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Kultur: Amerikas Literatur „minderwertig“ Nobelpreis-Sekretär löst Sturm der Entrüstung aus

Stockholm - Das Interview platzte wie eine Bombe. Nur wenige Tage vor der Bekanntgabe des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers hat der ständige Sekretär des Preiskomitees in Stockholm, Horace Engdahl, die amerikanische Literatur pauschal als minderwertig abgestempelt.

Stockholm - Das Interview platzte wie eine Bombe. Nur wenige Tage vor der Bekanntgabe des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers hat der ständige Sekretär des Preiskomitees in Stockholm, Horace Engdahl, die amerikanische Literatur pauschal als minderwertig abgestempelt. In einem Interview mit der amerikanischen Nachrichtenagentur AP erklärte Engdahl, warum amerikanische Schriftsteller gerne bei der Vergabe des weltweit wichtigsten Literaturpreises übersehen werden. Amerikanische Autoren seien zu opportunistisch. Beim Streben nach Erfolg ließen sie sich zu sehr von „Trends ihrer eigenen Massenkultur“ treiben.

„Das zieht die Qualität ihrer Arbeiten nach unten“, verkündete Engdahl. Die USA „übersetzen nicht genug, und sie nehmen nicht wirklich am großen Dialog der Literatur teil. Diese Unwissenheit ist hinderlich“, sagte der 59-jährige Schwede. Zwar gebe es gute Literatur in allen Kulturen, aber „man entkommt nicht der Tatsache, dass Europa noch immer im Zentrum der literarischen Welt steht, nicht die USA“. Mit diesen Äußerungen löste der Nobelpreis-Sekretär einen Orkan der Entrüstung aus.

Selbst die Literaturkritiker der schwedischen Zeitungen, die sonst selbst eifrig Kritik an amerikanischen Kulturprodukten betreiben, befürchten nun, dass der gute Ruf des Nobelpreises Schaden nehmen könnte. Denn die amerikanische Literaturelite tobt: „Primitiver Antiamerikanismus“ sei ausschlaggebend dafür, dass seit Toni Morrison vor 15 Jahren kein Amerikaner mehr den Literaturnobelpreis bekommen habe. „Man könnte voraussetzen, dass der ständige Sekretär einer Akademie, die sich als weise ansieht, aber Schriftsteller wie Proust, Joyce und Nabokov verpasst hat, uns solche kategorischen Aussagen erspart“, merkt David Remnick, Kulturredakteur beim „New Yorker“, süffisant an. „Wenn Engdahl sich etwas mehr mit der literarischen Szene in den USA beschäftigt hätte, würde er die Vitalität in der jüngeren Schriftstellergeneration, aber auch der Generation Roth, Updike und Don de Lillo bemerken. Keiner von diesen Mitgescholtenen wird nennenswert von der Coca-Cola-Tyrannei beeinflusst.“

Auch in Schweden nimmt die Kritik zu. Die Schwedische Akademie sei, seit Engdahl 1997 ihren Vorsitz übernommen hat, zu einer „PR-Maschine“ verkommen, schreibt die Tageszeitung „Sydsvenskan“. Einige Kritiker fordern sogar Engdahls Rücktritt. Er hat seine Äußerungen zwar inzwischen relativiert, will aber im Amt bleiben. Jedenfalls bis zum Donnerstag: Dann wird er als Vorsitzender des Stockholmer Preiskomitees gegen 13 Uhr den Namen des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers bekannt geben. Den großen US-Romanciers Thomas Pynchon und Philip Roth werden gute Chancen eingeräumt. André Anwar

André Anwar

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