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Transfer aus Fernost. Nachdem am sächsischen Hof zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Geheimnis der Porzellanherstellung endlich gelüftet war, wurden auch die Motive aus dem Fernen Osten importiert. Die Scherbe mit den Chinoiserien gehört zu einem Service aus Meißen aus dem 18. Jahrhundert.

© Geneviève Frisson

Anti-Humboldtforum-Ausstellung in Hamburg: Migration der Objekte

"Mobile Welten": Roger M. Buergel zeichnet im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe Wege rund um den Globus nach.

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe war immer schon für einen etwas anderen Ansatz gut. Auch thematisch nimmt sich das Haus Freiheiten – wenn es nur um gesellschaftlich Relevantes geht. In den letzten Jahren gab es Ausstellungen zur Gleichberechtigung der Tiere oder zur Ernährung, und auch bei der Provenienzforschung ging die Institution mutig vorneweg, indem sie offensiv Objekte der eigenen Sammlung erforschte, die unter dem Verdacht der NS-Raubkunst stehen („Hamburger Silber“). Die Ergebnisse werden dem Publikum seit etlichen Jahren in einer Saal-großen Vitrine gleich neben dem Eingangsfoyer präsentiert.

Mit der Ausstellung „Mobile Welten“ stürzt sich das Hamburger Museum wieder ins Getümmel einer aktuellen Diskussion. Ausstellungsmacher Roger M. Buergel nennt die Schau mit einem kleinen Seitenhieb auf Berlin sein „Anti-Humboldtforum“, denn bei ihm werden museale Ordnungen aus den Angeln gehoben, vor allem jene, die in Ethnologischen Sammlungen gelten. Die Einladung an Buergel, den künstlerischen Leiter der vorletzten Documenta unter dem Motto „Migration der Formen“, erging vor drei Jahren noch von Sabine Schulze, die sich als Direktorin in diesem Sommer verabschiedet hat.

Einen ähnlichen Ansatz wie 2007 in Kassel verfolgte der Kurator nun auch bei seiner Recherche in den Archiven des Kunstgewerbemuseums. Diesmal suchte Buergel jedoch nicht nach weltumspannenden Verbindungen zwischen der Moderne und der Gegenwartskunst. Zusammen mit der Kultursoziologin Sophia Prinz holte er stattdessen gerade solche Objekte aus dem Dunkel der Depots, deren Ursprung sich nicht auf dem direkten Wege zurückverfolgen lässt, sondern die verschiedene Entstehungsgeschichten in sich tragen – als Beleg einer seit vielen Jahrhunderten wirkenden Globalisierung.

Botschaft am Hinterkopf. Seit den Fünfzigerjahren dokumentiert der Fotograf J. D.’Okhai Ojeikere in Afrika Hunderte von Flechtfrisuren.
Botschaft am Hinterkopf. Seit den Fünfzigerjahren dokumentiert der Fotograf J. D.’Okhai Ojeikere in Afrika Hunderte von Flechtfrisuren.

© Courtesy MAGNIN-A gallery, Paris

Die kulturellen Zwitter dienen als Botschafter eines neuen Denkens im Museum, aber auch außerhalb, denn die mit der Kolonialisierung im 19. Jahrhundert eingeführten Systematiken gelten nicht nur für Sammlungen, sondern wirken bis heute auch gesellschaftlich fort. Die Auseinandersetzungen um das Humboldt-Forum – wie mit Objekten aus kolonialem Kontext umgegangen werden kann, was dies über unser Verhältnis zu den Herkunftsländern aussagt – zeugen davon.

Buergel schert sich darum nicht. Er hebelt Kategorien wie Epoche, Geografie, Kunst und Nicht-Kunst einfach aus. Er wolle kein Dienstleister sein, sagt er, entsprechend unorthodox ist die Ausstellungsarchitektur. Die Exponate – Pfeifen, Instrumente, Kleidungsstücke, Zierobjekte – werden nicht in klassischen Vitrinen gezeigt, sondern in alten Bauernschränken und Truhen aus den Vierlanden präsentiert. Das Hamburger Museum besitzt eine der größten Sammlungen dieser Möbelstücke, denn Gründungsdirektor Justus von Brinkmann hatte den ethnologischen Blick nicht nur auf die südlichen Kontinente gerichtet, sondern auch auf das Hamburger Hinterland, wo er ebenfalls den Verlust einer heimischen Kultur befürchtete, in diesem Fall allerdings durch die Industrialisierung.

Das Ergebnis ist ein aus rund 200 Exponaten zusammengesetztes gigantisches Potpourri, das den Besucher vor eine Herausforderung stellt. Die Schneisen durch diese wuchernde Collage muss er selber schlagen. Das kann frustrierend sein, wenn sich die ungewöhnlichen Verbindungen nicht von alleine erschließen oder der Kurator nicht gerade für eine Führung zur Verfügung steht.

Der Besucher muss sich eine Schneise durch das Potpourri schlagen

Auf der Oberfläche surfend mag man zwar die Ähnlichkeit der Palmetten-Muster auf einer griechischen Scherbe aus dem 4. Jahrhundert und einem 1400 Jahre später gefertigten Teller des britischen Porzellan-Herstellers Wedgwood erkennen. Wie es zu diesem Übersprung des Motivs auf die Tellerborte kam, warum die britische Upperclass ein Faible für hellenistisches Dekor entwickelte, wird nicht genauer ausgeführt. Zu kurz kommt auch die Erklärung für die Herkunft des berühmten Paisley-Musters, das keine Erfindung schottischer Weber war, sondern von den Briten aus Indien importiert wurde. Es findet sich erstaunlicherweise auch auf einer Wiegendecke aus den Vierlanden wieder.

So hüpft die Ausstellung von Südeuropa nach Indien und schließlich nach Afrika, wo der Fotograf J.D. Okhai Ojeikere seit den Fünfzigern in Hunderten Aufnahmen verschiedene Haarflechttechniken dokumentiert hat, die immer auch als Botschaft zu lesen sind. Welche genau, wird wieder nicht verraten. Die Fotografien aus Afrika passen wiederum zu einem Karton mit Haarflechtmustern des 19. Jahrhunderts aus dem Bestand des Museums für Kunst und Gewerbe. Über die Konstatierung einer verblüffenden formalen Analogie führt die Zusammenstellung allerdings nicht hinaus. Und schon geht es weiter nach Japan, zu einer exquisiten Kimono-Kollektion aus den vierziger Jahren. In die Stoffe sind Hakenkreuze, die italienische und japanische Flagge sowie Bomber über dem Kilimandscharo eingewebt. Die Trägerinnen führten Zeitgeschichte spazieren, in ihrem Kleidungsstück sind die Achsenmächte verewigt.

Eroberung, Handel, Kollaboration waren schon immer der stärkste Transmissionsriemen für kulturelle Verschiebungen. „Mobile Welten“ tupft diese nicht ganz neue Erkenntnis wie auf einem Wimmelbild da und dort mit Objekten als Belegen hin. Als Experiment mag das durchgehen. Das Museum für Kunst und Gewerbe müsste nach dem Archiv-storming Buergels nun selber weitermachen und Konsequenzen für seine Schausammlung ziehen, soll die Ausstellung mehr als nur Gedankenspielerei bleiben. Eine Aufforderung an die neue Direktorin Tulga Beyerle, die vom Kunstgewerbemuseum Dresden kommt. Und das Berliner Humboldt-Forum könnte den Mut zum Querdenken mitnehmen.

„Mobile Welten“. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, bis 14. 10.; Di – So 10 – 18 Uhr, Do bis 21 Uhr

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