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Kultur: Altes Haus, so gut wie neu

Ein

von Frederik Hanssen

Mozart klingt hohl. Schubert auch. Wer mit dem Finger an einen der Komponistenköpfe klopft, die im Parkett des Berliner Konzerthauses auf die Zuhörer hinabblicken, muss feststellen, dass die „Marmorbüsten“ der großen Meister aus bemaltem Metall sind. Überhaupt ist hier so ziemlich alles Talmi. Mit Karl Friedrichs Schinkels Kunsttempel, wo Webers „Freischütz“ uraufgeführt wurde und später Gustav Gründgens spielte, hat der Bau von 1984 nichts gemein – außer der Fassade. Als man sich im Vorfeld der 750Jahr-Feier daran machte, die Reste des zerbombten Schauspielhauses am Gendarmenmarkt wieder aufzurichten, gab es in der Hauptstadt der DDR genug Theaterbauten, jedoch keinen repräsentativen Konzertsaal. Also wurden in die klassizistische Hülle neue Räumlichkeiten im Retrolook eingepasst; so gut es mit den vorhandenen Ressourcen eben ging.

Die meisten Besucher allerdings lassen sich gern vom Lüsterglanz blenden und hören großzügig hinweg über die problematische Akustik. Ebenso, wie sie während der Pausen lieber die aufsteigenden Perlen in ihren Sektgläsern begutachten als die misslungenen Wandgemälde, auf denen die schaumgeborene Venus aussieht wie die Protagonistin aus einem sozialistischen Softporno und sich im pastellfarbenen Arkadien Nymphen und Faune mit Arbeiter- und Bauernphysiognomie tummeln.

Ja, selbst an den offiziellen Namen hat sich der Großteil der Berliner inzwischen gewöhnt. Als vor zehn Jahren die letzte Hemmung fiel und das falsche Schauspielhaus nach seiner real existierenden Funktion „Konzerthaus“ getauft wurde, rannte (auch im Tagesspiegel!) so mancher erbittert gegen die Umbenennung an und klammerte sich an die Illusion, dieser architektonische Bastard mit dem schmeichelhaften Äußeren habe irgendetwas mit der glorreichen Altberliner Historie zu tun. Dabei hatte zu diesem Zeitpunkt Intendant Frank Schneider bereits seine Interpretation der Ex-Nationalhymne in klingende Realität umgesetzt: Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt. Mit nie ermüdendem Missionseifer versucht er seit 1992, die Ohren seines Publikums zu öffnen für das Vergessene, das Unbekannte, das Zeitgenössische. Auch wenn sich manchmal kaum mehr Zuhörer als Musiker im Saal versammeln, halten Schneider und sein Team an ihrem Lob des Neuen fest und lassen den Saal nicht zur Kulisse für Events verkommen. Dem guten Ruf des Hauses angemessen präsentiert sich heute Abend auch das Festkonzert zum 20. Wiedereröffnungs-Jubiläum: Neben Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie wird es eine Uraufführung geben: von Volker David Kirchner. Wer weiß, vielleicht wird sein Konterfei einst auch in Metall gemeißelt überm Parkett des Konzerthauses schweben.

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