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Kultur: Anti-Faust

Dem Germanisten Albrecht Schöne zum 80.

Es gab eine Zeit, lang ist’s her, da pflegten Schüler die schlechten Gewohnheiten ihrer verehrten Lehrer zu übernehmen. Aus intellektuellen Gründen. Im Falle des Germanisten Albrecht Schöne war dies das geliebte Pfeiferauchen. Hatte der Meister einen neuen Tabak-Proselyten gemacht, und war er würdig, dann schenkte Schöne ihm einen handgeschmiedeten Hufnagel als Bundeszeichen. Handgeschmiedete Hufnägel lassen sich nämlich vorzüglich als Pfeifenstopfer verwenden. Heute ist das Rauchen der politischen Theologie des Gesundheitsgotts zum Opfer gefallen. Aber wenn man bedenkt, wie viele angehende Germanisten mehrerer Generationen vom Schöne’schen Hufnagel-Orden geträumt haben – dann muss man neben den brillanten humanistischen Arbeiten Schönes auch sein stoisches Rauchverhalten und seine symbolischen Hufnägel als Stachel im Fleisch des modernen Ungeistes würdigen.

Soeben ist im C. H. Beck Verlag eine bibliophil ausgestattete Ausgabe mit Essays aus den Jahren 1986–1999 erschienen. Der titelgebende Aufsatz „Vom Biegen und Brechen“ aus dem Wendejahr 1990 ist ein Fokus auf Schönes interkulturellen Horizont. Das poetische Bild des biegsamen oder brechenden Baums verfolgt er in einer Art globalisierter Metaphernkritik durch die Literaturen des Westens und des Ostens. Die Biegsamkeit des Menschen rekonstruiert Schöne als die humane Möglichkeit, auch in post-heroischen Zeiten Würde zu bewahren.

Aber schon sein literaturwissenschaftliches Großprojekt zur Emblemforschung („Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts“, 1967), das er gemeinsam mit dem Heidelberger Germanisten Arthur Henkel herausgab, war ein transnationales, ein europäisches Projekt. Heute hat die Emblemkunst ein spätes Echo in der Werbung. Aber die Bedeutung der Embleme für die Literatur (und Kunst) der Neuzeit wurde erst durch die Arbeiten Schönes und Henkels durchsichtig. Die „Emblemata“ erschlossen systematisch den unendlichen Bildvorrat der Sinnbildbücher aus Renaissance und Barock. In vielen klassischen Arbeiten rückte Schöne das Fortleben der Emblematik bis in die Moderne ins literarische Bewusstsein.

Mit seiner kommentierten Neuausgabe von Goethes „Faust“ im Deutschen Klassiker Verlag (inzwischen in der 5. Auflage) rüttelte Schöne kräftig am nationalen Klischee des „faustischen Charakters“. Die Deutung der Faustdichtungen als Kritik der modernen Hybris, als Distanzierung vom Faustischen, bekam mit Schönes Kommentar eine stabile Grundlage.

1925 in Barby an der Elbe geboren, wuchs Albrecht Schöne in Naumburg an der Saale und in Stendal auf. Als Leutnant der Reserve kam er in amerikanische Gefangenschaft. Anschließend arbeitete er zunächst als Holzfäller. Nach dem Studium in Freibug, Basel und Göttingen wurde er 1952 in Münster promoviert und wirkte bis zu seiner Emeritierung 1990 als Professor in Göttingen. Mitte der Siebzigerjahre half er beim Aufbau der Hebräischen Universität in Jerusalem. Immer wieder setzte er sich für die Vermittlung der Geisteswissenschaften in die Öffentlichkeit ein und verurteilte das „weitverbreitete Imponiergehabe eines rücksichtslosen Spezialjargons“. Ende Mai hielt Schöne bei der Sitzung des ehrwürdigen Ordens „Pour le mérite“, dessen Auszeichnung er seit 1990 trägt, im Berliner Konzerthaus eine Rede zu Paul Celan. Heute feiert Albrecht Schöne im Kreis seiner Familie – und nicht ohne den einen oder anderen Hufnagelordenträger – seinen 80. Geburtstag.

Marius Meller

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