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Kultur: Angst: Meine Sprache

In John Grishams Roman "The Brethren" lese ich den Satz: "So why was there so much angst in the bunker?" Ich erinnere mich, dass mir "angst" mitten im Amerikanischen schon begegnet ist, meistens im Zusammenhang mit der Psychoanalyse.

In John Grishams Roman "The Brethren" lese ich den Satz: "So why was there so much angst in the bunker?" Ich erinnere mich, dass mir "angst" mitten im Amerikanischen schon begegnet ist, meistens im Zusammenhang mit der Psychoanalyse. Aber es gehört nicht so offensichtlich zum deutschen Sprachsatz der englisch Sprechenden wie "Kindergarten", "Blitz" oder "Schadenfreude". Warum also "angst" statt "fear"? Schließlich schreibt auch Erica Young über "the fear of flying".

Offenbar hat Grisham einen Unterschied wieder belebt, der bei uns gestorben ist. In meiner Lehrzeit gab es eine Regel mit Beispiel: Eine lebende Sprache kennt keine Synonyma. "Furcht" zum Beispiel richtet sich gegen etwas konkret Drohendes; "Angst" hingegen ist ein Gefühl, das durch eine nicht klar erkennbare Bedrohung ausgelöst wird. Seitdem wir "Angst" auch vor einer uns anfauchenden Dogge haben, "Furcht" jedoch auch vor einer globalen Katastrophe, hat sich der Unterschied zwischen den Bedeutungen von "Angst" (vor dem Hund) und "Furcht" (vor der Katastrophe) offenbar verschoben. Er ist nicht verschwunden. "Furcht vor der Ewigkeit" könnte man schreiben; "Angst vor der Ewigkeit" lieber nicht. Die Angst ist, so will es mir scheinen, eher ins Alltägliche abgesunken, die Furcht hingegen strebt ins Erhabene. So möchte ich es versuchsweise einmal stehen lassen. Die Regel, die der lebenden Sprache Synonyma nicht durchgehen lassen will, ist erhaltenswert.

Sie ist auch anfechtbar, gewiss. Da gibt es Übergänge, wo eine Benennung sich vordrängt, während die andere erhalten bleiben will. Da gibt es regionale Eigenheiten. Da gibt es individuelle Eigenheiten, die sich durchsetzen. Und dennoch!

Hier muss ich eine zweite These meiner jüngeren Jahre in Frage stellen. Damals hieß es: Im Englischen hat man immer die Möglichkeit, eine andere Stilhöhe zu erreichen, wenn man statt des Wortes romanischer Herkunft das germanische wählt, oder umgekehrt. "He got what he wanted" - "he received what he desired."

Zurück zu John Grisham. Da handelt es sich nicht um Stilhöhe. Übersetzten wir seinen Satz ins Deutsche, dann hieße er wohl: "Warum also herrschte so viel Angst in dem Bunker." Wir könnten es so verstehen, dass er "fear in the bunker" nicht schreiben wollte, da er jene Unheimlichkeit brauchte, wie "Angst" sie im Deutschen einmal spüren ließ. Dass die "angst" durch ihre deutsche Herkunft zusätzlich Unheimliches mitbrachte, kam ihm gerade recht. Trotzdem kann es unterhaltsam sein, Grishams Frage nach der Angst im Bunker nachzugehen.

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