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Linguistische Spiele mit märchenhaften Stoffen. Uljana Wolf. Foto: Imago/gezett

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Kultur: Angeln im Tingeltangel

Uljana Wolf vagabundiert zwischen den Sprachen.

Sieben Jahre nach ihrem Debüt „kochanie ich habe brot gekauft“, das ihr den Peter- Huchel-Preis einbrachte, markiert der nunmehr dritte Gedichtband der 1979 in Berlin geborenen Uljana Wolf einen Umbruch. „Schluss mit trutzig“, ruft sie und verknüpft Märchenmotive mit linguistischen Verfahren. Ihre Texte betreiben Sprech- und Sprachspiele, die aus den Klangähnlichkeiten und Bedeutungsunterschieden zwischen dem Deutschen und dem Englischen Funken schlagen. Dabei bewegt sich die Autorin in lockerer Umgebung: „ich ging ins tingeltangel, lengevitch angeln“.

Was sie in ihrem Netz einfängt, sind kuriose Figuren wie Koppelzwillinge, eine „kanzlerin, deren sache es ist, sich in gehauchtes nichts zu verwandeln“ oder der Esel Bricklebrit. Sein Name ist das Zauberwort, auf das hin er im Tischlein-deck-dich-Märchen der Brüder Grimm Goldstücke von sich gibt. Uljana Wolf verzichtet auf Endreime, Verse und Strophen. Sie entwirft über weite Strecken Prosagedichte in Blockform und definiert im Kapitel „Method Acting mit Anna O“ ihre Texte als „Zottelgedichte“. Das steuert weniger auf Pointen zu als auf sinnerhellende Effekte innerhalb des Sprachflusses.

Das Melos geht dabei nicht verloren. Rhythmen und Binnenreime, Selbst- und Mitlaute fließen in stetem Wort- und Klangwandel mit. Wolf ruft nach dem „alles vertauschenden wirt“, dem Grimm’schen Bösewicht. Wo er Tisch und Esel vertauscht, verschiebt sie Buchstaben und Silben und stößt damit abenteuerliches Denkvergnügen an.

Ihr Witz stellt viele Experimente rein linguistischer Materiallyriker in den Schatten. Wer sonst könnte so unbekümmert an „Die schönste Lengevitsch“ anknüpfen, jenen ulkigen Gedichtband, den Kurt M. Stein 1925 in Chicago veröffentlichte. Das Vermischen des Deutschen mit dem Englischen ist auch dort der wörtlichen Rede entnommen und überrascht mit komischen Effekten nach dem Motto „geschrieben wie gesprochen“: Aus „language“ wird „lengevitch“. Uljana Wolf hat sich Steins Titel geborgt, geht über dessen kabarettistische Situationskomik aber weit hinaus.

Gesellschaftskritisches ist, mehr noch als in „Falsche Freunde“ (2009), in einzelne Wörter eingewandert. Der Zyklus „fibel minds / von den wortarten“ erinnert im politischen Beigeschmack an manches zu DDR-Zeiten. Das Kapitel „mittens" nähert sich dem Begriff „Heimat“ aus verschiedenen Perspektiven. „kalte küche“ klopft Amtssprache auf verborgenen Fremdenhass hin ab. Dazwischen taucht allerhand Seltsames auf: „schmelzsprech“ etwa und „auslassing“ – nicht immer kriegt Uljana Wolf beim Fantasieren die Kurve zum Fassbaren.

Ist diese „lengevitsch“ nun nichts als ein exaltiertes Kuriosum? Es hat auch seine biografischen Grundlagen. Die zwischen Berlin und New York pendelnde Dichterin, wo sie mit ihrem gleichfalls bei Kookbooks verlegten Mann Christian Hawkey lebt, gehört zu denen, die eine zeitgemäß globalisierte Sprache entwerfen. Die Frage ist nur: Sind wir tatsächlich auf dem Weg zu einer gemeinsamen Welt-Sprache? Wird Dichten mehr und mehr zur Gemeinschaftsarbeit, bei der jeder Text in einer endlosen Folge von Updates von anderen als „Babeltrack“ fortgeschrieben wird? Verlieren ethnische Identität und Urheberschaft ihre Bedeutung? „Meine schönste lengevitsch“ macht Uljana Wolf als Prototyp einer wachsenden Gruppe von linguistischen Dichtern kenntlich, die herkömmliche Vorstellungen von Sprachgrenzen und Autorschaft infrage stellen. Dorothea von Törne

Uljana Wolf: Meine schönste lengevitch. Gedichte. Kookbooks, Berlin 2013. 88 Seiten, 19,90 €.

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