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Sabine Schormann ist Generaldirektorin der Documenta und des Museums Fridericianum in Kassel.

© Swen Pförtner/dpa

Antisemitismus-Eklat: Documenta-Direktorin weist Vorwürfe zurück

Ohne Einsicht: Documenta-Leiterin sieht keine Versäumnisse bei der Antisemitismus-Aufarbeitung. Und wie viel BDS steckt nun in Kassels großer Schau?

Sabine Schormann, die Generaldirektorin der gemeinnützigen Documenta GmbH, hat sich in Sachen Antisemitismus-Eklat zu Wort gemeldet, nach Tagen des Schweigens und nachdem sie sich vergangene Woche bei einer Aussprache im Bundestags-Kulturausschuss wegen Krankheit entschuldigen ließ.

Am Dienstagabend erschien nun eine Stellungnahme Schormanns auf der Webseite der Documenta.
Mehrere Seiten lang sind die Ausführungen zum Stand der Aufarbeitung des Antisemitismus-Eklats. Aus der Sicht Schormanns wurden entgegen vieler anderslautender Vorwürfe „angemessene Maßnahmen ergriffen“. Man staunt.

Viele Fragen bleiben offen, wer sind denn nun die Experten?

Nach Schormanns Darstellung wurde das Documenta Archiv damit beauftragt, gemeinsam mit den Kuratoren und Künstlern, nach weiteren antisemitischen Inhalten Ausschau zu halten. Genau dies sollte eigentlich auch der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, tun; Mendel war vergangene Woche entnervt abgesprungen.

Schormann schreibt, Mendels Absage habe nicht nur zum Rückzug der prominenten Documenta-Künstlerin Hito Steyerl geführt, sondern „das Vertrauensverhältnis zu Ruangrupa und den Künstler*innen enorm belastet“. Seine Darstellungen in diversen Medien könne sie nicht nachvollziehen.
Der Geschäftsführerin zufolge ist die Begutachtung weiterer Werke bereits in Gang.

Ein „Netzwerk aus externen Berater*innen aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen“ sei aufgebaut worden. Darunter fänden sich „renommierte Fachwissenschaftlerinnen, die ihre Arbeit wie in der Wissenschaft üblich primär außerhalb der Öffentlichkeit ausführen“. Ergebnisse und vertiefende Fragen würden in weiteren Podien diskutiert. Bisher wurden aber weder Ergebnisse bekannt, noch wusste man, dass schon gearbeitet wird. Warum erfährt man keine Namen?

Mendel verlangt Richtigstellung durch den Aufsichtsrat

Mendel sagt, Schormann werfe „Nebelkerzen“ und verdrehe die Tatsachen. Er habe mit seiner Aufgabe nicht beginnen können, weder seien ihm Kunstwerke vorgelegt worden, noch habe Schormanns Team einen Kontakt zu den Kuratoren vermittelt. Wer die weiteren Experten sein sollen, weiß er nicht.

Weiterer Streitpunkt: Mendel wirft der Documenta- Leitung vor, diese schirme die Kuratorengruppe Ruangrupa paternalistisch ab. Ruangrupa sei etwa zur ersten Antisemitismus-Diskussion am 29. Juni zunächst gar nicht eingeladen gewesen. Schormann schreibt in ihrem Statement, „ganz im Gegenteil: Wir haben diese Einladung aus freien Stücken selbst ausgesprochen und ruangrupa ist dieser auch unmittelbar nachgekommen“.

Mendel entgegnet in einem Statement an den Tagesspiegel: „Die Leiterin der Kommunikation in der Bildungsstätte Anne Frank, Eva Berendsen, und ich haben in mehreren Telefonaten zwischen dem 22. und 24. Juni versucht, dass Ruangrupa eingeladen wird. Diese Bitte wurde von der Documenta-Leitung immer wieder mit diversen Erklärungen abgelehnt, bis wir schließlich schriftlich mit der Absage der Veranstaltung drohen mussten.“ Vom Aufsichtsrat der Documenta verlangt Mendel nun eine Richtigstellung von Schormanns Aussagen. Er sei erschüttert, dass sie Unwahrheiten verbreite.

Berater vom Haus der Kulturen der Welt

Ein paar Namen gibt es aber doch in Schormanns Statement. Man wundert sich, dass sie diese nicht schon früher genannt hat. So gab es den Ausführungen zufolge nämlich durchaus eine frühe Expertenberatung nach den bereits im Januar gegen Ruangrupa erhobenen Antisemitismus-Vorwürfen, wie vom Bund, wie von Kulturstaatsministerin Claudia Roth vorgeschlagen.

Es sei „ein fünfköpfiges Berater*innen-Team“ eingesetzt worden“, so Schormann. Die Koordination habe auf Empfehlung unter anderem von Roths Behörde die Autorin und Kuratorin Emily Dische-Becker übernommen.

Diese wiederum benannte weitere Experten, darunter Anselm Franke, der wie Emily Dische-Becker kuratorisch am Haus der Kulturen der Welt tätig war und bald Professor für Curatorial Studies in Zürich wird, und den Autor Ofer Waldmann, „Redner und Berater zu deutsch- bzw. europäisch-israelischen Fragestellungen“, wie es in Schormanns Text heißt.

Nahostkonflikt und die Rolle Deutschlands

Die Aufgabe der Fünf: „umfassende Beratung zu (auch medialen) Fragen mit Bezug zu Antisemitismus und dem israelisch-palästinensischen Verhältnis sowie umfassende Unterstützung bei der Planung, Durchführung und Organisation der geplanten Expert*innen-Foren“. Jene Foren, die nach Protesten von Seiten des Zentralrats der Juden in Deutschland wegen der Zusammensetzung der Podien abgesagt worden sind.

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Und wer sind die drei? Sie würden sich wohl kaum selbst Antisemitismus-Experten nennen. Emily Dische-Becker hat die vom Zentralrat scharf kritisierte Tagung „Hijacking Memory“ am Berliner Haus der Kulturen der Welt mitorganisiert. Dort ging es um die Instrumentalisierung des Holocaust-Gedenkens durch die neue Rechte, Beispiel Putin, Beispiel AfD. Die Meinungen dazu sind geteilt.

Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats, hatte der Konferenz Holocaust-Relativierung vorgeworfen. Etliche an der Konferenz beteiligte, auch jüdische Forschen- de widersprachen inzwischen Botmanns Kritik, beurteilten die Konferenz als „gelungen“, das Thema als „wichtig“.

Es scheint weit über die Documenta hinaus auch eine innerjüdische Kontroverse darüber zu geben, wie der Kampf gegen Antisemitismus geführt werden soll, welche Kritik an Israels Palästinapolitik antisemitisch ist und welche nicht.

Durchgezählt: Documenta-Mitwirkende haben BDS-Aufrufe unterstützt

Damit sind wir beim Thema BDS. Die Zeitung „Die Welt“ hat 2267 an der Documenta beteiligte Mitarbeiter, Kuratoren, Künstler auf ihre Nähe zu der Israel-Boykottbewegung hin durchleuchtet. Sie kommt auf „mindestens 84“ Mitwirkende, die „Aufrufe zum Israel-Boykott“ unterschrieben haben, etwa den „Brief gegen Apartheid“ von 2021.

Den hat im übrigen auch der Kurator der 2017 stattgefundenen Documenta 14, Adam Szymczyk, unterschrieben. Im „Brief gegen Apartheid“ werden Angriffe des israelischen Militärs auf den Gazastreifen kritisiert, Israel wird als Kolonialmacht und Apartheidsregime bezeichnet. Begriffe, die auch bei Kritikern der israelischen Siedlungspolitik umstritten sind.

Einige Documenta-Mitwirkende haben laut „Welt“ den Aufruf „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“ unterschrieben. Man kann die Unterzeichner, zu denen viele Leiter großer deutscher Kulturinstitutionen gehören und wie berichtet auch Museumschef und Findungskommissions-Mitglied Charles Esche, auf den Webseiten der Manifeste nachlesen. Sie wenden sich gegen die BDS-Resolution des Bundestags und gegen den pauschalen Ausschluss von BDS-Anhängern.

Antisemitismus, immer nur bei den anderen

Die Nuancen wahrzunehmen, ist im Rahmen einer aufgeheizten Debatte kaum möglich. Aber es ist notwendig, um seriös darüber zu sprechen, wie viel Einfluss BDS im deutschen Kulturbetrieb tatsächlich hat, was genau Antisemitismus ist. Und um ihn auch an sich selbst wahrzunehmen, nicht nur bei anderen. Am Freitag tagt der Aufsichtsrat der Documenta. Vorsitzender ist Kassels OB Christian Geselle, der beim Bundestags- Kulturausschuss letzte Woche ebenfalls kurzfristig abgesagt hatte.

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