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Kultur: Arbeitslos, obdachlos, perspektivlos - vor allem die Jugend leidet darunter

Spannungen zwischen den Rassen bestimmen in Südafrika auch sechs Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen die Tagesordnung. Südafrika ist eine Krisengesellschaft, die bestimmt wird durch die Angst vor der Gewalt.

Spannungen zwischen den Rassen bestimmen in Südafrika auch sechs Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen die Tagesordnung. Südafrika ist eine Krisengesellschaft, die bestimmt wird durch die Angst vor der Gewalt. Es sind vor allem die Kinder und Jugendlichen, die dieses Erbe der Apartheid tragen - und weitertragen. Diskrimierung und Vergeltung liegen weiter im unheilvollen Trend. Die alten Machteliten mögen mit den Unterdrückten die Plätze getauscht haben, der rauhe Umgangston ist jedoch geblieben. Er ist eher geeignet ein Fegefeuer anzufachen, als dass er dem Bild einer "Regenbogennation" buntes Leben einhaucht. Viele ihrer Vertreter sind buchstäblich oder emotional in der Gosse gelandet - oder dort geblieben.

Schwarze Schüler erhängen sich, weil sie kein Geld für Schulbücher haben. Weiße Südafrikaner machen "Bullet Clubs" auf, Vereine für Schusswaffenopfer, um ihre Wunden zu lecken. Eine Katharsis ist nicht in Sicht: Die Apartheid zwischen Schwarz und Weiß geht mit der Apartheid zwischen sehr reich und sehr arm einher. "Wir leben noch in zwei verschiedenen Ländern", hieß es kürzlich in einer Beilage des "Sunday Independent" anlässlich des Jahrestages der Soweto-Aufstände 1976.

Einen Ausweg aus der Misere sollte die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission unter der Leitung des ehemaligen Erzbischofs von Kapstadt, Desmond Tutu, weisen. Anhörungen von Opfern und Tätern sollten Versöhnung ermöglichen. Dass dieses Ziel nicht erreicht wurde, zeigen seriöse Umfragen unter der städtischen Bevölkerung zwischen Johannesburg und Kapstadt. Zwei Drittel der Befragten sind der Ansicht, im Zuge der Arbeit der Truth and Reconciliation Commission (TRC) habe sich das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen eher verschlechtert denn verbessert.

Eindrucksvoller noch belegen den ungewissen Ausgang der Mission Tutus die Zeugenaussagen von Kindern und Jugendlichen vor der Wahrheitskommission, die Karin Chubb und Lutz van Dijk zusammengetragen und weiter recherchiert haben. Zwar wird in den dokumentierten Aussagen das Verdienst der Einrichtung deutlich, der schweigenden Mehrheit Gehör verschafft zu haben. Doch der ersten Erleichterung, die die Zeugenaussagen den Jugendlichen verschafften, ist Ernüchterung, ja Resignation gewichen. Der gesellschaftliche Aufbruch droht am Abgrund zu enden.

Die Autoren dokumentieren nach einem längeren Einleitungsteil Zeugenaussagen und Berichte vor der Tutu-Kommission, die ihnen besonders symptomatisch erscheinen. Sie machen den Hauptteil des Buches aus - und dessen Gehalt. Denn diese Stellungnahmen weisen weit über den vermeintlich fernen Horizont südafrikanischer (Kolonial-)Geschichte hinaus. Das Gefühl von Bitterkeit und Heimatlosigkeit, das alle Aussagen durchzieht, das Gefühl, ausgegrenzt, verraten, betrogen worden zu sein, ist kein südafrikanisches Phänomen allein. "Ich denke, wir haben konkret überhaupt nichts gewonnen, weil wir noch immer in der gleichen Position sind wie damals - arbeitslos, obdachlos, verlassen. Keine Anerkennung", klagt da etwa die politisch aktive Sandra Adonis, deren Mann nach schrecklicher Folter als seelisch gebrochener Mensch zu ihr zurückkehrte.

Die von der Tutu-Kommission geweckten Hoffnungen mussten unerfüllt bleiben: Sie untersuchte Menschenrechtsverletzungen, war jedoch nicht angetreten, diese Verletzungen zu heilen. Die offenen Wunden werden bis zum heutigen Tage beklagt. Wie die offenen Rechnungen. So trägt Ismail M. Rantsieng von den 13 Polizeikugeln, die in seinen Körper einschlugen, immer noch fünf mit sich herum. Yazir Henry, schwer verwundet auch er, sagt: "Zwanzigtausend Leute, die vor der TRC ausgesagt haben, können nicht die Verantwortung tragen für die Heilung von 45 Millionen Menschen. Wir alle müssen das tun."

Nicht jeder ist dazu bereit - oder in der Lage. Die weiße Bevölkerungsminderheit sieht wenig Notwendigkeit für Veränderungen. Anderen ist schlicht die Fähigkeit abhanden gekommen zu vertrauen. Das von vielen schwarzen Südafrikanern erwartete "Wunder von oben" ist trotz der Strahlkraft des früheren Staatspräsidenten Nelson Mandela auf der wirtschaftlichen und mentalen Strecke ausgeblieben. Solange die verschiedenen Bevölkerungsgruppen kein echtes Interesse für einander entwickeln, ist auch kein "Wunder von unten" zu erwarten. Das ist die Lehre dieses Bandes; sie gilt nicht nur für Südafrika.Karin Chubb / Lutz van Dijk: Der Traum vom Regenbogen. Nach der Apartheid: Südafrikas Jugend zwischen Wut und Hoffnung. rororo, Hamburg 1999. 284 Seiten. 16,90 DM.

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