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America first. Donald Trump lässt sich bei einem Auftritt feiern.

© AFP

Amerika im Sommer 2018: Die endlose T-Party

Sommer an der Ostküste der USA, zu Besuch bei Freunden und Verwandten. Das Thema Trump ist allgegenwärtig. Eindrücke aus einem gespaltenen Land, das um seine demokratische Verfassung ringt – und bald wieder wählt.

Einreise. Der Immigration Officer im Newark International Airport fragt mich in einem freundlichen, ehrlich interessierten Ton nach dem Syrien-Visum in meinem Pass. Ich treffe hier eigentlich immer auf Beamte, die ruhig und gelassen ihren Job machen. Seit Trump die Einreisebedingungen verschärft hat, häufen sich Berichte über Vorfälle bei der Kontrolle: Auch US-Bürger werden stundenlang festgehalten, verhört, diskriminiert. Ich sehe weder arabisch aus noch habe ich einen scheinbar verdächtigen Namen, nur dieses syrische Visum. Ich habe einfach nur Glück. Wir waren Anfang 2011 in Aleppo, kurz bevor die Demonstrationen begannen, die Diktator Assad brutal niederschlug; der Beginn eines internationalen Bürgerkriegs, der andauert. Syrien, höre ich mich ausführen, ist eine der ältesten Kulturregionen der Welt, seit biblischen Zeiten. Urvater Abraham soll auf dem Hügel von Aleppo seine Schafe geweidet haben ... Was rede ich da! Ich lege meine Finger auf das Lesegerät, schaue in die Kamera. Der Beamte nickt und stempelt meinen Pass. Als Assads von den Russen gestütztes Militär Giftgas auf die Zivilbevölkerung abwarf, übertrat er die „rote Linie“, die US-Präsident Obama gezogen hatte. Nichts geschah.

"Diese Frau" verhindert

Dinner. Ein Verwandter hat einen alten Highschool-Kumpel mitgebracht, einen jungen Mann von Anfang dreißig, leicht angetrunken. Ein Trumper. Macht nichts, denke ich, das ist ein freies Land, man kann miteinander sprechen, man muss doch über alles diskutieren. Dann legt Rich los: Er wolle die USA verlassen, weil Trump das Land nicht schnell genug in Ordnung bringe. Ich antworte: Trump wird das Land nicht reparieren, sondern kaputt machen. Er sagt: Als ich heute morgen erwachte, war ich glücklich, dass „diese Frau“ nicht Präsidentin geworden ist. Der junge Mann will auswandern. Seine Mutter stammt von den Philippinen, da will er hin. Über die Bemerkung, dass auf den Philippinen mit Rodrigo Duterte ein brutaler, krimineller Diktator herrsche, lächelt er.

Prime Time TV. Ist er tot? Die Dame ist über neunzig, sie lebt in einem Haus an der Küste von New Jersey, wo wir sie gern besuchen. Is he dead? Jeden Morgen schiebt sie sich mit dem Rollator ins Fernsehzimmer, schaltet CNN ein und hofft auf die erlösende Nachricht. Aber es beginnt ein neuer Tag mit Donald Trump, der Präsident erfreut sich bester Gesundheit und die Republikanische Partei zieht wieder den Schwanz ein, der ihr längst coupiert wurde. CNN läuft auch abends, wenn wir noch einmal bei der Dame vorbeischauen, Nachrichtenanalyse mit Anderson Cooper, Chris Cuomo, Don Lemon, eine Stunde jeweils. Fake News: Trumps Begriff für erstklassigen, nachhaltigen, investigativen Journalismus, witzig, meinungsstark, von hohem persönlichen Profil.

Ein CNN-Reporter, der von einer Trump-Veranstaltung berichtet, wird vom Mob angegangen. Von Trumps Hassreden gegen „die Medien“ angestachelt, nehmen Morddrohungen gegen Journalisten zu. Ein Kommentator der „New York Times“ schreibt: „Wenn es so weit kommen sollte, klebt an Trumps Händen Blut.“ Wer nicht die „Times“ oder die „Washington Post“ liest und Fox News einschaltet, bekommt von diesen Skandalen so gut wie nichts mit. Man kann in den USA auf diesem oder jenem Planeten leben. Aber man kann Trump nicht entkommen. Der Präsident ist auf die eine oder andere Art Dauerthema, omnipräsent wie sein neuer Freund Kim Jong-un in Pjöngjang, mit einem Schuss Kim-Kardashian-Reality-TV.

Es kann wieder passieren

Demokratur. Das störanfällige US-Wahlsystem, in dem Al Gore und Hillary Clinton mit der absoluten Mehrheit der Stimmen verloren haben, weil die Zahl der Wahlleute entscheidet, hat das Unwahrscheinliche möglich gemacht. Donald Trump ist der 45. Präsident der USA. Und es kann wieder passieren. Trump ist jetzt für die Midterm-Elections im November auf Tour. Er bringt sich für die Präsidentschaftswahl 2020 in Stellung, er macht permanent Wahlkampf. Indem er sich über ungeschriebene Gesetze hinwegsetzt, stellt er sich über das Gesetz.

Wir müssen aber nicht mit dem Finger nach Westen zeigen: Wie Demokratie in diktatorische Verhältnisse hinübergleiten, zeigen die europäischen Beispiele Polen und Ungarn, dazu gehört auch die Türkei. Der Prozess läuft so, dass eine demokratisch gewählte Regierung das tut, was bisher tabu war, und jeden Tag eine andere Vereinbarung bricht. Sie verschiebt die Realität wie Torpfosten auf einem Spielfeld. So hat es ein CNN-Journalist formuliert. Es ist nicht mehr dasselbe Spiel. Als ich Trumps deutsche Wurzeln erwähne, springen meine Gastgeber auf: Nehmt ihn bitte zurück und schickt uns Angela Merkel. Merkel for President!

Der große Spalter

Vietnam. Steven Spielbergs Film „The Post“ (Die Verlegerin) dreht sich um die Veröffentlichung der „Pentagon Papers“ in der „New York Times“. Der Krieg in Vietnam erschien danach in einem anderen Licht. Sie legten die Lügen der US-Regierung offen und warfen die Frage auf, wie viele junge Amerikaner sterben mussten, weil ein US-Präsident zu Hause an der Macht bleiben wollte. Der Supreme Court stellte sich seinerzeit auf die Seite der freien Presse. Ob das oberste Gericht der USA, in dem Trump Juristen nach seinem Geschmack platziert, und zwar auf Lebenszeit, heute und in zehn oder zwanzig Jahren auch so entscheiden würde?

Ich frage einen Freund in New York, einen pensionierten Wirtschaftswissenschaftler, ob Johnson, Nixon und Bush junior nicht schlimmer waren als Trump. Sie haben Kriege geführt, Länder zerstört, unzählbare Menschen auf dem Gewissen. Nixon bekam sein Impeachment, nach Watergate flog er aus dem Amt. Mir ist auch klar, dass Trump zu einem militärischen Wahnsinn in der Lage ist, er wollte ja schon in Venezuela einmarschieren. Wie war das also damals? Monty sagt: Beim Vietnamkrieg gingen die Menschen auf die Straße, sie protestierten massenhaft, sie veränderten die Gesellschaft. Das System, sagt er, war noch intakt, man kehrte doch immer zu den Spielregeln zurück. Er will jetzt den Demokraten helfen und dafür sorgen, dass es bei den Wahlen ordentlich zugeht, zum Beispiel in kleineren Orten in Pennsylvania. Trump ist ein so stabiles Feindbild, dass Bernie-Sanders-Anhänger im August 2018 noch immer wütend sind auf Hillary Clinton und die Hierarchen der Demokratischen Partei. Gut für Trump. Er ist ein großer Spalter – in einem Land, das nicht einmal mehr ordentliche Wahlen garantieren kann.

Reiselektüre. Joan Didions Geschichten vom „Süden und Westen“ sind bald fünfzig Jahre alt. Sie wurden erst kürzlich in einem schmalen Band veröffentlicht. Anno 1970 fuhr die junge Journalistin in dem großen Land herum. Was sie damals beschrieben hat und was wir nach so langer Zeit zu lesen bekommen, ist die Peilung eines Untergrunds an der Oberfläche, immer schon sichtbar und aktiv. Das radikale Anderssein der Südstaaten, die Banalisierung des Alltags, Rassismus und Indolenz, religiöser Fanatismus, Misstrauen gegenüber der Presse, das Gefühl, etwas Besseres zu sein, womöglich auserwählt – es hat Tradition.

Es ist auch nicht nur der „Süden“. Es war nie nur der Rand der amerikanischen Gesellschaft, sondern genuiner Teil einer Nation, die nach zwei Amtszeiten eines schwarzen Präsidenten offensichtlich das Bedürfnis hatte, einen zwielichtigen Geschäftsmann mit rassistischen und sexistischen Ansichten ins Weiße Haus zu wählen, jedenfalls nicht eine erfahrene Politikerin. Quer durch die Gesellschaft wählten sie einen Mann, der eine Mauer bauen will, der die USA abschottet – und offenhält für russische Einflussnahme. Russia first!

Waffenbau und Redefreiheit

Pro Life. Abtreibung ist eines der heißesten politischen Themen der USA. Es ist ein religiös besetztes Thema. Trump kann so viele Affären mit Stripperinnen und Playmates gehabt haben, wie er will. Solange er gegen abortion ist, steht die Basis zu ihm. Es sind dieselben Leute, die vehement pro guns eintreten und kein besonderes Problem damit haben, wenn ein normaler Irrer mit automatischen Waffen eine Schulklasse niedermacht. Pro Life heißt in dieser Welt auch: für Todesstrafe – die Papst Franziskus soeben für unchristlich erklärt hat. Aber Rom ist fern.

Waffen aus dem 3-D-Drucker sollen illegal sein. Sagt ein Gericht. Das Verbot hängt auch damit zusammen, dass die National Rifle Association ihre eigene Industrie schützen will. Die 3-D-Drucker-Lobby wiederum setzt auf die Freiheit des Wortes: Schließlich werden beim Ausdruck einer solchen Pistole Gebrauchsanweisungen umgesetzt, also geschriebene Sprache, ein geschütztes Gut. In den USA gewinnt man den Eindruck, dass die Verfassung vor allem die Radikalen schützt. Ich erinnere mich an eine Reise durch Oklahoma und Texas vor 15 Jahren. Wir besuchten entfernte Verwandte. Der achtzigjährige Fred lud uns zum Lunch ein, wir fuhren in seinem Pick-up. Ich sah die Waffe im Handschuhfach und fragte: Wozu brauchst du die? Er sagte: Man muss vorbereitet sei, wenn sie kommen. Sie! Kommunisten, Aliens, Mexikaner ... Wir gehen in einen Burgerladen. Fred schließt den Wagen nie ab. Die Waffe ist immer geladen.

Fake News für die gute Sache

Freaks. Eine gespaltene Gesellschaft, das sagt sich so leicht. Es ist viel Hass im Land, radikale Rechte träumen vom Bürgerkrieg, warum soll sich da das liberale Kalifornien nicht abspalten von der Union, wie auch schon zu hören ist? Worin besteht der Zusammenhalt, auf mittlere Sicht? „The Greatest Showman“ ist ein Musicalfilm über den Zirkusunternehmer P. T. Barnum, im Stil von „La-La-Land“. Von Kritikern verrissen, hat sich das Werk zu einer Kultveranstaltung und Geldmaschine entwickelt. Viele Fans gehen, fünf-, zehn- oder zwanzigmal hin, singen und klatschen mit, feiern die Multikulti-Zirkustruppe, die Clowns und Freaks, denen Barnum eine Heimat gibt, eine Familie, die er starkmacht gegen alle gesellschaftlichen Vorurteile. Allein, der Film mit Hugh Jackman in der Hauptrolle hat mit dem historischen Barnum des 19. Jahrhunderts nichts gemein. Der war ein Ausbeuter, Schwindler, ein Trump des frühen Showgeschäfts – das Gegenteil des Draufgängers, der als „Greatest Showman“ so sympathisch durch die Manege wirbelt, angeblich Vertreter eines besseren, toleranten, für alle Menschen offenen Amerikas. Der Film ist Fake News für die gute Sache, ein schlimmes und zugleich bewegendes Machwerk: Es spendet Trost und gibt den Menschen Kraft, die sich verfolgt und missachtet fühlen.

Das gilt auch für die Trumpers. Sie haben die Liberalen satt, wollen ihr Land zurück, das ihnen niemand weggenommen hat, sie verehren ihren Zirkusdirektor wie einen Unantastbaren. Es gibt Menschen in den USA, die halten Donald Trump für ein Geschenk Gottes. Das Publikum will betrogen werden. Barnum war mit dieser Einstellung äußerst erfolgreich.

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