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Ein Stück als soziale Plastik. Andres Veiel macht Visionen zum Drama.

© picture alliance / Uli Deck/dpa

Andres Veiel am Deutschen Theater: Umarme den Untergang

Die Spielzeit am Deutschen Theater beginnt mit dem Science-Fiction-Projekt „Welche Zukunft?“. Dokumentarfilmer Andres Veiel erarbeitet darin Katastrophenszenarien.

Das Nachdenken über die Zukunft liegt hoch im Kurs. Vergangene Woche eröffnete in Berlin das Futurium, ein Zentrum für Zukunftsfragen. Mit der Zukunft, wenn auch weniger linear, beschäftigte sich auch das Festival of Future Nows auf der Art Week. Und am Samstag nahmen 300 Menschen das Haus des Deutschen Theaters in Beschlag und widmeten sich der Frage „Welche Zukunft steht uns bevor?“. Unterstützt wurden sie von rund 20 Wissenschaftlern.

Ergebnisse, keine Diskussionen

Der Initiator Andres Veiel, bekannt geworden als Dokumentarfilmer („Black Box BRD“), sieht dieses „Fest des Denkens“ in der Beuys’schen Tradition einer sozialen Plastik. Nach einem Symposium im Frühjahr 2018 sollen die Ergebnisse dieses Denkereignisses mit dem Titel „Welche Zukunft“ in ein Theaterstück einfließen, das im September 2018 uraufgeführt wird. Veiel will Ergebnisse und keine Diskussionen, schließlich soll hier die Geschichte der nächsten zehn Jahre geschrieben werden. In Workshops entwickeln die Teilnehmer Szenarien für die Bereiche Ökonomie, Gesellschaft und Ökologie. Im Wetter-Workshop erklären Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zunächst beispielhaft, wie die politische Krise in Syrien auch auf eine lang anhaltende Dürre zurückzuführen ist. Daraus entwerfen die Teilnehmer Extremwetter-Szenarien: ausbleibender Monsun in Indien 2021, Überflutungen in Europa 2024, eine extreme Hitzewelle in den USA und Europa 2025.

Im anschließenden Plenum sitzen die Moderatoren der Workshops an einem runden Tisch in der Mitte der Kammerspiele, die Teilnehmer beobachten das Geschehen auf den Rängen. Die Moderatoren fügen die Ergebnisse zu plausiblen, faktenbasierten Science-Fiction-Geschichten zusammen, die Teilnehmer können sich über eine Onlineplattform oder Zettel einbringen. Zwischendurch wirkt der Diskussionsleiter wie der Moderator einer Castingshow: „Welches Szenario nehmen wir?“

Google wird zur Bank

Das Angebot ist mehrheitlich düster, teilweise kurios: 2019 geht die Automobilindustrie unter. Im Wedding wird die erste Wohnung für einen Quadratmeterpreis von 30 000 Euro verkauft. 2020 führt Donald Trump eine CO2-Steuer ein und löst damit einen weltweiten Handelskrieg um erneuerbare Energien aus. Internetplattformen wie Google und Uber werden zu Banken. Das bedingungslose Grundeinkommen wird eingeführt. 2024 ist Le Pen Präsidentin und Frankreich tritt aus der EU aus. Ein neues Krebsmedikament wird entwickelt, die Lebenserwartung steigt 2025 um zwei Jahre, im Jahr darauf leeren sich die Rentenkassen. Wie in der Realität wird auch in diesem Denkspiel der Klimawandel und seine Folgen zum Unmut einiger Anwesender kaum beachtet, auch hier gilt: money rules the world.

Lust am Weltuntergang

„Welche Zukunft“ kann auch scheitern, das räumt Veiel ein. Wie genau man sich das Theaterstück vorzustellen hat, ist am Ende nicht ganz greifbar, nur so viel ist klar: Es wird einen Untersuchungsausschuss im Jahr 2028 präsentieren, in dem aufgedeckt werden soll, welche Entscheidungen zu den Krisen führten. An diesem Abend herrscht die Lust am Weltuntergang. Dabei ist bereits das Nachdenken über die Zukunft lebensbejahend. Brecht sagte: Die Widersprüche sind unsere Hoffnung.

Anne-Sophie Schmidt

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