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Kultur: Altern in Polen

Eine böse Attacke gegen das Harmoniebedürfnis der romantisch gestimmten Nation ritten polnische Filme schon immer gern.Dorota Kedzierzawska befand sich darum in guter Gesellschaft, als sie 1988 den engen und einzigen Wohnraum eines armen Rentnerpaares als einen Kampfplatz verschütteter Liebe ausmachte.

Eine böse Attacke gegen das Harmoniebedürfnis der romantisch gestimmten Nation ritten polnische Filme schon immer gern.Dorota Kedzierzawska befand sich darum in guter Gesellschaft, als sie 1988 den engen und einzigen Wohnraum eines armen Rentnerpaares als einen Kampfplatz verschütteter Liebe ausmachte.Jeder lebt, ißt und betet hier für sich allein, und doch sind beide, wie zwei Sträflinge auf einem Transport, zusammengekettet.Der Mann (Antoni Majak) belauert die Frau (Emilia Ziólokowska) und umgekehrt.Gemeinheiten würzen den Tag.Trotzdem braucht einer den anderen für die letzte Etappe, über der das Hochzeitsfoto an der Wand wie eine Ikone aus besseren Tagen prangt.Der für das Polnische Fernsehen gedrehte Film von nur sechzigminütiger Länge muß damals sehr provokativ gewirkt haben, brach er doch befremdend radikal mit dem Klischee des in Liebe ergrauten Paares, das seinen Lebensabend - wie einst Philemon und Baucis - zufrieden genießt.Hier rebelliert der Mann gegen die nutzlosen Tage, indem er seine Frau brüskiert, der die Rolle der Enttäuschten zufällt.Unerhört mochte in "Volkspolen" aber auch die Vorstellung gewesen sein, daß zwei schwache alte Menschen vor jungen Rowdies der Straße auf der Hut sein müssen, die nur darauf warten, ihre Bleibe zu verwüsten.Natürlich erfüllt der Zwischenfall hier einen pädagogischen Sinn: Statt stumm zu zanken, müssen die beiden Alten erst einmal aufräumen.

Ungewöhnlich ist die Bildsprache des 1989 in Mannheim gleich vierfach ausgezeichneten, dann vergessenen Schwarz-Weiß-Films.Kurze, überwiegend nahe Einstellungen werden nur von wenigen Totalen unterbrochen, die den Blick auf den tristen Flur des Mietshauses und die verödete Straße freigeben.Die Äpfel auf der Fensterbank, der Abreißkalender über der Anrichte und das Glas mit Tee, das jeder dem Enkel bei dessen kurzem Besuch zuschiebt, sind ebenso wichtig wie die oft schräg angeschnittenen Gesichter der Personen.Geredet wird so gut wie nie.Das erinnert an sozial engagierte Stummfilme der 20er Jahre.Doch Dorota Kedzierzwawska will vor allem aufrütteln.Der Glaube an die Katharsis geht ihrer Dramaturgie voran.

Im fsk am Oranienplatz

HANS-JÖRG ROTHER

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