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Stilsicher. Anna May Wong in einem authentischen Seidenkleid.

© Deutsche Kinemathek

Anna May Wong im Arsenal-Kino: Du bist ganz anders

Wiederentdeckt: Das Arsenal-Kino feiert mit einer Filmreihe die amerikanisch-chinesische Schauspielerin Anna May Wong.

In „Chu Chin Chow“, einem opulenten britischen Musical von 1934, spielt Anna May Wong die mongolische Sklavin Zahrat, die als Doppelagentin verurteilt wird, obwohl sie von Anfang an nur auf einer Seite steht. Aber Zahrat ist nicht nur stärker, sondern auch klüger als ihre Herren, und so gelingt es ihr Rache zu üben und ihre Peiniger zu überleben. Wongs Rolle in „Chu Chin Chow“ erscheint aus heutiger Sicht wie eine Meta-Version ihrer eigenen Karriere.

Anna May Wong war der erste Hollywoodstar mit chinesischen Wurzeln, blieb in der Filmgeschichtsschreibung dennoch lange vergessen und wurde erst 2006, um ihren 50. Todestag herum, wiederentdeckt. Eine Reihe im Berliner Kino Arsenal zeigt nun einen Querschnitt durch ihre Filmografie. Vollständigkeit ist leider unmöglich, denn Wongs Karriere begann bereits in der Stummfilmzeit, viele ihrer Filme gelten als verschollen.

Herumlungern zum Karrierestart

Anna May Wong wächst in Los Angeles auf, als sich dort auch die Filmindustrie ansiedelt. Statt zur Schule zu gehen, lungert sie hartnäckig an Sets in Chinatown herum und ergattert als Siebzehnjährige ihre erste Hauptrolle in Chester M. Franklins „The Toll of the Sea“. Der im frühen Technicolorverfahren gedrehte Farbfilm versetzt die Geschichte der „Madame Butterfly“ nach China. Wongs Rolle der unglücklich verliebten Lotus Flower steht exemplarisch für die folgenden Jahre ihrer Karriere. Geht es nach Hollywood, soll Wong entweder schüchterne, sich aufopfernde Frauen spielen, die am Ende geradezu obligatorisch sterben – oder die so genannten „Dragon Ladies“, aus egoistischen Gründen handelnde, intrigante Mörderinnen.

Küssen verboten

Auch die strengen anti-miscegenation laws halten Wong von Hauptrollen ab: sie darf keinen weißen Kollegen vor laufender Kamera küssen. Ihre Aufgabe ist es, Filmen lediglich in Nebenrollen orientalisches Flair zu verleihen, während weiße Schauspielerinnen im Yellowface auftreten. Frustriert geht Wong deswegen 1928 nach Europa und dreht dort einige ihrer aufregendsten Filme.

In E.A. Duponts „Piccadilly“ steigt sie von einer Tellerwäscherin zum Showstar auf und tanzt in dekadente Kostüme gehüllt gegen die Gleichgültigkeit der männlich dominierten Gesellschaft an. Überhaupt sind es in ihren Filmen oftmals die Verhältnisse zwischen den weiblichen Figuren, die die Handlung bestimmen: in „Piccadilly“ zwingt ihre Abhängigkeit von den Männern sie in die Konkurrenz zueinander, in „The Toll of the Sea“ kann nur eine Frau Lotus Flowers Schmerz verstehen. Wahrscheinlich tragen diese Rollen dazu bei, dass Anna May Wong eine Affäre mit dem Star ihres berühmtesten Films nachgesagt wird: Marlene Dietrich in „Shanghai Express“.

Unter Affäreverdacht

Die unkonventionellen Frauenkonstellationen setzen sich auch in den B-Movies fort, die Wong ab den dreißiger Jahren in England und den USA dreht. Im Thriller „Tiger Bay“ spielt sie die Besitzerin eines brasilianischen Tanzlokals, die ein schwesterlich enges Verhältnis zu ihrer Mitbewohnerin pflegt. Weil die Filme mit geringerem Budget gedreht werden, stehen sie unter weniger Erfolgsdruck, können es sich leisten, Risiken einzugehen. Anna May Wong, die sich zeitlebens der Bedeutung der Repräsentation bewusst ist und dafür sorgt in ihren Filmen authentische chinesische Kleidung zu tragen, nutzt die Gelegenheit ungewöhnliche Figuren zu verkörpern – und wird dabei zur Modeikone. In „Tiger Bay“ sagt ihr ein Gast ihres Lokals: „Du bist so ganz anders als all meine bisherigen Vorstellungen von Chinesen.“

Arsenal, bis 29. Juni

Katrin Doerksen

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