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Kulturbruch. Der Zoo Palast brach seine Vorstellungen ab. Im Haus der Berliner Festspiele gedachten Künstler und Publikum gemeinsam der Opfer.

© Bernd von Jutrczenka/dpa, Promo

Anschlag vom Breitscheidpatz: Wie die Nachricht vom Terror ins Theater drang

Es sollte das glanzvolle Finale des Pina-Bausch-Gastspiels im Haus der Berliner Festspiele werden. Dann kommt die Nachricht. Auf einmal wirkt jeder Lacher makaber. Trotzdem wird weitergespielt.

Es sollte der glanzvolle Abschluss des Gastspiels von „Palermo, Palermo“ sein, des seit vergangenem Donnerstag im Berliner Festspielhaus mit Publikumsovationen bedachten Stücks der 2009 allzu früh verstorbenen Tanztheaterkönigin Pina Bausch. Noch kurz vor Beginn ist das Haus an der Schaperstraße belagert von Pina-Fans jeden Alters, die den Spätkommenden vergeblich ihre Schildchen „Karte gesucht“ entgegenstrecken. Und drinnen Festtagsstimmung, bei über tausend Zuschauern. Bis zur Pause. Dann wird es – unheimlich.

Kurz nach 21 Uhr hat der zweite Teil des aus Tanznummern, Schauspielszenen und Musiken von Paganini bis zum Jazz und süditalienischer Tarantella geformten Gesamtkunstwerks begonnen. Doch kaum sind die Saaltüren geschlossen, dringen erst als Gerücht, dann schnell als noch ungewisse Dochgewissheit die Botschaften vom Geschehen am Breitscheidplatz ins Theater. Schon blitzen einzelne Handys im Dunkel des Zuschauerraums auf, und was sonst während einer Vorstellung zu Recht als verpönt gilt, wird zur unfreiwillig dramatischen Begleitung.

Zwei Sitze neben mir flüstert zuerst eine junge Frau, dass „in Berlin etwas Furchtbares geschehen ist“. Beim nun nicht mehr verschämten Blick auf das eben noch abgestellte Smartphone kommt die Meldung, es habe mehrere Tote und zahlreiche Verletzte gegeben. Vermutlich ein Anschlag.

In diesem Moment tritt einer der Tänzer der weltberühmten Wuppertaler Bausch-Compagnie an die Bühnenrampe und ruft das Wort „wunderbar!“; dazu lässt er eine kleine weiße Feder mit einem Puster in den Bühnenhimmel steigen. „Wunderbar“, und im Handy ist bald darauf von neun Toten und etwa fünfzig Verletzten die Rede. Luftlinie ist das ein guter Kilometer entfernt.

Etliche Zuschauer tuscheln, manche stehen auf

Aber das Theater, das immer die Welt bedeuten will, scheint plötzlich weit abgeschnitten. Ist eine Black Box, in der die Mehrheit des Publikums noch nichts von draußen weiß. Und die Theaterleute?

Wie immer bei Pina Bausch gibt es einen schnellen Wechsel von Tragik und Komik, von Pathos und Ironie. „Palermo, Palermo“, mit angeregt durch eine Sizilienreise und koproduziert mit einem Theater im realen Palermo, hatte im Dezember 1989 in Wuppertal Premiere, ist seitdem als Pinas Erbe im Repertoire und reist durch die Welt. Und wenn am Anfang im Bühnenbild von Peter Pabst eine riesige wirkliche Steinmauer fällt, dann zittert das ganze Theater – und der Verweis auf Berlin ’89 ist übermächtig.

Im Dezember 2016, fast auf den Tag 27 Jahre nach der Premiere, greift in Berlin jetzt eine gespenstische Außenmacht ins Geschehen mit ein. Als immer mehr Menschen in der laufenden Vorstellung von den Ereignissen am nahen Breitscheidplatz erfahren, wirkt jeder Lacher über einen Slapstick oder Gag auf der Bühne makaber. Ein Feder-Spiel ist da noch „wunderbar“?

Etliche Zuschauer tuscheln, manche stehen auf und hangeln sich durch die dichten Reihen hinaus. Sie werden von anderen, die aus Trotz, Unwissenheit, Ungewissheit, Befangenheit ausharren, mit zum Teil ärgerlichen Kommentaren bedacht. So wird die Stimmung immer beklommener. In der Aufführung fallen Schüsse, eine maskierte Figur, neues Erschrecken. Kann man das so einfach weiterspielen. The Show must go on? Oder: Es soll der Terror auch hier nicht siegen.

Ein trauriger, verbindender Moment

Vor den Saaltüren im Foyer herrscht mittlerweile Aufregung und Verwirrung. Die Vorstellung abbrechen oder nicht. Es wird nach dem Hausherren, nach Thomas Oberender telefoniert. Der Intendant der Berliner Festspiele ist unterwegs, er war mit seiner Frau bei einem Empfang des spanischen Botschafters in Tiergarten. Als Oberender eintrifft, lautet seine Entscheidung sofort: „Keine Panik. Wir spielen die Vorstellung zu Ende. Dann mach ich nach dem ersten Applaus eine Ansage.“ Oberender möchte das Publikum informieren und unter diesen Umständen „keine Standing Ovations“.

Als Beobachter wechsle ich seit einer halben Stunde selber zwischen Foyer und Saal. Oberender bittet, das Ende noch abzuwarten. Inzwischen ist Pina Bauschs „Palermo“, obwohl 27 Jahre alt, von düsterer Hellsicht. Vor einem schwarzgrauen Wolkenhorizont herrscht Schwermut, ein südlicher Winterblues, Kerzenlichter, und einer der Sänger erzählt zum Schluss das Märchen von den Gänsen und dem Wolf, der sagt „Ihr müsst nun alle sterben“. Worauf die Gänse um ein letztes Gebet flehen, um nicht sündig zu enden. Der Wolf gewährt die finale Bitte, eine Gans nach der anderen gackert ihr Gebet. „Und so beten sie noch immer.“

Kaum heben im folgenden Schlussapplaus, selbst jetzt noch, die üblichen Fan-Jauchzer an, tritt Thomas Oberender vors Publikum. Er sagt, was nach bisherigem Wissen auf dem Breitscheidplatz geschehen ist, spricht davon, dass die Kunst, die jene „Energie“ spende, „die das Leben gegen den Tod lebenswert mache“, von den Feinden des Lebens nicht zum Verstummen gebracht werden dürfe. Und er bittet um eine Minute des Schweigens und Mitgefühls für die Opfer. So erheben sich tausend Menschen, stehen im

Parkett und auf der Bühne: stumm. Dann gehen sie, gehen wir leise ab. Es ist ein trauriger, aber nun alle verbindender Moment.

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