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Kultur: Altmeisters Weltreise

Peter Zadek kehrt mit Ibsens „Peer Gynt“ ans Berliner Ensemble zurück

Jetzt ist er also zurückgekehrt. An die Stätte seiner einst tiefen Schmach. Der bald 78-jährige Peter Zadek wurde im Berliner Ensemble vom Publikum, von vielen Weggefährten und Freunden (von Susanne Lothar und Eva Mattes bis zum Hollywood-Kamerakünstler Michael Ballhaus) für seinen in dreieinhalb Stunden mindestens kurzweiligen „Peer Gynt“ gefeiert: nicht ganz enthusiastisch, aber doch freundlich. Gelöst erlöst. Und tatsächlich ist Ibsens großes Welt- und Lebensreisespiel bei Zadek am Ende zu einem vorösterlichen kleinen Totentanz geworden, mit der Versöhnung in madonnenhafter, unsterblicher Liebe.

Das steht zwar schon bei Henrik Ibsen. Doch Peter Zadek hat den „Peer Gynt“ so inszeniert, als ginge es fast nur um dieses Finale – als Echo, als Widerspiegelung auch eines früheren Todes- und Liebesfalles im Leben (und Sterben) Peer Gynts. Zwei eher katholische Konstellationen und drei Schauspieler sind es, die im vielköpfigen Berliner Ensemble den Abend retten: Uwe Bohms Peer und dessen Mutter Aase, verkörpert von Angela Winkler, dazu die junge Annett Renneberg als lebenslang auf Peer wartende, nie berührte Geliebte Solveig. Zwischen ihnen ereignen sich ein paar Wunder.

Ausgerechnet in diesem beinhart säkularen Brecht-BE hatte sich der Antibrechtianer Zadek vor zehn Jahren bereits in einer aberwitzigen Fünferdirektion (mit dem Antipoden Heiner Müller) an der Magie versucht. Seine burleske Nachinszenierung des uralten De-Sica-Films „Das Wunder von Mailand“ geriet 1993/94 zum Desaster. Doch war der floppende Plot – in einem Armeleuteviertel sprudelt plötzlich Erdöl – vielleicht gar nicht so falsch, denn den deutschen Osten hätten statt Windräder wohl doch nur Ölquellen ökonomisch retten können. Damals freilich war das auf der Bühne nur ein Versuch in menschentümelndem Volkstheater.

Das Menschengetümmel ist auch jetzt, wo Peter Zadek in ein mehrfach gewendetes Berliner Ensemble zurückgekehrt ist, nicht seine starke Sache. Doch beginnt das Drama, das von des jungen Bauernlümmel Peers Aus- und Aufbruch von Norwegen hinaus in die Welt der Trolle und Träumer, der Wirtschaftskapitäne, Orientfahrer, Wissenschaftsverrückten erzählt, ganz familiär intim. Und dort, wo Peter Zadek ebenso wie Peter Brook am besten ist: im leeren Raum. „Peer, du lügst!“, ruft Mutter Aase, weil ihr Sohn schon wieder als tollkühner Aufschneider einen imaginären Bock durchs Gebirge gejagt hat. Und wenn Angela Winkler den Lügensohn umfasst, die heilen Glieder in der zerrissenen Hose prüft, dann wird die mütterliche Sorge ganz spielerisch zur erotischen Geste. Mutter und Sohn, die wie Kinder sich balgen und wälzen, sind zugleich ein Liebespaar. In dieser Witwe Aase lebt nicht nur die Sehnsucht nach zärtlich wilder Berührung, sie ist auch süchtig nach den ausschweifenden Lügenmärchen des Mannessohns, in denen sie selbst noch einmal auflebt. Angela Winklers altmädchenhafter Zauber entzündet auch bei Uwe Bohm, der ja ein hübsch patenter, aber nicht besonders abgründiger Spieler ist, ein besonderes Feuer. Hier hat er Charme und Verve, wirkt im Wirbel, in den Umarmungen mit Angela-Aase auch fiebernd, trotzköpfig – und bisweilen tollköpfig.

Fabelhaft ist dann zwei Akte später die Sterbeszene. Peer kommt heim, als die Mutter auf dem Totenlager liegt. Anders als in allen großen (und größeren) „Gynt“-Inszenierungen früher von Peter Stein an der Berliner Schaubühne, von Patrice Chéreau in Lyon oder Claus Peymann in Wien, wird hier nun nicht Aases armselige Bett erst zum erträumten Himmelsschlitten und dann zur Sargkiste. Uwe Bohm trägt Angela Winkler einmal mehr nur im Arm, auf den Schultern, und er kutschiert sie allein in seiner Tröstungsphantasie ins Schloss des ewigen Lebens – bis die Mutter stumm geworden ist.

Wie zumeist auf Karl Kneidls, des Bühnenbildners, sparsam bestückter Szene gibt es hier bloß einen Holzstuhl, auf den Peer die Tote am Ende behutsam absetzt, ihr die Augen schließt und weggeht. Fort nach Afrika. Das ist schlicht großartig.

Wenn nur das Drumherum, das Zwischenrein und Hinterher nicht wär’! Die mit Tanz und Sause gegebene Bauernhochzeit bleibt noch im Stil des armen reichen Theaters, solange die widerwillige Braut (Deborah Kaufmann) nur bockt und Peer zum Brautraub mit einem Griff zwischen zwei Stuhlstreben im Brautschoß landet und ein Sprung über die Stuhllehne die Eroberung und Zerstörung einer engen Provinzwelt markiert. Doch dann muss die Braut halbnackt – im nunmehr Altherrentheater – viel neckisch rumturnen mit dem bösen lieben Peer.

Das ist schon der erste Vorgeschmack auf das leider vollständige Scheitern der meisten Gruppenszenen, vor allem des ganzen langen Afrika-Aktes nach der Pause. Ob norwegische Troll-Maiden oder arabische Strip- und Schleiermädels: Hier bietet das BE ein eurhythmisches Getue auf Laienspielniveau, für das laut Programmheft noch eigens die Choreographin Reinhild Hoffmann bemüht wurde. Und nie sah man die kabarettistische Tycoon-Szene des Sklavenhändlers Peer mit den Kolonialherrn aus England, Frankreich, Deutschland derart witzlos oder die Irrenanstalt von Kairo so harmlos. Auch die schweinsschwänzigen Trolle, die für Ibsen zur „Gynt“-Zeit um 1870 ein Abbild hinterwäldlerischer Reaktionäre waren, gereichen Zadek nur noch zum biederen Mummenschanz. Stunden und Akte später, wenn der zum Penner gewordene einstige Trollkönig beklagt, dass in der neuen Zeit die Trolle zu Menschen und die Menschen zu Trollen geworden seien und er „weder Rente noch Stütze“ erhalte, ruft das ein paar Lacher hervor. Theatralischer aber wäre dann eine Übersetzung des Trollstaats ins Heutige gewesen (beispielsweise eine Troll-Börse, Nadelstreifen mit Sauschwänzen...).

Auch Uwe Bohm wirkt zwischen den missglückten Genre- und Gruppenszenen von der Regie sehr alleingelassen. Der durchaus moderne Traum, in einem Patchworkleben ein welterobernder Unternehmer, „Kaiser“, Erfinder und Künstler zu werden, zerrinnt da in der monologischen Beschwörung zur glatten Deklamation. Bohm fehlt die Besessenheit, fehlt die zynische Chuzpe, es bleibt nur eine restkindliche, kleine amoralische Spielfreude, die ihn zu wenig zum Spielwitz und -wahnsinn treibt.

So droht schon ein Scheitern – wäre da nicht noch die schulmädchenhaft junge, von einem Verstörung und Verzückung vereinenden Ernst getragene Annett Renneberg als Solveig, diese norwegische Penelope in lebenslanger Erwartung ihres odysseeischen Peer. Sie spielt den heiligen Liebesstarrsinn – eine Jeanne d’Arc ohne Krieg – allein aus den Augen heraus und mit einer unbeirrbaren herben Sanftmut, selbst die eigene Alterung bedarf keiner Schminke und Maske: Nur mit etwas steifen Gliedern und einem träumerisch halbblinden Blick deutet sie an, was ihr entsagungsvolles Glück in „Glaube, Liebe, Hoffnung“ gekostet hat. Dann sinkt der sterbende Peer, in dem auch Uwe Bohm wieder ganz bei sich ist, in ihren Schoß. Eine Mutter-Geliebte, bewusst an das Schlussbild einer Pietà von Jutta Lampe und Bruno Ganz in der Schaubühnen-Inszenierung erinnernd. Zadek benutzt dabei die gekürzte Textfassung von Botho Strauß für jene legendäre Berliner Aufführung vor über 30 Jahren – auch das wirkt wie eine Geste der Versöhnung. Früher gab es ja eine giftige Konkurrenz zwischen Zadek und Stein. Die scheint hier vergessen. So also altmeistert man.

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