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In Feierlaune. Musikerinnen aus Mexiko am Freitag im Konzerthaus. Foto: Kai Bienert

© MUTESOUVENIR | KAI BIENERT

Kultur: Anrufung der Mayagötter

Tolldreist: Zum Start von Young Euro Classic.

15 Percussionisten im vollen Einsatz, das ist selten im Konzerthaus. Gleich, wenn die Kontrabässe im Unisonokraftakt ihre Saiten mit gnadenlosem Fortissimo-Pizzicato angerissen haben, werden die Schlagzeuger den Klassikmusentempel am Gendarmenmarkt in Ekstase versetzen. „Nocho de encantamiento“, der letzte Satz von Silvestre Revueltas Filmmusiksuite „La Noche de los Mayas“ (1939) gipfelt in einem vierfach anschwellenden Percussiontsunami, mit Bongos, Congas, Tamtams und ganz großer Trommel, Xylophon, Rasseln, der mit einem Stock geratschten Gurio und zwei großen Meeresmuscheln. Das dumpfe Dröhnen der Caracol, die vertrackten, immer komplexeren Rhythmen: Anrufung der Götter und Dämonen, Beschwörung der Massen, ein Opfertanzritual à la Strawinskys „Sacre“. Die Streicher des Jugendorchesters der Nationalen Universität Mexikos steuern zu den Percussionkadenzen zerfetzte Melodien bei, die Blechbläser fahren als apokalyptische Reiter dazwischen, kollektiver Taumel bis zur Erschöpfung.

Ein tolldreister Start für die 14. Ausgabe des Jugendorchester-Festivals. Erstmals tritt das mexikanische Studentenorchester unter der cool-beschwingten Leitung von Sergio Cárdenas (Tsp. v. 24.7.) auf einem europäischen Festival auf. Mit der Teilnahme von Ensembles aus Thailand, Brasilien oder der arabischen Welt sprengt Young Euro Classic erneut die Grenzen des Kontinents – warum auch nicht? Der Eintritt über die sonst verschlossene grandiose Freitreppe, die Begrüßung durch die Konzertpaten (oder diesmal durch den Deutschlandradio-Intendanten Willi Steul), die verschmitzte Festivalhymne, die Sonnenblumen und die Geduldsprobe der nicht enden wollenden, enthusiastisch aufgenommenen Zugaben – bereits am ersten Abend entfaltet das Festival wieder besonderen Charme.

Klassik, Mayagesänge und die Volksmusik mexikanischer Blechblaskapellen: eine Symbiose, die dennoch nur begrenzt funktioniert. Denn das so heißblütige wie elegante Spiel befeuert zwar Revueltas’ Wahnsinnswerk, aber bei Beethovens 5. Klavierkonzert greift es nicht. Eine gediegene, uninspirierte Interpretation, am Flügel die routiniert-souveräne Solistin Guadalupe Parrondo. Oder liegt es an Beethoven selbst, der vor Mayatempeln womöglich zur kleinen Nummer schrumpft?

Begonnen hat der Abend mit Ausschnitten aus Prokofjews „Romeo und Julia“-Suite. Meisterlich der Kontrast zwischen ohrenbetäubendem Auftakt und lasziver Traumwandelei: das Unversöhnliche, Unbedingte, die Geburt der Musik aus dem Geist des Trauermarschs, süßer Vogel Jugend, im Spiel der Mächte zermalmt. Wer denkt da nicht an die Drogenkriege, die das Bild Mexikos in der Welt dominieren. Und doch bringt das Jugendorchester andere Kunde, wenn es beim Weiterfeiern bis nach Mitternacht dem alten Europa Beine macht. Christiane Peitz

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