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Animal Collective

© Domino Records

Animal Collective: Zirpen und summsen

Das aus Baltimore stammende Quartett Animal Collective hat ein neues Album herausgebracht. Es heißt „Merriweather Post Pavilion" und wird bereits euphorisch bejubelt.

Plötzlich scheint alles möglich zu sein: Wenn man die Aufregung in Blogs, Fachblättern und Fanforen als Indikator für möglichen Erfolg wertet, müsste „Merriweather Post Pavilion“, das neunte Album von Animal Collective, ein echter Knaller werden. Und das wäre eine Sensation. Das aus Baltimore stammende Quartett – vorübergehend zum Trio geschrumpft – gilt als eine der visionärsten Gruppen des 21. Jahrhunderts. Seine Platten werden euphorisch bejubelt, zeichnen sich aber nicht gerade durch Zugänglichkeit oder Radiotauglichkeit aus. Vielmehr pflegten Animal Collective bislang einen störrischen, aus dem Geist der Improvisation geborenen Gruppensound am Rand des „New Weird Folk“.

Mit mehrstimmigen Satzgesängen schwollen die Songs schon immer mal, vor allem auf dem Album „Strawberry Jam“ (2007), zu hymnischer Erhabenheit an, wurden aber stets von Werwolfsgeheul oder instrumentalem Sperrfeuer vor der Hitverdächtigkeit bewahrt. Das hat Animal Collective eine stetig wachsende Anhängerschaft beschert, die sich auch im außerordentlichen Pensum denkwürdiger Konzerte bestätigt gefühlt haben dürfte: Die mehrstündigen Auftritte der früher oft mit Tiermasken kostümierten Musiker gleichen Ritualen der Entgrenzung, die in kollektive Rauschzustände versetzen.

„Merriweather Post Pavilion“ ist die logische Fortführung des bisherigen Bandschaffens und zugleich von neuer Qualität. Animal Collective halten an der Gewohnheit fest, die Schönheit ihrer Songs im Dickicht der Arrangements zu ver stecken. Immer wieder werden subozeanisch schwebende Ambient-Soundscapes, arkadische Naturgeräusche oder orbitale Sphärenklänge durch synthetisches Geklirre konterkariert, das an Videospielkonsolen erinnert. Aber es wirkt nicht mehr, als wären zerbrechliche Preziosen in grobes Packpapier gewickelt. Vielmehr werden sie behutsam in einen Schleier aus Stanniol gehüllt, der ihre Anmut kokett hervorhebt.

Im Herzen dieser Klangschichtungen pulsieren Melodien von überirdischer Klarheit. Wie auf früheren Platten sind es die Beach Boys, deren Nachklang in den mehrstimmigen Gesängen von Avey Tare (David Portner) und Panda Bear (Noah Lennox) zu spüren ist. Deutlich hört man Brian Wilsons Einfluss in dem gespenstisch verhallten „Bluish“, ebenso in dem seltsamen Doo-Wop-Mutationen von „Guys Eyes“, die wie das Blöken ausgestorbener Huftiere klingen.

Aber auch beim Gesang gehen Animal Collective andere Wege als bisher. Sie katapultieren sich kopfstimmig in die Umlaufbahnen der „Cosmic Americana“ der Flaming Lips, schauen den Kinderchor-Gassenhauern von MGMT freundschaftlich über die Schulter oder stellen den fisteligen Engelsgesang der Prog rock-Könige Yes liebevoll nach. Drum herum errichtet ihr Chefelektroniker Geologist (Brian Weitz) Soundkulissen, die von einer neu entdeckten Affinität zur Clubmusik ungemein profitieren. So klingt „Summertime Clothes“ wie das Penguin Cafe Orchestra im Minimal- Techno-Remix, wird das nervöse Orgelgeklingel von „Daily Routine“ mit tiefen Bass-Bleeps geerdet. Und wenn sich im Opener „In The Flowers“ unter vielstimmiges Gezirpe und Gesummse ganz sachte ein massiver Beat schiebt, erahnt man schlagartig die Möglichkeiten dieser Musik. Hier könnte eine Band tatsächlich das langjährige Schisma von Indierock und Clubmusik überwinden.

Das Tolle dabei ist, dass es Animal Collective überhaupt nicht darauf anzulegen scheinen. Das spielerische, experimentierfreudige Moment ihrer Musik ist immer noch stark ausgeprägt, nur kanali sieren seine Schöpfer die vermeintliche Widersprüchlichkeit ihrer Stilelemente in Songs von makelloser Kohärenz.

Trotz eines weiten Referenzrahmens, aus dem man noch Namen wie Neu, Steve Reich, Grateful Dead oder die Incredible String Band herausgreifen müsste, klingt „Merriweather Post Pavilion“ nie wie ein pophistorisches Pasticcio. Nicht nur die zeitgenössischen Produktions methoden machen diese Musik zu einem Werk der Gegenwart. Sie hätte nicht früher entstehen können, weil erst Animal Collective in der Lage sind, all die losen Fäden aufzunehmen und zu etwas Unerhörtem zu verflechten. Dass diese randständige Popmusik nicht von weltabgewandten Waldschraten, sondern von um die 30-jährigen, seit Jugendzeiten befreundeten Großstadtbewohnern erdacht wurde, wundert einen da schon fast gar nicht mehr.

„Merriweather Post Pavilion“ ist bei Domino Records erschienen.
Am 18.1. spielen Animal Collective im Postbahnhof.

Jörg W, er

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