zum Hauptinhalt

Kultur: Am Abgrund

Sebastian Weigle dirigiert Mahler im Konzerthaus.

Kaum sind die Straßen wegen des Pokalspiels wie leer gefegt, kommt es im ausverkauften Konzerthaus zum Triumph. Sebastian Weigle, Generalmusikdirektor in Frankfurt, dirigiert das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit Gustav Mahlers Fünfter Symphonie. Sonst gibt es nichts, keine Pause, kein Herumstehen bei Sekt und Canapés, nur dieses eine, 1904 uraufgeführte Werk mit seinem Trauermarsch in Tiefschwarz, dem bekannten „Adagietto“ inmitten und einem Finale, das noch einmal die Suggestion großen orchestralen Glanzes schafft – abgründige Musik, „vergebliche Jubelsätze, die den Jubel entlarven“, wie Adorno notierte.

Zugleich ist die Fünfte ein Werk voller Fallstricke für den Dirigenten, nicht nur wegen der erforderlichen Ökonomie der Mittel (immerhin wünscht Mahler nach einer knappen Stunde orchestraler Verausgabung noch ein „Allegro giocoso. Frisch“ im letzten Satz), sondern vor allem wegen der Gefahr, in das stete Heranbranden von Klang und Möglichkeit einzutauchen und darin gemeinsam mit dem Ensemble unterzugehen. Weigle aber bleibt oben, steht, zeichnet, nimmt sich Zeit. Er hat ein hoch motiviertes, überaus diszipliniertes Orchester vor sich, in dem sich jeder sichtbar gesehen fühlt: einen hervorragenden Trompeter; eine Cellogruppe, deren Sologesang im zweiten Satz so schön und zaudernd klingt, als ob er nicht von der Stelle kommen wolle; einen Schlagzeuger, der die Trommel im Scherzo nur leise schlägt und dennoch nach Krieg klingen lassen kann.

Zum Applaus lässt Weigle die Musikerinnen und Musiker einzeln vortreten, kaum je gestattend, dass sich die glühende Begeisterung des Publikums auf ihn allein richtet. Christiane Tewinkel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false