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Kultur: Am Ort der Erinnerung

Als die Taliban im März diesen Jahres die jahrhundertealten Buddha-Statuen im zentralafghanischen Bamiyan sprengten, wurde der Begriff des "Weltkulturerbes" mit einem Mal aus seiner Vergangenheitsseligkeit gerissen. Es wurde deutlich, wie gefährdet, aller vermeintlichen Aufklärung zum Trotz, gerade Kulturgüter sind, wenn sie als Zielscheiben ideologischer Projektionen dienen.

Als die Taliban im März diesen Jahres die jahrhundertealten Buddha-Statuen im zentralafghanischen Bamiyan sprengten, wurde der Begriff des "Weltkulturerbes" mit einem Mal aus seiner Vergangenheitsseligkeit gerissen. Es wurde deutlich, wie gefährdet, aller vermeintlichen Aufklärung zum Trotz, gerade Kulturgüter sind, wenn sie als Zielscheiben ideologischer Projektionen dienen.

Nicht nur in Bamiyan hat sich das Schutzschild des "Unesco-Weltkulturerbes" als zerbrechlich erwiesen. Am Dienstag erst hat Unesco-Generaldirektor Koichiro Matsuura zum Schutz der Altstadt von Jerusalem aufgerufen, um auf die Terroranschläge des 11. September "eine Antwort mit kulturellen Dimensionen zu finden". Ungleich häufiger als Kriegsschäden aber und in manchen Ländern geradezu die Regel ist die schleichende Zerstörung im Alltag. Sie ist die Folge von Nachlässigkeit und Umweltbelastung, von wirtschaftlicher Not ebenso wie von wirtschaftlicher Nutzung. Das Stichwort für letzteres lautet Tourismus. Den Bildungsbeflissenen erinnern die Absperrungen auf der Athener Akropolis daran, dass selbst ein vorsichtiges Betreten zu viel sein kann - zu viel der für die Erhaltung, der die Verliehung des Unesco-Siegels doch dienen soll.

Unlängst haben sich die 24 Welterbestätten, die in Deutschland das Privileg des Unesco-Prädikats genießen, zu einem Verein mit Sitz in Quedlinburg zusammengeschlossen. "Mit gemeinsamen Aktivitäten" - so die Gründungsverlautbarung vom 27. September - "sollen die Bekanntheit der deutschen Welterbestätten im In- und Ausland gesteigert und eine hochwertige und denkmalverträgliche touristische Entwicklung gefördert werden." In der vorsichtigen Formulierung schimmert das Problem durch, das der werbewirksame Welterbe-Status mit sich bringt. Tourismus, in prä- wie post-industriellen Regionen als Wachstumsbranche begrüßt, ist seinerseits eine Hauptursache der weltweit zu beobachtenden Schäden am kulturellen Erbe.

Es geht um die Frage, wie das überkommene Erbe am besten zu sichern, zu schützen und zu erhalten ist - nicht allein für die Generation der Lebenden, sondern auf unbestimmte Zeit. Diesem Ziel dient die Unesco-Konvention von 1972, die die Welterbeliste begründet hat. Sie soll - in den beiden Bereichen des "kulturellen" und des "natürlichen Erbes" - jene Objekte benennen, "für dessen Schutz die Völkergemeinschaft als Ganzes zur Zusammenarbeit verpflichtet ist". Das sind hehre Worte. Tatsächlich zuständig für die Durchsetzung des Schutzanspruchs ist und bleibt natürlich der jeweilige Staat, in dem sich das betreffende Denkmal befindet. Zwar muss mittlerweile ein stringentes Konzept zu Schutz und Erhaltung vorgelegt werde, um vor den Augen der Welterbekommission Gnade zu finden - aber dessen Durchsetzung erzwingen kann die Unseco nicht. 160 Staaten sind mittlerweile der Konvention beigetreten, die überhaupt erst 1975 - nach der erforderlichen Ratifizierung durch 20 Staaten - wirksam geworden ist. Inzwischen ist das Signum der Welterbeliste begehrt. 691 Stätten sind derzeit auf der Liste verzeichnet, und die schiere Zahl lässt erkennen, dass das am häufigsten in Anspruch genommene Kriterium der "weltweiten Einzigartigkeit" - es gibt weitere und differenziertere für die Aufnahme - immer schwieriger zu begründen und dauerhaft zu vertreten ist.

Die Welterbekommission hat daraus die Konsequenzen gezogen. Dem Mengenwachstum insbesondere der jüngsten Jahre will sie abschwören. Je Land und Jahr soll künftig maximal ein weiteres Denkmal in den Rang des Welterbes erhoben werden können, und gegenüber den im Gebrauch des notwendigen Instrumentariums routinierten Ländern des Westens sollen die der Dritten Welt Vorrang erlangen. Gerade für Deutschland bedeutet diese Entscheidung eine Zäsur. Denn die Zahl der deutschen Welterbestätten hat in den vergangenen sieben Jahren von dreizehn auf 24 zugenommen. Insbesondere die neuen Bundesländer haben ihren Nachholbedarf erfolgreich geltend machen können. Da die deutschen Anträge, der Kulturhoheit der Länder gemäß, im Rahmen der Kultusministerkonferenz (KMK) ausgehandelt werden, war eine solche numerische Gleichstellung unvermeidlich. So kommt es, dass Sachsen-Anhalt mit nunmehr vier Welterbestätten gar an die Spitze der regionalen Verteilung gelangt ist.

Man darf die Vereinsgründung auch als Reflex auf die Selbstbeschränkung der Unesco interpretieren. Mit Zuwachs ist in naher Zukunft nicht mehr zu rechnen. So kommt auch die eindrucksvolle Dokumentation zum rechten Zeitpunkt, mit der sich die deutschen Welterbestätten der breiten Öffentlichkeit präsentieren. Die Erstauflage des opulent bebilderten Buches erschien 1994, als gerade die Potsdamer Schlösser und Gärten Aufnahme in die Weltliste gefunden hatten, ansonsten aber eine zehn Positionen umfassende Liste, verabschiedet von der KMK Ende 1992, erst einmal auf den komplizierten Antragsweg gebracht worden war. Beinahe müßig zu sagen, dass alle seinerzeit aufgeführten Stätten mittlerweile aufgenommen worden sind. Jetzt aber ist eine Topographie des Weltkulturerbes auf deutschem Boden entstanden, die sich in absehbarer Zeit kaum mehr verändern wird - und die auf den Hochglanzseiten des Buches wie geradezu als Idealbild deutschen Kulturerbes daherkommt.

An der Unesco-Liste ist oft bemängelt worden, dass sie auf einen überkommenen Begriff des Erbes fokussiert sei. Der Vorwurf trifft zu - aber die beklagte Tatsache spiegelt die Präferenzen der antragstellenden Länder. So auch in Deutschland: Anfangs waren es ausschließlich die Dome und Schlösser ferner Vergangenheiten, die als "weltweit außergewöhnlich" benannt worden waren. Im Laufe der Jahre kamen räumliche Ensembles hinzu, geschlossene Ortsbilder; und erst zum Schluss auch Zeugnisse der jüngsten und gar nicht so hehren Vergangenheit. So muss das Hüttenwerk im saarländischen Völklingen die weniger glänzende, aber prägende Umwälzung des 19. und 20. Jahrhunderts repräsentieren: die Industrialisierung.

Das Wort "repräsentieren" verweist auf einen weiteren Wandel in der Charakteristik der Denkmäler. Ihr Wert, ihre Bedeutung hat sich vom physischen Objekt selbst zu dem hin verschoben, wofür sie stehen. Stärker als zuvor handelt es sich um "Gedächtnisorte", an denen sich die kollektive Überlieferung heftet. Diese Entwicklung folgt dem Wandel des Denkmalbegriffs. So ist nicht einmal abzusehen, dass die Völklinger Hütte über wenige Jahrzehnte hinaus erhalten werden kann. Ihre stählernen Bauteile rosten dahin, aber das Ensemble insgesamt steht für die Industrie und die mit ihr verbundenen Lebensformen, die ohne das materielle Zeugnis des Hüttenwerks kaum mehr zu begreifen sein werden. Ähnliches gilt für das Dessauer Bauhaus, dessen Denkmalwert noch übertroffen wird von seiner Bedeutung als Geburtsstätte der modernen Gestaltung.

Gewiss dominieren weiterhin die "klassischen" Monumente: die Dome zu Aachen, Speyer und Köln, die Residenzen zu Würzburg, Brühl und Potsdam, die Altstädte von Bamberg, Lübeck und Quedlinburg. Aber die Neuzugänge akzentuieren spürbar den Aspekt der Vergegenwärtigung geschichtlicher Epochen. Dafür stehen Wartburg und Wittenberg als Orte der Reformation, steht Weimar als Mittelpunkt der deutschen Literatur. Die Berliner Museumsinsel bezeugt das Bildungsideal des Bürgertums, und das Bauhaus schließlich dokumentiert den Geltungsanspruch der Moderne als Neugestaltung des ganzen Lebens.

Es ist kein Zufall, dass die Benennung "einzigartiger" Denkmäler umso schwerer fällt, je näher ihr Ursprung an unsere Gegenwart rückt. Seit dem Anbruch der Moderne haben sich die Unterschiede in der materiellen Erscheinung der Kulturen weltweit immer mehr abgeschliffen. Das Völklinger Stahlwerk unterscheidet sich allenfalls graduell von solchen in Korea oder Brasilien. Zugleich ist die Moderne des Industriezeitalters im Verschwinden begriffen, ohne Zeugnisse zu hinterlassen, die es an singulärer Bedeutung mit denjenigen längst vergangener Epochen aufnehmen können.

Auch unter diesem Aspekt bietet das selbstauferlegte Moratorium der Welterbe-Kommission eine Chance. Angesichts der Bedrohung der Monumente durch Übernutzung, Vandalismus und Terror auf der einen Seite und ihres geistigen Entschwindens in einer immer begriffenen Vergangenheit auf der anderen besteht jetzt die Gelegenheit, Wert und Verpflichtung der materiellen Geschichtszeugnisse neu zu bestimmen. Der Verein "Unesco-Welterbestätten Deutschland" ist auch mit dieser anspruchsvollen Aufgabe gefordert.

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