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Weinviertler. Josef Hader als unheiliger Trinker in „Hader on Ice“.

© Lukas Beck

Applaus für „Hader on Ice“ in Berlin: Josef Hader und sein Freund Rudl

Josef Hader gastiert mit seinem furiosen Kabarettsolo in Berlin. Dabei war er nie besser, böser, trauriger, zärtlicher, verzweifelter als in der Show.

Einen barocken Bauernhof hat er saniert. Den großen Corona-Roman schreibt er, „eine Tetralogie in vier Bänden“. Und hinterher noch ein Kochbuch, „als nächstes Projekt“. Im Weinviertel. Das Weinviertel ist die Uckermark von Wien. Ein Sehnsuchtsort.

Wer es als begüterter Künstler oder Intellektueller nicht mehr aushält in der Stadt, der geht dahin. Genauso wie Josef Hader, ober besser seine Bühnenpersona. „Rübenäcker bis zum Horizont, ein ganzer Ozean“, schwärmt er. „Braun, dreckig, durchzogen von Plastikplanen – ganz wie das richtige Meer.“

Die Reifedauer hat sich gelohnt

Mit dem Schreiben seines Solos „Hader on Ice“ hat der Kabarettist sich 17 Jahre Zeit gelassen. Die Reifedauer hat sich gelohnt. Hader war nie besser, böser, trauriger, zärtlicher, verzweifelter als in der Show, die jetzt acht ausverkaufte Abende lang im Berliner Kino Babylon gastiert.

Umrahmt wird die aus zwei jeweils einstündigen Akten bestehende Show von Dean-Martin-Songs. Weichgespült und retro. Der wegen seiner schluchzenden Stimme gefürchtete Crooner war ein bedeutend harmloserer Bühnentrinker, als der ins Irreale abgleitende Bühnenhader.

Mit dem Rum-Glas in der Hand bramarbarsiert er selbstgerecht und sentimental vor sich hin. Ein Boomer-Arschloch sondergleichen. „Genau zum richtigen Zeitpunkt auf die Welt gekommen, um der nächsten Generation alles wegzufressen und zum Schluss schmerzfrei zu sterben.“

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Ein Hader-Programm ist nie nur Kabarett, sondern immer auch Schauspiel. Seine Suada anklagender Vergeblichkeit wechselt die Themen wie die Körperhaltungen und Stimmfarben. Mal donnert er Schimpfkanonaden ins Publikum. Über Kellner, Filterkaffee, Paketboten. „So viel Boten wie heut gab’s nicht mal im Mittelalter. Seuchen und Enthauptungen haben wir auch wieder. Was wird als nächstes hip: Käse-Schinken-Toast, Hexenverbrennungen?“

Mal wird er mit weicher Kinderstimme zum wispernden Sepperl, das sich an die Schauergeschichten erinnert, mit dem es einst vom Priester traktiert wurde. Er tanzt, grimassiert, kramt vor der Bühne nach Flaschen. Imitiert Oskar Werners Herzinfarkt-Tod aus dem Film „Das Narrenschiff“ und trifft dessen näselndes Idiom dabei ausgesprochen gut.

Rudl, der Wolf, sein einziger Freund

In virtuosen Stichwortwechseln geht es von den banalen Zeiterscheinungen zu den gravierenden – Verschwörungsglaube, Corona, Armut, Geflüchtete, Klima – und zum Menschsein an sich. Dem Mitgefühl, das jeder nur begrenzt aufzubringen in der Lage ist: „Mit sich selber schon, aber nicht mit Leuten, die bettelnd am Boden sitzen oder im Mittelmeer ertrinken.“ Oder der Angst vor Tod und Alter. „Da wirst du wieder wie ein Baby, liegst hilflos da. Nur, dass dich dann keiner mehr liebt.“

[Babylon Mitte, bis 29. Januar (ausverkauft), Zusatztermine: 4.-6. Februar]

„Hader on Ice“ ist glänzend geschrieben und einstudiert. Inklusive Hängern und Textdoubletten des außer Fasson geratenen Säuferegos. Und dann führt der vielstimmige Hader auch noch Dialoge. Sie bescheren einen überraschenden, surrealen Twist. Hader freundet sich wie weiland James Stewart in „Mein Freund Harvey“ mit einem Tier an.

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Keinem Riesenhasen, sondern einem Riesenwolf, dem Schrecken der Provinz. Rudolf, genannt Rudl, hat seine Stimme von Tom Waits geborgt. Er und Hader haben denselben natürlichen Feind. Wer braucht noch Menschen, wenn er mit einem Wolf bei fünf Kilo Rindscarpaccio sitzen kann? Wobei Hader im ersten Akt eigentlich bekannt hat, ethischer Vegetarier zu sein. „Ich esse nur Tiere, die nicht schreien, wenn man sie tötet. Fisch oder Hummer, kein Problem!“

Rudls derbe Beleidigungen sind für befreite Lacher gut. Bei den Sottisen des Säufers bleibt das Lachen der Selbsterkenntnis im Halse stecken. Immer wieder. Das Gruseln über die furios vorgeführte geistige Verwahrlosung des Wohlstandsmenschen geht so tief wie nie im Witzchenkabarett. Am Ende singen Halder und Rudel am Harmonium ein brüchiges Duett. „Somewhere Over The Rainbow“, hach ja. Donnernder Applaus.

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