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Kinderspiel. In „La Dolce Siria“ von 2015 zeigt Ammar al-Beik zwei Jungen in Aleppo, die mit einer alten Kamera hantieren.

© Ammar al-Beik

Ammar al-Beik im Porträt: Das Herz des Bären

Der syrische Künstler Ammar al-Beik ist weltweit gefragt. Seit 2014 lebt er in Berlin. Das Haus am Waldsee zeigt nun seine Werkschau „One to free“.

2011 gibt es kein Zurück mehr. Ammar al-Beik muss seine Heimat Damaskus verlassen. Zu unverhohlen ist die Kritik an Assads Regime, die er in seinen Filmen geübt hat. Über Beirut und Dubai flieht er 2014 nach Berlin. Acht Monate Aufenthalt in einem Containerlager für Geflüchtete, dann kann er umziehen in eine eigene Bleibe in der Pankstraße. Sie wird Wohnung und Atelier zugleich, winzig zwar, aber doch ein Raum für ihn und seine Kunst. Die syrische Heimat ist von nun an praktisch unerreichbar. Seine kleine Tochter wächst fernab auf, bei seiner Ex-Frau in Griechenland.

Ammar al-Beik rettet sich in die Arbeit. Der Künstler hat sich bereits einen Namen gemacht, nicht nur im Nahen Osten. Seine Filme laufen auf internationalen Festivals, 2007 und 2011 auf der Biennale in Venedig, 2015 auch auf der Berlinale. Seine Installationen und Collagen werden auf der ganzen Welt gezeigt, vom Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Seoul bis zum MoMa in New York – und jetzt auch im Haus am Waldsee, einem Ort, der vor allem die Arbeit von Berliner Künstlern vorstellt. Dort ist al-Beiks Werkschau „One to free“ zu sehen, benannt nach einem Wortspiel aus der Zeit, als seine Tochter lernte, auf Englisch zu zählen.

Die Ausstellung führt zum ersten Mal in Deutschland alle Facetten von Ammar al-Beiks Arbeit zusammen. Fotografien, Collagen, Installationen, vor allem Experimentalfilme – er hat immer neue Wege des Ausdrucks gefunden, ganz egal, wo er sich gerade befand. 2011 begegnete er in Beirut einem krankheitsgeplagten Schuhputzer, der auch im hohen Alter Geld für seine Familie erarbeiten musste. Sein Schicksal beschäftigte al-Beik dermaßen, dass er daraus ein Kunstwerk machte, eine Hommage.

„Boya Boya Boya“ heißt es, benannt nach einem in Beirut wohlbekannten Schlager über einen anderen armen Schuhputzer. Im Haus am Waldsee nimmt die Installation einen ganzen Raum ein. In der Mitte steht der blaue Metallkasten mit den Putz-Utensilien: Tücher, Bürsten, Tuben. Ringsum an den Wänden hängen vergrößerte Abbildungen dieser Gegenstände, schön eingerahmt und hinter Glas. „Erst ist es Leben, dann wird es Kunst“, erklärt al-Beik bei einem Rundgang durch die Ausstellung. In seiner Arbeit hält er ein Stück Wirklichkeit fest und gibt gleichzeitig wieder, wie sie zu Kunst mutiert.

Seine Kunst ist auch persönlich

Der 46-Jährige, ein energiegeladener Mann, stämmig, nicht allzu groß, schaut mit genauem Blick auf soziale und politische Probleme. Er will vordringen zum wahrhaften Kern der Dinge, das ist ablesbar an seinen Filmen, deren kritische Wucht mit Beginn des Aufstandes gegen Assad noch zugenommen hat. Neun seiner Filme sind in der Ausstellung im Haus am Waldsee zu sehen, teils auf Fernsehern, teils auf Leinwänden.

Seine ersten Filmarbeiten kommen noch als sanfte Bildkompositionen daher, als „in Licht geschriebene Poesie“, wie er es nennt. „Light Harvest“ (1997) zum Beispiel: die Arbeiter einer Mühle im Gegenlicht, das Ballett ihrer Füße, ein Mittagsschlaf auf einem Haufen von Mehlsäcken. Es ist nicht irgendeine Mühle, deren Arbeiter er in „Light Harvest“ filmt, sondern die Mühle hinter dem Haus seiner Mutter, bei der al-Beik aufwuchs. Seine Kunst ist immer auch persönlich.

Ammar al-Beik behält seinen Humor

In späteren Filmen arbeitet er mal mit der Kamera, mal mit dem Handy, und montiert diese Szenen mit Ausschnitten, die er auf YouTube findet, zum Beispiel von der Belagerung syrischer Städte. Alles wild, assoziativ, frei. In der Fellini- Hommage „La Dolce Siria“ (2015) zeigt er Kinder von Freunden in Aleppo, die mit einer alten Kamera spielen. Über ihnen: das Gebrause von Scud-Raketen, die sie bereits am Geräusch erkennen. Der subjektive Charakter zieht sich durch al-Beiks Werk. In „The Sun’s Incubator“ (2011) kombiniert er Aufnahmen von der Geburt seiner Tochter mit Ausschnitten aus einer Nachrichtensendung, die die Verletzungen eines 13-Jährigen vorführt, der vom Regime zu Tode gefoltert wurde. Allen Ungeheuerlichkeiten zum Trotz – das Leben geht weiter.

Ammar al-Beik hat es ins Exil nach Berlin geführt. Hier ist seine jüngste Arbeit entstanden, die Collage „ichbinhier – hierbinich“. Auf der sechs mal zwei Meter großen Leinwand führt er Stationen seiner Flucht zusammen. Das Meer lässt sich erkennen, ein kleines Spielzeugschlauchboot – Spuren eines entbehrungsreichen Weges. Aber auch der Berliner Bär und gleich darunter: die Abbildung eines Tierherzes. „Wer nicht das Herz eines Bären hat, kann die Flucht nicht schaffen“, sagt al-Beik. Daneben, beinahe absurd, der Schriftzug einer Supermarktkette und das längste deutsche Wort, das der Künstler gefunden hat: Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz.

Ammar al-Beik behält seinen Humor, und auch der findet Eingang in sein Werk. Genauso wie die Flucht, die Sehnsucht nach seiner Tochter und die Ankunft in einer neuen Heimat. Selbst wenn sie nur eine Heimat auf Zeit bleiben sollte.

Bis 5. Mai, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Di–So 11–18 Uhr

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