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Kultur: An der Nordseeküste

Eine ganz besondere Fabrik, ein Kutter namens „Wotan“und viele, viele Krabben: Wie sieht die Zukunft der deutschen Fischer aus? Ein Besuch im Hafen von Büsum.

Von Andreas Austilat

Wenn Norbert Temming mal nicht so gut drauf ist, dann spricht er über seinen Traum: Einen Job, in dem er sich jeden Tag von 22 Uhr bis fünf in der Früh ins Bett legen kann. Aber um sich diesen Traum zu erfüllen, müsste Temming sein Schiff verkaufen, die „Wotan“, 18 Meter lang, 90 Tonnen schwer. Leider will den Fischkutter mit den himmelblauen Aufbauten im Moment nur niemand haben. Dabei wäre die Gelegenheit günstig, denn Temming ist gerade nicht so gut drauf.

Kam vielleicht ein bisschen viel zusammen diese Woche. Erst dieser Sturm, als sie alle drinnen bleiben mussten, im Büsumer Hafen. Dann kriegte er es ganz fürchterlich im Kreuz, konnte wieder nicht auslaufen. Und jetzt sitzt der 48-Jährige immer noch ein bisschen steif da, schaut seinem Matrosen zu, der das Deck mit grauer Farbe streicht. Die „Wotan“ aber liegt derweil fest vertäut am Fischerkai, mutterseelenallein, denn die anderen, die sind längst draußen.

Nur ein einziges Schiff im Hafen, das ist schade, wenn man eigens nach Büsum gekommen ist, zu schauen, wie es der deutschen Fischerei geht, einem Wirtschaftszweig, in dem 44 000 Menschen arbeiten, der im Jahr 2000 noch 13 Milliarden Mark umsetzte und in dem alle Beteiligten glauben, Grund zur Klage zu haben. Die Fischer, die um ihre Erwerbsgrundlage fürchten, weil ihnen jedes Jahr neue, geringere Fangquoten beschert, die Fischesser, weil ihr Nahrungsmittel immer teurer wird und die Fische, denen es ans Leben geht. Und das in einem Ausmaß, dass viele Experten sich ernsthaft Sorgen um die Bestände machen.

Eigentlich ist Büsum kein schlechter Ort, wenn man etwas über Fischerei erfahren will. Wo die Straßen Kattegat heißen und die Restaurants „Tum Stüürmann“ und „Zur Fischerbörse“, kann man so verkehrt nicht sein. Lange bevor man den Hafen überhaupt sieht, riecht man dieses Aroma aus Salz und vor allem Fisch. Wobei nicht ganz klar ist, ob der Geruch tatsächlich vom Hafen kommt oder aus einem der zahlreichen Lokale, die die Straße säumen und allesamt Scholle und Heringe, Seezunge und immer wieder Krabbenbrötchen anbieten. Hochseefischerei gibt es hier nicht, doch die liegt an der deutschen Küste ohnehin längst am Boden. In der Küstenfischerei aber ist Büsum mit seinen 4300 Einwohnern immer noch der größte Hafen an der Holsteinischen Nordseeküste.

Temming sieht aus, wie man sich einen Fischer vorstellt, der seit 30 Jahren zur See fährt: Braun gebrannt und schnauzbärtig. Auf dem rechten Unterarm hat er eine Narbe. Das ist vor Helgoland passiert, im Sturm riss es den Monitor mit dem Echolot aus der Verankerung. Der schwere Kasten hat ihm glatt die Sehnen durchtrennt, da musste er sein Schiff mit links durch die Wogen steuern. Auf dem anderen Unterarm trägt er eine Tätowierung, ein mächtiges Schiff unter vollen Segeln. „Ein Viermaster?“ – „Dreimaster“ antwortet Temming, „als ich den habe machen lassen, passte noch kein Viermaster auf meinen Unterarm.“ Das war vor 30 Jahren, Temming fuhr für die Nordsee-Kette auf einem Fischtrawler bis nach Grönland. Heute hätte sicher auch ein Viermaster auf seinem Arm Platz.

Temming hat das Patent für die große Fahrt, hat dafür vier Semester Wetterkunde studiert, Nautik, Seemannschaft und Seerecht. Wäre eigentlich nicht nötig gewesen, für den Kutter, den er sich dann kaufte, denn mit dem brauchte er nicht weiter raus als 40 Seemeilen. Dafür reicht das kleine Patent. Waren gute Jahre damals, noch in den 80ern konnte er zum Beispiel gut von der Seezunge leben. Die kreuzt normalerweise immer im April in seinem Fanggebiet auf. In diesem Juni war sie immer noch nicht da, und jetzt, jetzt kann er die Seezunge für dieses Jahr endgültig abhaken.

Der Wolfsbarsch hat’s gern eng

Wo sie hin ist, weiß keiner so genau. Vielleicht ganz einfach weggefischt, weiter draußen, wo Temming mit seinem 250-PS-Diesel gar nicht hinkommt. Wo die größeren Kutter kreuzen, deren Netze die ganzen 30 Meter vom Meeresgrund bis zur Wasseroberfläche abdecken. Oder der Fisch ist zu schnell geworden für die geringe Fahrt, die Temming macht. Ja, auch Fische lernen dazu, das heißt, eigentlich lernen sie ja nicht, es ist mehr so eine Art Auslese. Und die, die durchkommen, die haben offenbar eine gute Chance gegen Temming, den langsamen Jäger, der sein Netz mit drei Meilen durch die See schleppt. Vielleicht ist auch das Wasser wärmer geworden, wie manche beobachtet haben wollen. Es gibt Fische, die mögen das nicht. Vielleicht wird es auch nächstes Jahr wieder besser. Aber ebenso gut könnte es sein, dass die Seezunge nie wiederkommt, so wie der Hering, der sich seit 30 Jahren nicht mehr in der südlichen Nordsee hat blicken lassen.

Am Helgolandkai steht die Halle der Firma Ecomares, ein großes fensterloses Wellblechgebäude. Drinnen arbeitet Markus Griese daran, was manche für die Zukunft der Fischerei halten. Denn Griese will Fische fangen, ganz egal ob es draußen stürmt, die Schwärme ihre Wege ändern oder die EU die Fangquoten reduziert. „Dies hier ist die erste kommerziell betriebene Salzwasserkreislauf-Anlage in Deutschland“, sagt Griese mit hörbarem Stolz, und er, der 33-Jährige, der in Berlin Binnenfischerei und Gewässerbewirtschaftung studiert hat, ist der Betriebsleiter dieser Fisch-Farm, von denen es in dieser Form kein Dutzend in Europa gibt.

Griese hat von klein auf ein Aquarium gehabt, ansonsten ist seine Beziehung zum Fisch ziemlich unromantisch. Er spricht vom Eiweißbedarf, den die Menschheit aus den schwindenden Beständen der Weltmeere nicht mehr auf ewig decken können wird, und von der geplanten Biomasse, die man tonnenweise in den Aufzuchtbecken produzieren werde.

Nur wer sich kleine blaue Plastiküberzüge über die Schuhe streift und eine Desinfektionsmatte passiert, darf schließlich in die Halle, die aussieht, als ob der Filmarchitekt Ken Adams sie für James Bond entworfen hätte. Jetzt spricht Griese nicht mehr von Biomasse, sondern von Parametern, „Temperatur, Sauerstoffgehalt, was sie wollen, alles wird mit elektronischen Sensoren überwacht, vollkommen computergesteuert“. So könne man hier jedes Seeklima auf Erden imitieren. Vor allem aber arbeitet die Anlage nahezu abwasserfrei. Und hinein kommt ungereinigt auch nichts. Weshalb man auf Antibiotika verzichten könne, ja, sogar verzichten müsse, die Biofilter würden das sonst nicht überleben. Die Anlage ist also total sicher, beinahe wenigstens, neulich fiel der Strom aus, und dann versagte auch noch das Notstromaggregat. Zwei Tonnen Fisch waren anschließend hinüber.

Griese wirft ein bisschen Fischfutter in eines der zehn gewaltigen Becken, worauf das Wasser anfängt zu brodeln, weil 1000 Wolfsbarsche gleichzeitig nach den Brocken schnappen. „Das macht dem gar nichts“, sagt er, „der Wolfsbarsch ist ein Schwarmfisch, der hat es gern ein bisschen enger.“ Aber der Wolfsbarsch ist ein Auslaufmodell. In Zukunft soll hier der Steinbutt seine Kreise ziehen, der erzielt noch höhere Preise. Nur teure Fische lohnen einstweilen den Aufwand, den Ecomares treibt. Auch der Steinbutt soll sich wohl fühlen in der dämmrigen Halle, „denn wo der lebt, ist es sowieso dunkel“. Ob er denn glaube, dass man auf diese Weise wirklich Fisch in nennenswerten Mengen züchten könne? „Aber sicher“, sagt Griese und verweist auf die Kollegen in Norwegen: „Nehmen sie doch nur mal den Lachs, das war früher ein exklusives Produkt, heute ist das Massenware.“ Eine Jahresproduktion von 100 Tonnen Steinbutt peile man fürs Erste an. Aber das ist erst der Anfang. Richtig Geld verdiene man, wenn man die Anlage selbst vermarkten könne, wenn der Prototyp sich bewährt und in alle Welt exportiert würde.

Lachs zu Mettwurst gemacht

Das ist wahrscheinlich der Tag, vor dem Temming graust, denn er misstraut den aquamarinen Farmern zutiefst. Mettwurst hätten die aus dem Lachs gemacht. Und der Preis dafür sei hoch gewesen. Natürlich stehe der Fisch da draußen unter Verfolgungsdruck wie nie zuvor. Bei jedem Wetter werde heute gefischt. Aber doch nicht von ihm, er kriege doch bei Windstärke acht kein Netz mehr stramm. Die Küstenkutter seien es doch nicht, die die Meere leerten. Nein, wenn jemand die Bestände bedrohe, dann seien es doch die Industriefischer, die mit ihren Schiffen die See durchpflügten, um hinterher ihren Fang zu Fischmehl zu verarbeiten. Das Fischmehl, das in der Tiermast und natürlich auch in der Fischzucht verfüttert würde.

Auch er muss sich diese neue, satellitengesteuerte Überwachungsanlage zulegen. Jedes Fischereifahrzeug wird man damit in Zukunft kontrollieren, denn längst darf niemand mehr sein Netz auswerfen, wo er will. Was Temmings Laune nicht bessert: „Wo ich hinfahre, kriegt man mich mit dem Radar, was ich fange, darf ich fangen, was hofft man also zu verhindern, ja, welches Verbrechen unterstellt man mir?“ Ihm, gegen den der Fisch doch wenigstens noch eine Chance hat.

Die Annegret läuft ein, macht neben der „Wotan“ fest. Manfred Krippner kommt zurück von seinem 36-stündigen Fischzug, 64 Kisten Krabben hat er in seinem Kühlraum. 36 Stunden Fahrt, das bedeutet 36 Stunden Arbeit. Denn wenn er nach zwei Stunden die Netze einholt, dann muss der Fang sofort verarbeitet werden. Krabben sind eine leicht verderbliche Ware, die gleich sortiert, gebrüht und verstaut werden muss. Sind er und seine zwei Lehrlinge damit fertig, kommt schon der nächste Fang an Bord und die Arbeit beginnt von vorn.

Krippner ist 35 Jahre alt, fährt seit 20 Jahren auf Fischkuttern. Nicht, dass er es an Land nicht probiert hätte, ein Praktikum hat er gemacht, damals auf der Büsumer Werft, war nichts für ihn. War wohl auch eine gute Entscheidung, denn die Büsumer Werft, auf der einmal 480 Leute gearbeitet haben, ist längst pleite. Krippner, ein stämmiger Blonder im Blaumann, erinnert sich noch gut an seine ersten Lehrjahre, ’83, ’84, ’85, nicht nur weil er da immer hat kotzen müssen, Gott, sei er am Anfang immer seekrank geworden, nein, auch er hat die außergewöhnlich guten Seezungenjahre nicht vergessen. Das wurde dann immer weniger, jetzt sind die Heringe weg, der Kabeljau ist weg, und die Scholle steht weiter westlich. Im Grunde sei 1995 das letzte gute Fischjahr gewesen, ausgerechnet das Jahr, in dem er sich mit der „Annegret“, einem 19-Meter-Kutter, selbstständig gemacht hatte. Geblieben ist ihnen die Krabbe, denn wo es keine Raubfische mehr gibt, da sind gute Krabbengründe. Von der Krabbe leben sie alle hier, die Fischer im Büsumer Hafen. Und bisher haben sie davon auch ganz gut gelebt.

Nur im Winter hat die Krabbe Pause, dann fährt Krippner regelmäßig rüber in die Ostsee auf Dorschfang. Fisch macht einfach mehr Spaß, sagt er. Ist zwar auch Knochenarbeit, all das Schlachten an Deck und das schlechte Wetter im Winter, wenn du vorn schon mal das Eis abschlagen musst, damit das Boot nicht kopflastig wird. Aber der Adrenalinschub, wenn du den Schwarm im Echolot hast, und wenn du den Fang dann an Bord ziehst und da ist auch mal ein Steinbutt, ein Lachs oder ein Seeteufel dabei, das ist doch ganz was anderes.

Krippner macht seinen Job gern. Denn draußen, auf See, da ist er der Chef. Theoretisch wenigstens. Praktisch umgibt ihn ein dichtes Geflecht aus Verordnungen, Quoten, vorgeschriebenen Maschenweiten, das für Außenstehende schwer zu verstehen ist. Für ihn auch. „Im Grunde“ sagt er, „müsste ich doch einen Juristen einstellen.“ Und dann schimpft auch er, über die, die da an Land säßen und sie hier Schiffe bauen ließen, vielleicht sogar mit Krediten förderten. Und ein paar Jahre später soll alles anders sein, nehme man ihnen die Chance, rauszufahren, Geld zu verdienen, um eben diese Schiffe zu bezahlen. Krippner traut keinem Meeresbiologen, der von gefährdeten Beständen redet. „Vielleicht gucken die ja nur nicht an der richtigen Stelle“. Auch Krippner weiß, dass es schwieriger geworden ist, aber er ist im letzten Winter nicht früher zurückgekommen, weil er keinen Dorsch mehr gefangen hat, der wäre schon da gewesen, nur der Preis stimmte nicht. „Warum kriege ich denn kein Geld dafür, wenn er doch so knapp ist?“ Ja, warum?

„Kennen Sie den Film ,Der Sturm’“, sagt Krippner plötzlich, „toller Film.“ „Blödsinn“, sagt sein Vater, Alfred Krippner, der inzwischen an Bord gekommen ist, „Scheißfilm, was da alles an Bord rumfliegt, das ist doch nicht seemännisch, muss man doch festzurren vorher.“ Die beiden verstricken sich in eine Diskussion über die Höhe der Atlantikwellen, ob man einen Sturm nun abfährt oder lieber mit dem Treibanker abreitet. Der alte Krippner kennt den Büsumer Hafen noch, als hier über 100 Schiffe lagen, in den 50er Jahren. 1969 waren es 80 Kutter, inzwischen liegen hier noch um die 40.

Die hatten bislang ihr Auskommen. Denn die Krabbenbestände sind stabil. So konnten die Büsumer das Ausbleiben anderer Fischarten gut kompensieren. Aber seit im letzten Winter von der EU beschlossen wurde, den Kabeljaufang um 45 Prozent zu reduzieren – was vielen Kritikern noch zu wenig war, weil sie Zustände wie in Neufundland fürchten, wo der Kabeljaufang vollkommen zusammengebrochen ist – haben auch andere Fischer von Dänemark bis Holland die kleine Nordseegarnele für sich entdeckt. Sie alle haben sich auf den Krabbenfang umgestellt.

Holländer haben ihre Niederlassungen auch im Büsumer Hafen errichtet. Die Holländer, die den größten Teil des Krabbenmarktes kontrollieren, die Ware im großen Stil nach Marokko zum Pulen fahren und wieder reimportieren. Wenn in Büsum das Gespräch auf die Holländer kommt, dann schwankt die Stimmung immer zwischen Neid, Ablehnung und ein bisschen Hochachtung. Weil sie den Markt beherrschen, weil sie die besseren Schiffe haben, weil sie die Preise machen, weil sie mehr Rückhalt bei ihrer Regierung hätten, weil sie es nicht mit jeder Vorschrift so genau nähmen. Sind eben Seefahrer, heißt es dann. Aber welcher deutsche Politiker habe schon Ahnung von der See. In Büsum ahnen viele, dass es für sie auch mit der Krabbe eng werden könnte.

Noch ein Traum

In einem Abkommen zwischen dänischen, deutschen und holländischen Erzeugergemeinschaften hatte man sich auf eine Krabbenquote geeinigt, um den Preis stabil zu halten. Auch die Büsumer haben ihr Kontingent abbekommen, mehr als zweieinhalb Tonnen die Woche sollte keiner mehr verkaufen können. Es hat nichts genutzt, der Preis ist auf 1 Euro 60 das Kilo abgesackt. Die Lager sind voll. Und jetzt hat der größte holländische Aufkäufer der Büsumer Fischereigenossenschaft auch noch den Vertrag gekündigt.

Nein, das war keine gute Woche für Norbert Temming. Was er denn jetzt machen werde? Nun, was soll er schon machen. Krabben fischen. Irgendjemand wird ihm die schon abnehmen. Und vielleicht hat er ja im Herbst mehr Glück, wenn er auf Schollenfang geht. „Wissen Sie, auf See kann sich alles ganz schnell ändern, da muss man Optimist sein.“

Dann will er noch etwas zeigen, hinten am Ende des Hafenbeckens, wo das alte Werftgelände ist. Da liegt ein Boot aufgebockt, ein „Helgoländer Börteboot“, knapp zehn Meter lang, offen, mit einer Ruderpinne am Heck. Ein Laie würde es für ein Wrack halten. Temming nicht. „Eines Tages“, sagt er, „werde ich damit vor Helgoland rumfahren, mit ein paar Hummerkörben, nur so für mich.“ Dann wird er das alles hinter sich haben, die Quoten, die Fischereiaufsicht, die Aufkäufer. „Dann“, sagt er, „kann mir keiner mehr.“

Letzter Abend in Büsum, man sitzt in einem Restaurant, schaut auf die Kutter, die inzwischen dicht an dicht liegen, und isst grüne Heringe, köstlich. Wo die denn her kämen? „Wahrscheinlich aus Dänemark“, sagt die Kellnerin, aber so genau wisse sie auch nicht, wo der Großhändler die her hat.

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