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Kultur: Alter Krieg

Kai Müller träumt einen zypriotischen Friedenstraum Die beiden Männer lagen reglos in ihren Betten. Sie hatten einander den Rücken zugekehrt.

Kai Müller träumt

einen zypriotischen Friedenstraum

Die beiden Männer lagen reglos in ihren Betten. Sie hatten einander den Rücken zugekehrt. Kein Morgengruß. Sie schwiegen auch, als sie sich, einer nach dem andern aufrichteten und in die Pantoffeln schlüpften. Sie hielten es in diesem Krankenzimmer nicht aus. Jedenfalls nicht, solange der andere da war.

Dabei hatten sie vieles gemeinsam: Sie waren als Gastarbeiter in dieses Land gekommen und sprachen ein Deutsch, das sie am Fließband gelernt hatten. Der eine bei Volkswagen. Der andere bei Continental. Sie waren höflich und einsam. Und sie warteten darauf zu sterben. Das Problem war: Der eine kam aus Griechenland, der andere aus der Türkei. Etwas stand zwischen ihnen.

Man hatte in ihren Lungen einen Tumor entdeckt, zu groß, um ihn noch herausschneiden zu können. Das war auch mir, dem Zivildienstleistenden, nicht verborgen geblieben. Wenn Schläuche in ihre Luftröhren geschoben wurden, redeten sie nicht darüber. Wenn ihre Zigaretten zur Neige gingen, zogen sie wortlos davon, um sich neue zu besorgen. Kam die Familie zu Besuch, saßen sie als Patriarchen auf dem Bett, während die Söhne und Töchter wie durch sie hindurchsahen.

Eines Tages stand ein schmächtiger Mann auf dem Gang. Er hatte einen kleinen Koffer dabei und trug einen spitzen, vornehmen Schnauzbart. Er verschenkte seine Zigaretten und sprach sowohl den Griechen als auch den Türken in deren Muttersprache an. Die Engländer hätten ihm auch ihre Sprache beigebracht, als sie seine Insel besetzten, sagte er. Er war in Zypern aufgewachsen. Als Kind hatte er alte Blechdosen vor die Ketten der Panzer geworfen, um zu sehen, wie sie zerquetscht wurden.

Eine schwer erklärbare Milde ging von ihm aus. Seine ausgezehrten Gesichtszüge waren von aristokratischer Gelassenheit geprägt. Von innen zerfressen zu werden, ist nicht gerecht, sagte er, aber ich habe meinem besten Freund einmal einen Fisch gestohlen – das war auch nicht gerecht. Über die beiden einsamen Männer sagte er, dass sie kompliziert seien und dumm.

Bald sah man sie nur noch zu dritt. Im Speisesaal, wo sie sich nach dem Essen in ein rätselhaftes Kartenspiel versenkten. In der Röntgen-Abteilung, selbst wenn nur einer von ihnen dort einen Termin hatte. Und wenn einer nicht einschlafen konnte, aber zu stolz war, um sich an die Schwestern zu wenden, baten seine Freunde diskret, man möge den Armen erlösen. Häufig verschwanden sie zwischen den Bäumen des Klinikparks.

Bald jedoch war es für den Zyprioten zu beschwerlich, Spaziergänge zu unternehmen. Das Trio ließ sich auf einer Parkbank nieder, die vor dem Treppenhaus stand. Als auch das zu weit war, schoben der Grieche und der Türke ihren Freund im Rollstuhl auf einen der weitläufigen Balkone, auf denen die Lungenkranken wie auf einem Schiffsdeck in Liegestühlen von der Tuberkulose zu genesen hofften. Als er starb, saßen die beiden in ihrem Zimmer. Jeder auf einem Stuhl vor seinem Bett. Der Grieche hatte ein Taschentuch in der Hand. Der Türke ließ eine Kette durch seine Finger gleiten. Sie schauten einander nicht an. Sie sprachen kein Wort.

„Was wirst du tun“, fragte der Türke, „wenn das hier vorbei ist?“

„Ich werde dich besuchen.“

„Tu das nicht.“

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