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Kultur: Angst machen

Amokläufer, Irakkrieger und der 11. September: Gespräch mit dem US-Autor Jonathan Safran Foer

Mr. Foer, wann haben Sie zum ersten Mal das vom Deutschen ins amerikanische Englisch eingewanderte Wort Angst gehört?

Ich kenne es, seit ich denken kann. Wobei Angst in vielen Formen existiert. Ein in Amerika weit verbreiteter Begriff ist die teenage angst. Sie machte zuletzt mit den Amokschützen an unseren Schulen Furore. Das Erschreckendste an den Massakern war, wie vertraut sie erschienen. Die Leute fragten nicht: Wie konnte das passieren? Sie fragten: Warum war es nicht längst geschehen? Viele Jugendliche laufen mit einer Art Angst herum und denken, die Älteren verstehen uns nicht.

Müssten wir nicht unterscheiden zwischen unbestimmter Angst und konkreter Furcht, Paranoia und Hysterie?

Jeder hat für Angst seine eigene Definition. Meine eigene kommt der Frustration sehr nah, mit Anteilen der eben erwähnten Zutaten – plus Wut und einem Gefühl von Hilflosigkeit.

Wann haben Sie persönlich zum ersten Mal Angst empfunden?

Ich kann mich nicht entsinnen, jemals keine Angst gehabt zu haben. Wie jeder hatte ich als Jugendlicher das Bedürfnis auszurasten. Man will ja seinen Frust ausdrücken. Also färbt man sich die Haare oder streicht sein Auto anders an. Meine Art, damit fertig zu werden, war das Schreiben.

Denken Sie bei politischer Angst als erstes an den 11. September?

Ganz und gar nicht. 9/11 war ein trauriges Ereignis, aber es war nicht einzigartig. So etwas geschieht immer wieder, bekommt aber nicht so viel Aufmerksamkeit. Ich glaube eher, dass George Bush viele Menschen in politische Angst versetzte. Meine Generation war lange keinem Krieg ausgesetzt. Unter Soldaten stellte ich mir Leute vor, die mit den besten Absichten nach Ruanda oder Bosnien einmarschieren – nur meistens zu spät. Die letzten drei Jahre haben uns in dieser Hinsicht desillusioniert. Es geht nicht darum, die Zivilbevölkerung zu schützen, sondern militärische Übungen durchzuführen, die viele zivile Tote zur Folge haben. 9/11 war der Wendepunkt für diese Veränderung.

Wo haben Sie diesen Tag eigentlich verbracht?

In New York. Ich hatte ein paar Monate in Spanien verbracht und kam am 9. September zurück in mein Apartment in Queens. Am Morgen des 11. September weckte mich der Telefonanruf eines Freundes, der sagte: Los, du musst den Fernseher anmachen, ich glaube, heute ist ein seltsamer Tag. Ich schaltete den Fernseher ein, eine Minute, bevor das zweite Flugzeug ins World Trade Center raste, und habe mich die nächsten 24 Stunden nicht mehr wegbewegt. 9/11 war meine Rückkehr nach Amerika.

Sie haben einen Teil Ihrer Erlebnisse in Ihrem neuen Roman „Extremely Loud and Incredibly Close“ verarbeitet, der nächstes Jahr erscheint.

Ja. er handelt aber eher vom Krieg. Die Protagonisten sind ein New Yorker Junge, dessen Vater bei den Anschlägen ums Leben kam, und ein älterer Überlebender, der den Dresdner Feuersturm im Zweiten Weltkrieg überlebte. Mir geht es nicht um Politik, sondern um die persönlichen Verluste der Figuren.

Was denken Sie von Ihren verängstigten Mitbürgern, die zum Teil nie wieder ein Flugzeug besteigen wollen?

Sie beziehen sich nicht auf 9/11, sie beziehen sich auf George Bush. Er hat ein Klima der Angst mit ständigen Terrorwarnungen geschaffen, während einen jede Statistik davon überzeugen kann, dass es nach wie vor gefährlicher ist, sich auf die Straße zu begeben, als ein Flugzeug zu besteigen.

Wie konnte Bush eine ganze Nation so verwandeln?

Es war nicht schwer. In der ersten Woche empfand wohl jeder Angst. Dann konnte man sich entweder damit arrangieren oder sie steigern, indem man immer das Schlimmste annimmt – zum Beispiel im Hinblick auf die Massenvernichtungswaffen im Irak. Bush hat sich immer für das worst case scenario entschieden.

Glauben Sie, dass sich das Klima der Angst bei einem Wahlsieg von John Kerry verflüchtigen würde?

Vieles könnte sich verbessern. Denken Sie an unsere problematischen Beziehungen zu Europa. Bush hat sie nicht geschaffen, sie hatten sich schon angebahnt. Wenn wir einen Präsident mit einer gewissen Demut hätten, der in Europa sagen würde, wir haben uns geirrt, Punkt, wären wir einen großen Schritt in Richtung Versöhnung weiter.

Das Gespräch führte Gregor Dotzauer.

1977 in Washington, D.C., geboren, erregte Fo er mit seinem ersten Roman Alles ist erleuchtet (KiWi Verlag) weltweit Aufsehen. Im September war er in der Berliner American Academy zu Gast, wo er an einem Auftragslibretto für die Staatsoper Unter den Linden arbeitete, das 2005 uraufgeführt werden soll. Das Libretto handelt von einem Berliner

Wettbewerb um das

Design der schönsten Mülltonne.

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