zum Hauptinhalt

Kultur: Angriff der Killerbienen

Constanza Macras und die Batsheva Company beim „Tanz im August“ Berlin

Von Sandra Luzina

„Hiiingabe“, sagt die männliche Stimme und macht jedesmal einen kleinen Hüpfer. In „No Wonder“, dem neuen Stück der Berliner Choreografin Constanza Macras, das jetzt im Hebbel am Ufer Premiere hatte, ist der Regisseur Dimiter Gotscheff als Stimme Gottes zu vernehmen – und die klärt die bösen Mädchen auf der Bühne erst mal über ihre weibliche Bestimmung auf. „Hingabe“, souffliert Gotscheff, und Lisi Estaras rutscht zum wiederholten Male aus, fällt krachend hin. Constanza Macras stranguliert sich unterdessen mit dem Kabel, klemmt sich das Mikro zwischen die Beine und traktiert es mit kräftigen Hieben. Die wilden Argentinierinnen bescheren dem „Tanz im August“ ein wüstes Spektakel zwischen neofeministischem Manifest, exotischem Nackttanz und Damen-Wrestling. Das tropische Eiland, auf das es die insgesamt vier Darsteller verschlagen hat, muss wohl Amazonien sein. Und Gotscheff erschuf das Weibchen...

In der üppigen Vegetation wuchern aber auch die Fantasien von weiblicher Überlegenheit, bis mal wieder ein schöner Schmetterling tot zu Boden fällt. Constanza Macras und Lisi Estaras blasen hier zum Angriff der Killerbienen. Ihre Mission: scheinbar progressive Rollenmodelle lustvoll zur Strecke zu bringen, ohne Waffenschein und Wonderbra.

„Ich war Lara Croft. Und dann wurde ich eine von ,Charly’s Angels’“, eröffnet Lisi Estaras den verblüfften Zuschauern. Aber sie behauptet auch, Heidi, Leni Riefenstahl und Anne Frank zu sein. Die popkulturellen Fantasien prallen auf die realen „Heldinnen“ (Täterinnen und Opfer) der Geschichte. Macras zielt auf das ab, was die glamourösen oder verklärenden Bilder verdecken. Um den Zusammenhang von realer Ohnmacht und imaginierter Omnipotenz geht es, wenn die frühen Superheldinnen der Siebziger wie „Wonder Woman“ reaktiviert werden. Das ist oft schreiend komisch, doch bei aller Ironie und Travestie kommen auch Wut und Verzweiflung zum Vorschein sich vehementverausgaben: Die beiden rennen körperlich an gegen die Macht des Symbolischen. Und dennoch wollen die Girls auch ihren Spaß, indem sie den Zuschauern die Klischees um die Ohren hauen. Sie sind furchtlos, maßlos und geschmacklos. Schwanken zwischen lächerlicher Überidentifikation an die weibliche Rolle und kühnen Übertretungen. Macras, die Schamlose – sie spart nicht an obszönen Gesten, schüttelt ihre nackten Brüste, wackelt mit dem wohl geformten Hinterteil, tanzt in Bananenröckchen und Tigerfell. Ein abgründiges Spiel mit dem Voyeurismus. Die blonde Lisi durchmisst unzählige Peinlichkeiten: die Frau, die ihren Job besonders gut machen will.

Ob als Wonder Woman oder als Maradona: Macras und Estaras zeigen Tänze am Rande des Zusammenbruchs. Ihre Stärke ist unbestechliche Selbstironie. Bei ihrem Versuch, die Maskeraden der Weiblichkeit fallen zu lassen, übertreiben sie gern. Am Ende müssen zwei Putzmänner den Schlamassel wegräumen (noch einmal heute, 22 Uhr).

* * *

Nachgeben, nicht mit der Bewegung kämpfen, sondern ihr folgen. Mit dem Akzeptieren der Schwäche fangen sie an, die bildgewaltigen Choreografien von Ohad Naharin und seiner Batsheva Dance Company. Sie können sich in Spektakeln oder Provokationen entladen und mit ihrer Nacktheit auch mal das Schamgefühl des israelischen Staatspräsidenten treffen. Zum „Tanz im August“ sind die Tänzer aus Tel Aviv mit leichterem Gepäck angereist. „Mamootot“ ist ein hoch abstraktes, lichtes Kammerspiel für neun Tänzer, das sich im Haus der Berliner Festspiele auf einem komplett von Tribünen umringten Centrecourt abspielt. Dabei bleibt das Arbeitslicht eingeschaltet, und die Tänzer sehen ihr Publikum so gut, wie sich die Zuschauer selbst in die Augen sehen können. Unnahbar lächeln die Tänzer ins Publikum, nehmen in seiner Mitte Platz, schütteln sanft Hände. Intime Soli und Duette werden immer wieder kontrastiert mit rasenden Ensembleszenen zu leicht hysterischen japanischen Coverversionen von Songs wie „Do you wanna dance?“. Hier geben sich die Batsheva-Tänzer kollektiven Exaltationen hin, hoch virtuos synchronisiert und mit unberechenbarem Witz. Wenn sich in diese hüpfenden Räume bewegende Studien der Einsamkeit schieben, dann leuchtet sie auf: die hohe Kunst von Naharin und seinen Tänzern (noch einmal heute, 20 Uhr). Ulrich Amling

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false