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Kultur: Andrijku aus Miková. Oder aus Medzilaborce?

Mit Bier fing es an. Mit gutem Geschmack.

Mit Bier fing es an. Mit gutem Geschmack. Und mit Leidenschaft. Über zehn Jahre ist es her, da war der Filmregisseur Stanislaw Mucha noch Schauspielschüler in Krakau. Und weil ihm und seiner Clique das heimische Bierangebot nicht gut genug war, musste regelmäßig ein Bote über die Berge, um von der anderen Seite tschechisches Bier zu beschaffen. Wichtigstes Requisit dabei waren neben dem Rucksack zwei Katzen, um im Ernstfall die Hunde der Grenzer abzulenken. Eine für hin, die andere für zurück.

Eines Tages aber war nach vollbrachtem Kauf die Heimwegs-Katze verschwunden. Auf der Suche nach Ersatz landete Mucha in dem Dörfchen Miková. Und dort fand er unversehens die große Welt. Denn in Miková debattierte man gerade eine wichtige Frage: Ob man einem gewissen Andrijku ein Museum bauen solle? Nach einer Weile begriff Mucha, dass er von diesem Andrjiku schon einmal gehört hatte. Andrijku wie Andy. Warhola wie Warhol. Andy Warhol nämlich kam 1928 als Andrew Warhola in Pittsburgh, Pennsylvania, als Sohn slowakischer Emigranten zur Welt.

Zehn Jahre später, Stanislaw Mucha hatte an der Potsdamer HFF ein Studium der Filmregie abgeschlossen, kehrt er ohne Rucksack in die Region zurück, um sich auf die Suche nach den familiären Ursprüngen des größten Stars der Pop-Kunstgeschichte zu machen; im "ruthenischen Bermuda-Dreieck" der Karpaten, wo Polen an die heutige Slowakei grenzt und die Ukraine auch nur ein paar Katzensprünge entfernt ist. Gleich einige sind es dort, die sich um Andys Nachruhm streiten. Zwei Nationen und auch zwei Dörfer: Miková und Medzilaborce. In letzterem steht mittlerweile das einzige Warhol-Museum Europas, Besucher kommen fast nie, in eine Installation aus Eimern tropft das Schmelzwasser von der Decke.

In Miková leben Andys Vettern und Kusinen. Unbeirrt von den Turbulenzen der Weltwirtschaft scheint man hier in tapferer Autarkie vor sich hin zu wirtschaften. Armut? Es gibt doch Möhren und Kartoffeln. Und Wodka, reichlich. Der eine Vetter übertreibt es gerne, dann singt er falsch, und es gibt Streit. Doch auch Andys Tante, die stoisch an ihren vorkapitalistischen Küchengeräten hantiert, gießt gern ein paar Gläschen in die Runde. Im Himmel müsse es schön sein, meint sie, sonst käme doch irgendwann einmal einer von dort zurück.

Manchmal auch kann die Tante auf den Bildern ihren Neffen nicht mehr von Lenin unterscheiden. Aber wo ist der Unterschied, heute, wo jeder sein eigener Pop-Star ist? Vor nicht allzu langer Zeit dachte man in Miková noch, dass Andrjiku als Anstreicher sein Leben friste, weil man andere Maler gar nicht kannte. Wertvolle Originale, die Warhol damals an die Verwandtschaft sandte, wurden von dieser als Bastelmaterial fürs Kinderzimmer genutzt. Heute stehen die Grafiken im Museum und werfen in ihrer merkwürdigen Deplaziertheit auch einen Rückschein auf das Ausstellungs-Gewerbe an sich. Nach regionalen Gesichtspunkten hat sie der Direktor fürs Landvolk ausgewählt: Kühe und Wodka-Flaschen. Die Kusine stickt indessen Warhol-Motive auf Couchtischdeckchen. Vielleicht kommen die ja auch mal ins Museum of Modern Art.

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