zum Hauptinhalt

Kultur: Als sei alles nicht vorherbestimmt

Im Mai des Jahres 1859, an einem frühen Nachmittag, beginnt Turgenjews Roman "Väter und Söhne", ebenso Brian Friels Theaterstück, nach diesem Roman 1987 entstanden.Stephan Kimmig allerdings tritt in seiner Inszenierung die Reise nach Rußland nicht an.

Im Mai des Jahres 1859, an einem frühen Nachmittag, beginnt Turgenjews Roman "Väter und Söhne", ebenso Brian Friels Theaterstück, nach diesem Roman 1987 entstanden.Stephan Kimmig allerdings tritt in seiner Inszenierung die Reise nach Rußland nicht an.Er verlegt das Geschehen ins Hier und Heute, zieht die Leute an, als kämen sie gerade von der Straße (Kostüme: Anja Rabes).Und schafft für das Spiel doch einen besonderen Raum, eine Laborsituation.Die Bühne (Cary Geisler) ist unwirtlich geräumig, nackt, von dunklen Wänden gerahmt.Ein paar rote Blumen, in den Boden gesteckt, machen die Trostlosigkeit erträglich.Es gibt außer einem Klavier so gut wie keine Möbel.Man behilft sich mit Plastikstühlchen.In dieser großen Zelle finden zeitlose Denkspiele statt, Debatten über die Verlogenheit des Bestehenden, die Notwendigkeit revolutionärer Veränderungen - über Sinn und Nutzen von Kunst und Wissenschaft, über die Vernunft, über die Liebe.Aber nichts Schweres belastet diese Debatten.Sie bleiben heiter, anmutig, sind die Auseinandersetzung über alles - und nichts.Alte und Junge, Männer, Frauen, Mädchen, die Besitzenden, die Dienenden kommen aus ihrer Privatheit in den dunklen Raum wie auf einen öffentlichen Platz.Sie versuchen, zumeist erfolglos, Hingabe an das große Gefühl.In ihrer Aufgeräumtheit liegt ein Hauch von Melancholie und gescheiterter Liebe.

Der junge Regisseur geht auf geradezu zauberische Weise mit den handelnden Figuren um.Gegenüber großen und kleinen Absonderlichkeiten waltet freundlicher Spott.So wird eine überlegene Sicht auf menschliche Wirrungen möglich, der das Rechthaberische völlig fehlt.Auf beschwingte Weise entfalten sich die Schicksale der Figuren.Nur der Held Bazarow fällt aus der mal geruhsamen, mal stürmisch auffrischenden Plauderei heraus.Alexander Hörbe spielt den jungen Nihilisten anders als erwartet.Er bringt seine stämmige Statur wuchtig in Stellung.Ein Außenseiter, ein Querulant, der Unruhe bringt, aufregt, verändert.Alle müssen sich zu ihm in Beziehung bringen.Dem Zauber der einzigartigen Stimmung aber, die aus der Lust und dem Zwang am Ausprobieren von Lebensmöglichkeiten hervorgeht, unterliegt auch dieser Bazarow.Kimmig führt das Ensemble so, als sei alles nicht vorherbestimmt.Anna Steffens etwa spielt die Fenitschka, eine junge Frau zwischen den Klassen, mit einer zauberisch verhaltenen Würde, die am Ende in Härte umschlägt.Jacqueline Maculay bringt das Selbstbewußtsein einer ebenfalls noch jungen Witwe auf die Bühne, die mit freundlicher Entsagung gelernt hat, ihr Leben zu meistern.Das quirlige Dienstmädchen der Teresa Trauth steht temperamentvoll gegen die Nachdenklichkeit dieser beiden Frauen.Monika Lennartz dann zelebriert die Verrücktheit der Fürstin Olga mit drahtiger Vitalität.Marcus Mislin gibt dem Gutsbesitzer Kirsanow eine geradezu süchtige Redelust, die aus dem ganzen Körper kommt.Heinz Kloss erfaßt den Bruder des Gutsbesitzers mit einer pomadigen Ruhe.Der junge Kirsanow, Kommilitone des Nihilisten Bazarow, behält bei Harald Schrott eine ins Trotzige abrutschende Naivität.Ein komödiantisches Glanzlicht setzt Thomas Schmidt als widerspenstiger Diener Pjotr.

Die Aufführung hat einen besonderen Höhepunkt außerhalb des großen Denkraumes: auf der durch den heruntergefahrenen eisernen Vorhang wie abgeschnittenen Vorbühne.Hier ist das bescheidene Zuhause der Eltern des Nihilisten Kirsanow aufgebaut.Klaus Manchen und Ursula Werner spielen das alte Ehepaar aus tiefer Versunkenheit heraus.Ihre Angst vor dem so anderen Sohn, ihr Glück über seine Begabung, ihr Schmerz über seinen Tod spiegeln sich in den Gesichtern.Wie sich das Antlitz der Mutter verwandelt, von strahlendem Stolz über glücklich erschüttertes Weinen bis zur Versteinerung , ist ein Ereignis.Der Vater zeigt, wie sehr pausenloses Plappern von kaum beherrschten Gefühlen beeinflußt bleibt.Wenn im letzten Bild die Ernte gefeiert und zwei Hochzeiten vorbereitet werden, bleibt der Schmerz über den Tod eines außerordentlichen Menschen spürbar.Ein rauschhafter Tanz, doch die Fröhlichkeit will nicht gelingen.Väter und Söhne haben mit ihren Frauen und Geliebten den Weg nicht gefunden.Stürmischer Beifall.

Am 15., 21.und 24.9., jeweils um 19 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false