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Kultur: Am Attentatort

Präsidenten, Yuppies, Underdogs: Das 31. Internationale Filmfest Toronto

Wer George W. Bush sterben sehen wollte, musste warten. Schnell hatte sich herumgesprochen, dass sich hinter der diskreten Abkürzung „D.O.A.P.“ im Katalog des Filmfestivals Toronto der Titel „Death of a President“ verbarg. Zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn bildeten sich lange Schlangen am Einlass, selbst die nächtlichen Zusatzveranstaltungen waren ausverkauft. Nun ist es ja keine Seltenheit, dass im Kino auf politische Führungspersönlichkeiten geschossen wird. Erst kürzlich startete Clark Johnsons Geheimdienstthriller „The Sentinel“ über den Attentatsversuch auf Ronald Reagan. Aber den amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten in einer fiktiven Dokumentation zum Abschuss freizugeben – das wagte bisher niemand. Der britische Filmemacher Gabriel Range hat dazu Archivmaterial im Computer mit einer gestellten Attentatsszene kombiniert. Die Qualität der Bilder ist bestechend. In der „Tagesschau“ würde niemand ihre Authentizität anzweifeln.

Aber die provokativen Aufnahmen von George W. Bush, der am 19. Oktober 2007 vor dem Sheraton-Hotel in Chicago zusammenbricht, dienen hier nur als visueller Schlüssel für eine weitaus weniger spekulative politische Analyse. Im Stil einer hoch seriösen TV-Dokumentation rekonstruiert „Death of a President“ die Folgen eines politischen Super-GAUs. Der frisch gekürte Nachfolger Dick Cheney erlässt einen weiteren Patriot Act und lenkt die Ermittlungen bald in politische Bahnen. Schließlich landet ein junger Syrer vor Gericht, der als Jugendlicher wenige Tage in einem afghanischen Ausbildungslager war. Aber es gibt auch andere Verdächtige: ein militanter Anti-KriegsAktivist, der die Todesstrafe für Bush fordert, oder der Vater eines jungen Soldaten, der im Irak ums Leben kam.

Die Ironie von Ranges bitterernster „Mockumentary“ liegt darin, dass der USSicherheitsapparat nicht in der Lage ist, den Mord an eben jenem Präsidenten aufzuklären, der ihm solch weitreichende Befugnisse erteilt hat. Gleichzeitig untersucht der Film durch die provokative Bilderfälschung quasi am eigenen Leib die Manipulationskraft der Medien und stellt die Vertrauensfrage nicht nur an die Politik, sondern auch an das Medium Film.

Der politische Mord als Ausgangs- oder Endpunkt für die Analyse der Verhältnisse stand im diesjährigen Festivalprogramm von Toronto hoch im Kurs. Emilio Estevez „Bobby“ – der auch auf dem Festival in Venedig zu sehen war – richtet den Fokus auf die Hoffnungen des liberalen Amerika, die mit der Ermordung Robert F. Kennedys 1968 zunichte wurden. Steven Zaillians Verfilmung des PennWarren-Romans „All the King’s Men“ verfolgt Aufstieg und Fall des populistischen Politikers Willie Stark (Sean Penn), verwässert jedoch die angestrebten Analogien zur politischen Gegenwart in einer verschlungenen Narration von geradezu narkotischer Wirkung. Ästhetisch entschlackt hingegen erzählt Julia Loktevs „Day Night Day Night“ von einer jungen Selbstmordattentäterin, die auf dem New Yorker Times Square vergeblich versucht, eine Rucksackbombe zu zünden.

Am Londoner King’s Cross, wo am 7. Juli 2005 eine der U-Bahn-Bomben explodierte, hat Anthony Minghella für „Breaking and Entering“ sein Kaleidoskop aufgestellt. Jude Law spielt den jungen Architekten, der maßgeblich an der Umstrukturierung des heruntergekommenen Stadtteils beteiligt ist. Eine Serie von Büroeinbrüchen führt zur fundamentalen Verunsicherung des Yuppies, der geradewegs in eine Affäre mit der bosnischen Mutter (Juliette Binoche) des jugendlichen Straftäters schliddert. Mit überraschender psychologischer Glaubwürdigkeit setzt Minghella („Der Englische Patient“) das Aufeinanderprallen der egozentrischen oberen Mittelschicht mit den unterbezahlten Handlangern der Dienstleistungsgesellschaft in Szene.

Ein Held, der im eigenen Leben nicht zu Hause ist, steht auch in Marc Fosters intelligenter Komödie „Stranger than Fiction“ im Zentrum. Der gelangweilte Steuerprüfer Harold Crick (Will Farrell) wird von einer Off-Stimme verfolgt und muss feststellen, dass er der Protagonist eines Romans ist, deren Autorin (Emma Thompson) fieberhaft nach einem mortalen Finale sucht. Lost in manipulation kämpft der Romanheld mit Hilfe eines Literaturprofessors (Dustin Hoffman) gegen sein belletristisches Schicksal an. Das von Skriptautor Zach Helm konstruierte Verwirrspiel, das ebenso an Woody Allen wie an Charlie Kaufman erinnert, gehört schon jetzt zu den Oscar-Anwärtern für das beste Originaldrehbuch.

Während die US-Verleiher Toronto traditionell als Startrampe für die Oscar-Saison nutzen, hat auch die deutsche Filmindustrie die Bedeutung des Festivals als Tor zum amerikanischen Markt erkannt. Vor zwei Jahren begann hier „Der Untergang“ seinen Siegeszug durch die amerikanischen Kinos, diesmal wurde „Das Leben der Anderen“ hoch gehandelt. Daneben trat die alte Garde des einst „Neuen Deutschen Films“ zur Weltpremiere an, Margarete von Trotta mit der Adaption des Märthesheimer-Romanes „Ich bin die Andere“ und Volker Schlöndorff mit „Strajk“. In altväterlicher Manier erinnert er darin an die Gründungsgeschichte der polnischen Solidarnosc. Und Werner Herzog zeichnet in „Rescue Dawn“ die Geschichte des US-Piloten Dieter Dengler (Christian Bale) nach, der zu Beginn des Vietnamkriegs in Gefangenschaft gerät und sich mit naiver Kaltschnäuzigkeit den Weg durch den Dschungel in die Freiheit bahnt.

Der stärkste Film des Festivals: „After the Wedding“ von Susanne Bier. Wieder operieren die dänische Regisseurin und ihr Drehbuchautor Anders Thomas Jensen am offenen Herzen, beordern einen Entwicklungshelfer aus Indien zurück nach Kopenhagen und schicken ihn auf die Hochzeit seiner Tochter, von deren Existenz er bisher nichts ahnte. Bier legt die Seelenstrukturen ihrer Figuren frei, treibt sie in immer ausweglosere Situationen, um noch tiefer zum menschlichen Kern vorzudringen. In Kinobildern von betörender Klarheit entwickelt Bier eine emotionale Direktheit, die all die gefälschten Präsidenten, korrupten Politiker, kriselnden Großstädter und paranoiden Romanhelden blass aussehen lässt.

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