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Papa mobil. Karol Wojtyla mit Kardinal Sterzinsky 1996 in Berlin. Am 1. Mai wird der 2005 gestorbene Papst seliggesprochen.

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Am 1. Mai: Seligsprechung von Johannes Paul II.: Eilig heilig

Sechs Jahre nach seinem Tod wird Johannes Paul II. seliggesprochen. Doch löst sich damit alles was er als Papst getan oder unterlassen hat, in himmlischer Verklärung auf?

Sechs Jahre nach seinem Tod, sechs Jahre nach den „Santo-subito“-Rufen auf dem Petersplatz wird Johannes Paul II. nun also seliggesprochen, im Eiltempo am 1. Mai. „Santo“ ist er dann zwar noch nicht; der von 1978 bis 2005 wirkende Papst und seine Anhängerschar müssen sich mit dem Titel „Beato“ zufrieden geben. Aber die letzte Stufe, der Schritt von der kirchenamtlich festgestellten Seligkeit zur Heiligkeit ist nur eine Frage der Zeit – nicht die einer weiteren Hürde.

Dabei stellt Wojtylas schnelle Seligsprechung – selbst die von Mutter Teresa dauerte ein paar Tage länger – kein historisches Urteil über dessen Leben und Werk dar. Laut Kardinal Angelo Amato, dem Präfekten der Heiligenkongregation, ist man zur Seligsprechung „nicht gelangt aufgrund des Einflusses, den sein Pontifikat auf die Kirchengeschichte hatte, sondern aufgrund der Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe, die Karol Wojtylas Leben ausgezeichnet haben“. Wird am Sonntag also der Mensch Wojtyla seliggesprochen und nicht der Papst? Lassen sich die beiden überhaupt voneinander trennen?

Es gehört zu den heikelsten, theologisch nie geklärten Fragen bei einer Seligsprechung, wie „historische“ Amtsausübung und persönliches Glaubensleben im Zusammenspiel zu bewerten sind. Kann der Papst den „heroischen Tugendgrad“ als amtliches Prüfsiegel zum Beispiel einem Menschen verleihen, der zwar die Kardinaltugenden vorbildlich gelebt hat, bei der Amtsausübung aber politisch versagte?

Oder gegen den schwereVorwürfe erhoben werden? Was ist mit Wojtylas freundschaftlichem Verhältnis zu einigen Diktatoren Lateinamerikas? Auch Organisationen von Missbrauchsopfern kritisieren ihn. So erklärte etwa Barbara Blaine, Präsidentin der US-Organisation für Opfer von sexualisierter Gewalt und Missbrauch durch Priester, diese Gewalt sei „in der Kultur und Praxis tiefer verwurzelt, weil Johannes Paul II. jahrzehntelang Misshandlungen im Wesentlichen tolerierte“. Andererseits: Es war der polnische Pontifex, der anordnete, dass jeder Missbrauchsfall dem Vatikan zu melden sei.

"Santo subito": Der Wille der Gläubigen eröffnet das Verfahren
"Santo subito": Der Wille der Gläubigen eröffnet das Verfahren

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Bei Johannes Paul II. hatte Rom aber ein starkes Argument für ihn an der Hand: die „fama sanctitatis“. Der „Ruf der Heiligkeit“, den ein Mensch im gläubigen Volk genießt, ist Voraussetzung für den Beginn jedes Verfahrens. Bei Johannes Paul sei es der einhellige „sensus fidei“ gewesen, der „Glaubenssinn aller Getauften“, der die Kirche zur zügigen Seligsprechung geradezu gedrängt habe, sagt Kardinal Amato. Der Glaubenssinn manifestierte sich demnach nicht nur in den Santo-subito-Fahnen auf dem Petersplatz. Er tut das auch „in den mehreren tausend Menschen jeden Alters, die täglich das Grab des Polen besuchen und ihn dort völlig unspektakulär, aber – so weit man das feststellen kann – sehr innig fromm verehren“. So schreibt ein anderer Kardinal in einer Mail. Das habe ihn am meisten überzeugt „und nicht irgendwelche Wunder“.

Wobei ein Wunder – wahlweise der Märtyrertod – eine weitere Voraussetzung für die Heiligkeit ist. Dass die französische Nonne Marie Simon-Pierre 2005 durch die Fürsprache des verstorbenen (!) Pontifex von ihrer Parkinson-Krankheit geheilt wurde, hat Benedikt XVI. kürzlich offiziell anerkannt. Wojtyla selber hatte in seiner Amtszeit über 1300 Seligsprechungen ausgesprochen und sage und schreibe 482 Heiligsprechungen. Inzwischen ist der Vatikan zurückhaltender.

Generell kennt die katholische Kirche zwei Konzepte von Heiligkeit. Das eine basiert auf der steilen These aus dem Dogmatik-Lehrbuch, wonach Heiligkeit „das Wesen Gottes als solches“ beschreibt, an der „alle Christen durch die Taufe teilhaben“. Das gläubige Aufschauen zu denen, die diese Teilhabe besonders gut verwirklichen, bringt den Aufruf zur tätigen Nachahmung mit sich. Wobei die Vorbilder so unterschiedlich sind, dass selbst Benedikt XVI. zugibt, er könne „nicht mit allen diesen Leitsternen“ etwas anfangen.

Das zweite Konzept ist volkstümlicher. Da erwartet nicht der Heilige etwas vom Menschen, sondern der Mensch etwas vom Heiligen. Von den Schutzpatronen für Städte oder Berufsgruppen oder den Nothelfern, von denen einer fürs Bauchweh zuständig ist, der nächste für die verschwundene Brieftasche und eine andere fürs Kinderkriegen. Heilige dieses Typs werden nicht nachgeahmt, sondern verehrt – je heftiger, umso wirksamer. In Süditalien kursiert die Idee, man könne einen Heiligen durch üppige Verehrung zu einer Wohltat regelrecht zwingen. Sie sind dann keine Fürsprecher bei Gott, sondern fast wichtiger, auf jeden Fall greifbarer als der Unnahbare selbst.

Eine solche Verehrung verlangt dann auch nach Gegenständen, mit denen man des Heiligen habhaft werden kann. Bilder und Predigten reichen nicht, es müssen schon Überreste des Wundertäters sein. Reliquien, weit verstreut, vervielfachen die Gnadenorte. Das ist seit dem kirchlichen Altertum so; bei Wojtyla zeigt sich, wie zäh sich solche frommen Verdinglichungen von Heiligkeit halten.

Stanislaw Dziwisz war über 39 Jahre dessen Privatsekretär. Heute ist er Erzbischof von Krakau und hortet Reliquien. So hat er klammheimlich jene Soutane zur Seite geräumt, die der Papst bei den lebensgefährlichen Schüssen am 13. Mai 1981 trug, und jetzt auch noch eine Ampulle mit dessen Blut hervorgezaubert. Die ließ er sich in Wojtylas letzten Lebenstagen in der römischen Bambin-Gesù-Klinik abfüllen– im Juni soll die auch in Polen umstrittene Blutreliquie in einen Vorort von Krakau überführt werden.

Insgesamt gibt es vier dieser Ampullen. Eine davon wird dem Publikum in Rom am Sonntag dargeboten: Das Volk will sehen, um zu glauben. Vielleicht muss man den Seligen ja nur richtig durchschütteln – und schon tut er ein weiteres Wunder.

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