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Kultur: Altmeister abzugeben

Viel? Wenig? Für ein Raffael-Porträt verlangt Christie’s 15 Millionen Pfund

Die exorbitanten Schockpreise der New Yorker Auktionen sind noch nicht verdaut, da kündigt Christie’s etwas an, das es auf dem Kunstmarkt seit Jahrzehnten nicht mehr gab: ein Gemälde des Mozarts der Malerei – einen Raffael.

Lorenzo di Medici, Herzog von Urbino und Neffe des Medici Papsts Leo X. – hier steht er auf der 79 mal 97 Zentimeter großen Leinwand, herausgeputzt in seinen prunkvollsten Gewändern, draufgängerisch und selbstbewusst, sogar die Haare des Hermelins sträuben sich vor männlichem Tatendrang. Kein Wunder, denn dieses Bild wurde gemalt, um Lorenzos zukünftiger Braut Madeleine de la Tour d’Auvergne, der Nichte des französischen Königs Franz I. einen Vorgeschmack auf den Gatten zu geben, den sie 1518 heiraten sollte.

Laut Christie’s ist es „das bedeutendste Renaissance-Gemälde, das seit einer Generation angeboten wird“. Für die Versteigerung am 5. Juli in London sind zehn bis 15 Millionen Pfund geschätzt. Das sind, in der Währung des Kunstmarkts, 20 bis 30 Millionen Dollar. Nie gab es eine höhere Schätzung für ein Altmeistergemälde. Rubens’ Kindermord von Bethlehem, den Sotheby’s 2002 für 49,5 Millionen Pfund oder damals 78 Millionen Dollar versteigerte, war auf sechs bis acht Millionen Pfund taxiert. Der wiederentdeckte Vermeer, der 2004 die Kunstwelt in Aufregung versetzte und dann für 14,5 Millionen Pfund oder 30 Millionen Dollar verkauft wurde, war auf drei Millionen Pfund angesetzt.

Dann aber sind 15 Millionen Pfund auch wieder wenig: Bei den New Yorker Auktionen wurden in zwei Wochen 22 Gemälde in dieser Raffaelpreisklasse verkauft. Mark Rothko, Francis Bacon, Cézanne, sogar ein Lionel Feiniger mit 23 Millionen Dollar war dabei. Und natürlich Warhol. Seine „Lemon Marilyn“ brachte 28 Millionen Dollar. Ein kleines Bild von 50 auf 40 Zentimeter, von dem es von der 1962 gemalten, kostbaren Erstversion 15 Versionen gibt, wenn auch in verschiedenen Farben. Der Raffael misst mehr. Warhol mit Raffael zu vergleichen, ist vielleicht gar nicht so abwegig. Dessen Brigitte Bardots, Elizabeth Taylors und Marilyn Monroes treten heute an die Stelle der intimen Starmadonnen eines Raffael. Und wenn Raffael, wie bei diesem Lorenzo, der Meister des Staatsporträts in der „großen Manier“ war, ist Warhol derjenige, der diese im 20. Jahrhundert vergessene Tradition mit seinen Prominentenporträts wieder aufgriff.

Als August III., König von Polen und sächsischer Kurfürst, 1754 den Mönchen von Piacenza für 17 000 Golddukaten die Sixtinische Madonna abkaufte, war das, als würde heute der Hongkonger Immobilienmilliardär Joseph Lau 73 Millionen Dollar für Warhols „Green Car Crash“ bezahlen. Und wer weiß, vielleicht bewährt sich Warhol am Kunstmarkt der nächsten 500 Jahre so gut wie Raffael: „Raffael“, schrieb 1961 der Kunstmarkthistoriker Gerald Reitlinger, „war der einzige Maler, der gegen den Wandel der Moden immun war, dem Rezessionen am Kunstmarkt nichts anhaben konnten, der einzige, dessen Preise nur nach oben gingen“.

Aber für dieses Lorenzo-Porträt stimmt das nicht. Als Lord Northwick dem Kaufmann Hollingworth Magniac den Raffael 1859 verkaufte, galt er nämlich als ein Bronzino. 1862 brachten die Kunsthistoriker Charles Eastlake, Direktor der Londoner Nationalgalerie, und Charles Robinson überhaupt erst Raffael als Maler ins Spiel. Doch das war wieder vergessen, als Magniacs Sammlung 1892 verkauft wurde. 1962 ersteigerte ein New Yorker Händler das Bild in London für 1050 Pfund als „Porträt François I“ von Bronzino. 1968 wurde es an den Händler Ira Spaniermann weiterverkauft – als anonymer Meister des 16. Jahrhunderts. Erst 1971 identifizierte der frühere Direktor der Albertina, Konrad Oberhuber, das Bild als Raffael.

Die meist mittellosen Bildungseliten, die Kunstspekulationen eher argwöhnisch betrachten, würden einen Raffael in der Regel wohl höher einstufen als einen Warhol. Aber es gibt eben Unterschiede. Bei einem Warhol weiß man, was man hat. Warhol ist von heute, ist global und wird von der ganzen Welt verstanden. Raffael zählt zur Kunst aus dem Abendland, einer kulturell und pekuniär schrumpfenden Größe. Vielleicht grübeln die Kunstexperten in 100 Jahren immer noch über dieses Bild aus dem 16. Jahrhundert nach. Wenn Warhol und Rothko möglicherweise schon längst wieder aus der Mode sind.

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