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Der Krieg ist schon da.

© dpa

Appell in der Ukraine-Krise: Für Berlin kann nur Paris Vorbild sein

Dem Aufruf "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" kann man gutwillig zustimmen. Bei den Empfehlungen an die Bundesregierung begeben sich die prominenten Unterzeichner jedoch auf historisches Glatteis.

Eine gerechte Friedensordnung für Europa, die Krieg verhindert – diesem von Horst Teltschik (CDU), Walther Stützle (SPD) und Antje Vollmer (Grüne) organisierten Aufruf von gut 60 Prominenten können alle Gutwilligen zustimmen. Auch, dass dieses Ziel bis heute nicht erreicht ist – siehe Ukrainekrieg. Bei ihren Empfehlungen an die Bundesregierung begeben sich die Unterzeichner, zu denen auch Roman Herzog und Wim Wenders gehören, jedoch auf historisches Glatteis. Einerseits verweisen sie auf die Pariser Charta für ein neues Europa von 1990. Andererseits fordern sie, man müsse Russland als Gestaltungsmacht Europas anerkennen, wie es sie seit dem Wiener Kongress ausgeübt habe. Die historischen Parallelen stehen jedoch für zwei geradezu gegensätzliche Politikansätze.

In der Pariser Charta versprechen 35 Staaten, darunter die Sowjetunion, Demokratie, Grundfreiheiten und Menschenrechte einzuhalten. Sie verpflichten sich, Grenzen nicht mit Gewalt zu verändern, ja nicht einmal mit Gewalt zu drohen. Die Rechte schwächerer Nationen zählen nicht weniger als die der Großmächte. Wer diesen Maßstab anlegt – so argumentieren mehr als 100 Osteuropa-Experten in einem Gegenaufruf, darunter Marieluise Beck und Karl Schlögel –, müsse jedoch zu dem Urteil kommen, dass es im Ukrainekrieg einen eindeutigen Aggressor gebe, Russland, und ein klar identifizierbares Opfer. Ähnlich sei es zuvor Georgien und Moldawien gegangen. Russland verletze die Integrität dieser Staaten.

Für Berlin kann nur Paris Vorbild sein

Und was meinen die Prominenten, wenn sie den Wiener Kongress zum Vorbild erklären? Er betrieb Restauration, nahm die Demokratisierungs- und Modernisierungsansätze der Französischen Revolution zurück, schaffte die Pressefreiheit wieder ab. Mit Billigung Großbritanniens setzten Österreich, Preußen und Russland ihre Interessen auf Kosten der nationalen Selbstbestimmung von Polen, Slowaken, Tschechen, Ungarn durch. Deren Freiheitsbewegungen wurden 1830, 1846, 1848, 1863 blutig niedergeschlagen. Dieser Politikansatz – die jeweiligen Weltmächte einigen sich mit Russland über die Köpfe der Nationen in Ost- und Mitteleuropa hinweg – wiederholte sich 1945 in Jalta: Die Westmächte lieferten sie der Sowjetdiktatur aus. Auch diese Ordnung war weder gerecht noch stabil, wie die blutig beendeten Aufstände von 1953, 1956, 1968 und 1980 zeigen.

Für die Regierung in Berlin kann nur Paris das Vorbild sein, nicht Wien. Wie aber bringt sie Russland, das diese europäische Ordnung am häufigsten und nachhaltigsten verletzt, dazu, die Charta einzuhalten?

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