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Andreas Kriegenburg: Schmerz der Finsternis

Visionär und Handwerker: Andreas Kriegenburg ist der neue Hausregisseur am Deutschen Theater.

Es liegen Welten zwischen diesen Wanjas, auf den ersten Blick jedenfalls. An dem einen Abend sieht man ungeschminkte Menschen, die so erbärmlich lebensecht sind in ihrem rettungslosen Lieben, Leiden und Vegetieren, dass es einem graust vor lauter Ähnlichkeit. So hat der verstorbene Jürgen Gosch die Szenen aus dem Landleben inszeniert, sein „Onkel Wanja“ bleibt als Vermächtnis im Spielplan des Deutschen Theaters. In der anderen Aufführung hingegen gehört die Bühne den Clowns, den Stolpernden in zu weiten Hosen, den auf lächerliche Art tragischen Gestalten mit den aufgemalten Kummeraugen.

So hat Andreas Kriegenburg seinen Tschechow begriffen, im vergangenen Jahr am Thalia Theater. Intendant Ulrich Khuon, der Kriegenburg als Hausregisseur von Hamburg ans Deutsche Theater mitgenommen hat, sagt, das seien zwei Aufführungen, die ihn bei aller Verschiedenheit „ähnlich tief beeindruckt“ hätten. Obwohl er anfänglich Zweifel hatte am Harlekintreiben seines Oberspielleiters, das will er nicht verhehlen.

Es ist nicht so, dass mit Andreas Kriegenburg der Zirkus in die Stadt käme. Aber man wird an der Schumannstraße ein neues Menschenbild erleben, eines, das auch mal ins Spöttische verzerrt ist, gleichwohl nie ins Zynische. Kriegenburg, der bekennende Innenweltenkundler, sagt selbst, er klammere das, was wir Wirklichkeit nennen, zunehmend aus seinen Arbeiten aus. Nicht von ungefähr sind Kriegenburgs Inszenierungen immer wieder mit den Filmen eines Jacques Tati oder Buster Keaton verglichen worden, sie verbinden Schwermut und Slapstick, Weltschmerz und Kalauer. Es sind Tänze von eigener Eleganz, die bisweilen auf der Bananenschale enden. Und nicht selten finden sie in Bühnenbildern statt, die Kriegenburg, der gelernte Tischler und Modellbauer, selbst anfertigt.

Gerade ist er in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zum Bühnenbildner des Jahres gewählt worden, für seine furiose Münchner Kafka-Adaption „Der Prozess“, die in einem riesigen Drehbühnen-Auge kreiste. Bei aller Körperkunst und visuellen Kraft aber ist Kriegenburg auch ein guter Zuhörer und genauer Textversteher. Er preist die Sprachschönheit eines Kleist, dessen „Prinz Friedrich von Homburg“ er nun auf die Bühne bringen wird, wie er sich an der Melodie von Tschechow berauschen kann.

Zum ersten Mal ist er Tschechow mit den „Drei Schwestern“ begegnet, an den Münchner Kammerspielen, die Schauspieler trugen zumeist riesige Puppenköpfe, die aus schwarzen Augenhöhlen traurig auf die eigene Verlorenheit schauten. Das war nicht bloß ein Regie-Einfall, es war der Versuch, die Schauspieler in ihrer Sehnsucht nach Wirkung zu bremsen und eine Konzentration auf diese ferne, zarte Sprache zu schaffen. „Wie erlöse ich das Wort vom Gesicht des deutschen Schauspielers?“, fragte sich Kriegenburg damals, und das war kein bisschen böse oder polemisch gemeint.

Er liebt Schauspieler, und diese Liebe wird glühend erwidert. Eine Natali Seelig etwa, mit der Kriegenburg seit Mitte der neunziger Jahre unzertrennlich zusammenarbeitet und die auch in seiner DT-Eröffnungsinszenierung „Herz der Finsternis“ nach Joseph Conrad spielen wird, schwärmt von seiner Kunst, Inszenierungen leicht und schwebend erscheinen und einen erst hinterher merken zu lassen, wie traurig das Gesehene eigentlich gewesen sei: „Wie ein Gongschlag, der die Knochen nachvibrieren lässt.“

„Nischen-Ossi“, „Stückeschänder“, das sind Zuschreibungen, die man in den Archiven über den frühen Kriegenburg findet. Größtenteils stammen sie aus den frühen Neunzigern, als Kriegenburg, geboren 1963 in Magdeburg, an der Volksbühne Berlin das Theater machte, für das dann Castorf berühmt wurde. Seine Ästhetik lädt längst nicht mehr zu solchen Missverständnissen ein, aber er polarisiert bis heute. An wütende Verrisse seiner „Orestie“ erinnert man sich, ebenso an Elogen für die „Nibelungen“, beides Arbeiten, mit denen er zum Theatertreffen eingeladen war, aus München, seiner künstlerischen Zweitheimat.

Khuon und Kriegenburg kennen sich seit frühen Hannoveraner Tagen. „Er ist niemand, der für sich wirbt", so erlebte der Intendant den Regisseur, „er ist auf eine höflich-distanzierte, rätselhafte Weise einladend.“ Ihre Freundschaft ist kontinuierlich gewachsen, zwischenzeitlich trennten sich auch die Lebensläufe, aber nur, um wieder zusammenzufinden. „Lange Wege“, glaubt Khuon, „sind ja die tragfähigsten.“ Er sagt dann noch über den Gefährten, dass der eine große, ruhige, insistierende Kraft besitze, was manchmal übersehen werde.

Kriegenburg selbst entgegnet auf die Frage, ob er ein Umfeld benötige, an dem er sich reiben könne: „Ich glaube, dass Reibung doch überschätzt wird.“ Er habe die Erfahrung gemacht, dass es für ihn leichter sei, befreit zu arbeiten, wenn er wisse, es gebe eine vorausgeschickte Sympathie, ein Vorschuss-Wohlwollen für sein Theater. „Die Zeit, die ich in Hamburg benötigt habe, um auch durch die Widerstände des Publikums zu gehen, war sicherlich wichtig. Ich weiß nicht, wie nötig sie war“, sagt er. Man könne das gut an einem Beispiel erläutern: Sein erster echter Publikumserfolg am Thalia Theater sei die Sartre-Inszenierung „Die schmutzigen Hände“ gewesen. Eine Produktion, die er zwar nicht mit Verbitterung, aber wegen vorausgegangener Ablehnungen seiner Arbeit doch mit einem Gefühl des Unverstandenseins antrat, das in Trotz umschlug: „Jetzt können sie mich mal, jetzt mache ich, was ich will.“ Und plötzlich mochten sie ihn. „Direkt am Publikum zu arbeiten, ob man nun versucht, es zu provozieren, oder sich ihm näher zu bringen, ist für mich eher hinderlich.“

Was er dem Berliner Publikum allerdings nahe bringen will, dass sind die Texte von Dea Loher, die er nahezu sämtlich uraufgeführt hat, und die bislang in Berlin kaum bekannt sind, seltsamerweise. Kriegenburg glaubt, das könne daran liegen, dass Lohers blickscharfe und sprachgewaltige Berichte aus dem sozialen Kriegsgebiet der Seelenversehrten und Herzverwundeten hier von vielen als „Betroffenheitstexte“ missverstanden würden. Theatergänger und ihre Erwartungen, ein weites Feld.

Andreas Kriegenburg kehrt, das ist der Eindruck, den er jetzt so kurz vor dem Start am DT vermittelt, in großer Gelassenheit nach Berlin zurück. Fragt man ihn, ob er die größere Konkurrenz in der Hauptstadt als belebend empfinde, entgegnet er, damals, in seinen Berliner Anfängen, habe er die Konkurrenz als belastend empfunden, „dieses polyphone Theatergeschrei und die Frage: Was ist meine Stimme dabei?" Momentan spiele diese Frage für ihn keine Rolle. „Ich bin kein über Konkurrenz funktionierender Mensch oder Regisseur“, fügt er hinzu. Man glaubt es diesem höflichen, rätselhaften Mann sogar, wenn er sagt: „Ich bin auch wahnsinnig gerne neidisch auf die Arbeiten von Kollegen, das genieße ich.“

„Herz der Finsternis“, Premiere am 17. September in den DT-Kammerspielen, „Prinz Friedrich von Homburg“, Premiere am 25. September im Deutschen Theater

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