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Kultur: Am offenen Herzen

Kunst der Komödie: Benjamin Korn inszeniert „Sonny Boys“ mit Striebeck, Schermuly und Jürgen Flimm

Die wunderlichste Pointe ist diesmal eine fast versteckte, leicht überhörbar. Da versuchen die beiden altgewordenen Komiker Willie Clark und Al Lewis mehr als ein Jahrzehnt nach ihrem Bühnenabschied noch einmal, für eine Fernsehshow über die goldenen Jahre des amerikanischen Varietés ihren legendären „Doktor- Sketch“. Ein Mann kommt zum Arzt, der ihm den Magen mit der Taschenlampe im Ohr spiegeln will, hinter des Doktors Schreibtisch steht wie im Anatomiesaal ein Skelett („mein letzter Patient“), und die beiden sind ziemlich albern und irre: der ganze Sketch ein clownesker, explodierender Mediziner-Witz. Da kriegt man wohl kaum mit, dass der Patient sich beim Eintreten als Walter Benjamin Kornheiser vorgestellt hatte.

In der Hamburger Komödie im Winterhuder Fährhaus, wohin es die auswärtigen Theaterkritiker sonst nicht unbedingt treibt, liegt die Pointe darin, dass Neil Simon in seinem vor 35 Jahren am Broadway uraufgeführten Klassiker „Sonny Boys“ tatsächlich einen Benjamin Kornheiser erfunden hat – und der Regisseur in Hamburg heißt Benjamin Korn. Das Stück macht ohnehin viele jokes on names, denn es spielt immer wieder mit dem vergesslichen Namens-Gedächtnis seiner beiden Altershelden. Aber Benjamin Korn ist nun wirklich ein Fall: für das Gedächtnis (und die Vergesslichkeit) der deutschen Theaterbranche. Korn selbst, der hier erstmals eine amerikanische Boulevardkomödie inszeniert, spielt zudem schon in der Besetzung mit einem Stück eigener Theatergeschichte. Willie Clark, der versiffte, verschusselte New Yorker Rentner und Ex-Comedianstar, ist in Hamburg der Lokalmatador und Ex-Intendant des Thalia Theaters Peter Striebeck.

An Striebecks Thalia hatte der Jungregisseur Korn 1980 einen seiner ersten großen Erfolge mit Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“ und wurde damit zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Bald danach inszenierte Benjamin Korn in Köln die schönste deutsche Inszenierung von Marivaux’ „Der Streit“, unter dem Intendanten Jürgen Flimm, der dann Striebecks Nachfolger in Hamburg wurde. Und Jürgen Flimm spielt jetzt auch mit, quasi als dritter Sunny Old Boy, indem er als Stimme aus dem Off sehr witzig den vom komisch katastrophisch versiebten Doktorsketch genervten Fernsehregisseur gibt. Dafür gibt es in Hamburg gleich Szenenapplaus.

Was die Berliner Privattheaterunternehmer Wölffer in ihrer fast 600 Zuschauer fassenden Dependance nahe der Außenalster als Tourneeproduktion für später ganz Deutschland gestartet haben, wird so zu einem mehrbödigen Spiel mit der Theatergeschichte. Zwei Komiker, die sich 33 Jahre lang die Pointen serviert und in der komödiantischen Abnutzung so lange die Freundschaft geklaut haben, bis sie sich spinnefeind wurden, sie sollen es als miteinander verkrachte Existenzen ein letztes Mal miteinander probieren. Obwohl der Slapstick längst zum Krückstock geworden ist. Aber auch damit lässt sich einprügeln, und die erste komische Probe in Willie Clarks abgetakelten Appartement wird bereits zum Ernstfall.

Natürlich spiegelt das Theater auch hier das Leben, denn Clark und Lewis könnten ebenso gut ein altes Ehepaar sein, zwischen Rechthaberei und Alzheimerei. Wobei die professionelle Verstellungskunst noch das Alzobheimern mitschwingen lässt. Neil Simons „Sonny Boys“, von Walter Matthau und Jack Lemmon bis zu Minetti, Woody Allen und Gert Voss gespielt, bleiben allzeit reif für eine nicht nur im Theater älter werdende Gesellschaft. Mit diesem zwangsläufig Sympathien weckenden Vorverständnis operiert Peter Striebecks Willie Clark nun weniger an der Wunde der Sterblichkeit, des tückischen Gebrechens oder der tieferen Altersbosheit. Er kuriert eher am offenen Herzen des Publikums: ein liebenswerter, weißhaarig strubbeliger alter Junge, auch auf dem Krankenbett noch im vollen Saft,also kein trocken gewordener Scherzkeks. Fabelhaft freilich konterkariert ihn Ralf Schermuly als Al Lewis, der hier vom einst unkoscheren Rampenschwein zum distinguierten, jüdischen älteren Herr geworden ist: mit einem sphärischen Lächeln und Augen, aus denen ein engelhafter Teufel ebenso wie ein kluger Kindskopf oder ein erblindender Seher schauen mag. Diese filigran sinistre Komik wirkt zauberhaft. It’s magic.

Benjamin Korn hat so das Uhrwerk der Komödie, auch mit den Nebendarstellern, präzise eingestellt, voller Gespür für Rhythmus und Timing. Das freut – und lässt zugleich fragen, warum dieser 1982 nach Paris gegangene Regisseur und glänzende Essayist (sein Bruder ist Salomon Korn, der Kopf im Zentralrat der Juden Deutschlands) nicht wieder öfter zu sehen ist im deutschen Theater. Jenseits des Boulevards. Ein so geistvolles, aus Bildung und Erfahrung phantasiereiches Temperament fehlt auf der Szene.

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