bescherte. Er verlor. Danach weigerte er sich, weitere Platten zu machen. Schließlich konnte er keine machen, weil ihm keine Songs mehr einfielen. Er verkroch sich, betrauerte den Aids-Tod seiner ersten Liebe, eines Brasilianers namens Anselmo, dann den seiner Mutter. Versuchte sich mit Drogen aufzupäppeln. Kaufte sich, um der Verluste Herr zu werden, schließlich einen jungen Labrador-Welpen, der seinen altersschwachen Hund ersetzen sollte. „Und dann ertrank der verdammte Welpe in der Themse. Zwölf Jahre meines Lebens liegen im Dunkeln“, klärte er den „Guardian“ auf. „Irgendwie schaffte ich es, hin und wieder eine Platte zu veröffentlichen, um eine Karriere zu behaupten.“

Sind das nur die neurotischen Ausflüchte eines Sonderlings, der als Popstar eine Fehlbesetzung ist? Schon als Junge war George Michael, wie er seinem Film- Biograf Morris gesteht, sehr scheu und süchtig nach Ruhm. Was in dieser Kombination bei den meisten Menschen dazu führt, dass sie sich Poster ihrer Idole ins Zimmer hängen. Nicht so Georgios Kyriacos Panayiotou. Er erfand den Popstar aus dem Geist der Pose und er verwarf ihn wieder. Er, der sich erst mit über vierzig Jahren attraktiv genug findet, hat aus seinem gespaltenen Verhältnis zur Popularität stets überraschend kluge Schlüsse gezogen. So ließ er sich – um mal wieder nicht selbst zu erscheinen – für die Anti-Blair- Satire „Shoot The Dog“ genau so zeichnen, wie die schlimmsten Schwulenhasser sich einen Schwulen vorstellen. In dieser Zuspitzung nahm er die Diskreditierung schon vorweg, die sich an seiner Person mit der Kritik am Irakkrieg entzünden sollte.

Allerdings hätte die Welt vom Ringen der „männlichen Diva“ (Madonna) beinahe gar nichts erfahren. So drohte als letztes Fiasko auch noch „A Different Story“ zu platzen. Michael kaufte den Machern das Material ab. Seine Geschichte könne von niemandem besser erzählt werden als von ihm selbst, befand er. Umso verwunderlicher ist, dass keine Heiligenlegende entstanden ist. Zwar orientiert sich das Porträt am genreüblichen Spannungsverlauf einer Künstlerexistenz. Darüber hinaus aber erzählt der Film vom Ende einer Ära. George Michael ist der letzte große Selfmademan des Pop. Er sagt: „Pop ist ein schmutziges Wort geworden.“

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