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Kultur: Andys Gedächtnis

Die Galerie Jan Winkelmann Berlin zeigt Warhol ohne Warhol

„Ich hasse wehmütige Erinnerungen“, sagte Andy Warhol einmal und konnte doch nicht anders, als Monat für Monat Kartons zu füllen: Briefe, Kataloge, Wurfsendungen, Einladungen, Zeitschriften oder Geld fanden ihren Weg in „Zeitkapseln“ – und wurden von ihm nie wieder hervorgeholt. „Im tiefsten Innern hoffe ich, dass die Schachteln alle verloren gehen“, gestand der Pop-Art-König. Denn die Gegenwart lief schließlich weiter, war stets interessanter als die Vergangenheit.

Der Berliner Galerist Jan Winkelmann verfolgt in der Ausstellung „I have no memory“ die Dokumentationstechniken und Sammelobsessionen Andy Warhols, der bekanntlich alles schön und gleich wichtig fand. Winkelmann zeigt den Künstler als Sammler von Kunsthandwerk, von Tönen und Bildern, Statements und Erlebnissen. Schon als Kind schnitt Warhol Zeitungs- und Comicbilder aus und lernte früh, dass sich Wirklichkeit durch Medien zerhacken und festhalten ließ. Später streifte er auf ausgedehnten Shoppingtouren durch New York oder steigerte bei Auktionen mit. Wichtig war eher das Aneignen denn das Besitzen. Warhols Gedächtnis, das er nicht haben wollte, wurden seine vollgestopften Häuser, Polaroids, Notizzettel, Tonbänder und „Time Capsules“.

Jan Winkelmann – selber Sammler von Zeugnissen Warhol’scher Sammlerleidenschaft – hat liebevoll Kataloge, Ausgaben des Warhol-Magazins „Interview“ und Inventarlisten zusammengetragen. Die für eine Galerie ungewöhnliche Ausstellung verzichtet auf Verkäufliches und Originale – und führt damit die Verwischung der Grenzen zwischen Original und Kopie, so wie sie Warhol betrieben hat, weiter. Denn Warhol hob zwar vieles auf, doch eigene Bilder setzte er sofort um.

„I have no memory“ zeigt dennoch, wie sich Warhols Messie-Syndrom in der Produktion niederschlug: Pressefotos von Stars wurden zu Siebdrucken, Klatsch zu Büchern. Das Serielle und Nebeneinander von Alltäglichem und Außergewöhnlichem erhob der Mann, der wie eine Maschine arbeiten wollte, zum Schaffensprinzip. Als Beispiel für eine Wirklichkeitsaufzeichnung, die sich von Dramaturgie und Inszenierung befreit, zeigt die Galerie den Film „Blow Job“ von 1963, bei dem die Kamera wissenschaftlich kühl auf dem Gesicht eines Mannes ruht, der den im Titel genannten Akt genießt.

Jan Winkelmann führt die Warhol-Methode mit der spröden Präsentation fort: Handapparate und kopierte Zettel an den Wänden erinnern formal an Ausstellungen der neunziger Jahre. Die Liebe zur Liste bildet die Kehrseite des Pops mit seinen Entgrenzungen. Und – wie kann es anders sein – haftet auch „I have no memory“ etwas Wehmütiges an: Das Ergebnis der Bemühung, die Gegenwart einzufangen, vergilbt.

Galerie Jan Winkelmann Berlin, Brunnenstraße 185, bis 29. Juli; Dienstag bis Sonnabend 11 – 18 Uhr.

Daniel Völzke

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