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Kultur: Arbeitslosigkeit: Ein harter Job

Immer schön ruhig bleiben - die Devise des Bundeskanzlers gilt für alle Bereiche. In seinem Amt haben sie das verinnerlicht: Dass sie sich nicht aus dem Konzept bringen lassen, dafür sorgt der Staatssekretär des Bundeskanzlers, und wenn Gerhard Schröder von seiner Politik der ruhigen Hand spricht, dann bezieht sich das nicht zuletzt auf seine rechte, Frank-Walter Steinmeier.

Immer schön ruhig bleiben - die Devise des Bundeskanzlers gilt für alle Bereiche. In seinem Amt haben sie das verinnerlicht: Dass sie sich nicht aus dem Konzept bringen lassen, dafür sorgt der Staatssekretär des Bundeskanzlers, und wenn Gerhard Schröder von seiner Politik der ruhigen Hand spricht, dann bezieht sich das nicht zuletzt auf seine rechte, Frank-Walter Steinmeier. So erklärt sich, wie ein Treffen Ende November unter der Leitung von Steinmeier zum Thema Arbeitsmarkt verlief. Das Fazit: Wir prüfen erst und entscheiden dann. Und was wir anpacken, das muss uns weiterbringen.

Steinmeiers parlamentarischer Kollege im Arbeitsministerium, Gerd Andres, sieht das nicht anders. Was jetzt zu tun ist? Das Job-Aktiv-Gesetz in Gang zu bringen. Bei 500 000 offiziell als offen gemeldeten Stellen rechnen Andres und Steinmeier mit rund 1,5 Millionen Stellen, die tatsächlich zu besetzen sind. Da soll das Gesetz aus dem Haus Riester weiterhelfen. Es soll Entlastung schaffen auf dem Arbeitsmarkt - und, nicht zu vergessen, für die SPD als große Regierungspartei vor der Bundestagswahl 2002.

Kombilohn-Modelle helfen vielleicht auch, aber erst wird gründlich ihre Wirkung geprüft. Arbeit finanzieren statt Arbeitslosigkeit - in Nordrhein-Westfalen wird der Modellversuch auf Riesters Wunsch ausgeweitet, um zu sehen, ob es sich lohnt, ihn bundesweit zu verfolgen. Und Arbeitsminister Schartau lässt ein eigenes Gutachten "zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten im Niedriglohnsektor" erstellen. Und Schartaus Wort hat bei der Entscheidung Gewicht, als Ex-Gewerkschafter und neugewählter Vorsitzender der SPD in NRW, des mitgliederstärksten Landesverbands. Auch Rheinland-Pfalz, wo Kurt Beck regiert, der neuerdings so wichtig geworden ist, dass manche in ihm schon den nächsten Bundesparteivorsitzenden sehen, wird in Riesters Sinne weiter prüfen. Und in Schröders. Das Mainzer Modell sieht Zuschüsse zu Sozialversicherungsbeiträgen von Kleinverdienern vor, oberhalb der 630-Mark-Grenze.

Der eine prüft noch, der andere hat sich entschieden: Edmund Stoiber. Bayerns Landeschef freut sich auf den Wahlkampf, in dem er, ob als Kanzlerkandidat oder nicht, den Kanzler mit dem Thema Arbeitslosigkeit konfrontieren wird. Für Stoiber ist klar: Rot-Grün hat Arbeitsplätze vernichtet. 250 000 durch einen generellen Teilzeitanspruch, 600 000 durch das 630-Mark-Gesetz.

Außerdem kritisiert der CSU-Chef, dass die Koalition die Schaffung neuer Stellen behindere: durch das Scheinselbständigengesetz und das neue Betriebsverfassungsgesetz mit seinen Mehrkosten von bis zu 2,7 Milliarden Mark. Das sagt er jetzt schon - im Wahlkampf will er es predigen. Wie auch seine Lösungsvorschläge, zum Beispiel die Öffnung der Flächentarifverträge für betriebliche Beschäftigungsbündnisse. Und Kombi-Löhne, denn: "Wir müssen Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger wieder in Arbeit bringen. Wir müssen mehr Flexibilität und mehr Anreize schaffen. Nur so eröffnen wir neue Chancen und nur so lassen sich die Probleme am Arbeitsmarkt anpacken."

Das Stichwort Flexibilisierung führen seit längerem auch die Grünen im Mund. Aus der Fraktionsspitze der Grünen hieß es gestern zwar, es habe derzeit keine Gespräche über den Arbeitsmarkt mit dem Kanzler gegeben. Dennoch sind die Grundsätze grüner Reformen klar: 1. Das Beschäftigungsloch oberhalb der 630-Mark-Grenze soll durch Anhebung der Grenze verschwinden. 2. Fächendeckendes Einstiegsgeld, so dass ein Arbeitsloser befristet einen Zuverdienst behalten kann, ohne dass dies mit Transferleistungen verrechnet wird.

Der Experte rechnet anders

Bei der Anhebung der 630-Mark-Grenze auf 1200 bis 1700 Mark, die die Grünen befürworten, macht wiederum so mancher Experte nicht mehr mit. Der Sachverständige und Sozialexperte Bert Rürup argumentiert in einer Überschlagsrechnung, dass im Fall einer Anhebung der 630-Mark-Grenze mit Beitragsausfällen von rund 2,4 Milliarden Mark bei den Sozialversicherungen zu rechnen sei. Es gebe heute rund eine Million Beschäftigte, die zwischen 630 und 1200 Mark verdienen, argumentiert Rürup. Der weitaus größte Teil dieser Arbeitnehmer verdiene zwischen 900 und 1200 Mark. Würden diese Arbeitnehmer künftig nach den Grundsätzen des 630-Mark-Gesetzes behandelt, fehlen den Sozialkassen 1,4 Milliarden Mark. Weitaus kräftiger sind die Folgen für die Beschäftigten, die heute etwas mehr als 1200 Mark verdienen. Deren Verdienste würden unter die 1200-Mark-Grenze gedrückt, weil sich das für alle Beteiligten netto auszahle. Nur für die Sozialkassen nicht. Denen würden weitere 1,6 Milliarden Mark entgehen.

Rechnet man die rund 200 000 neuen Arbeitsverhältnisse dagegen, die eine solche Ausweitung nach Rürups Annahmen bringen würde, ergäben sich für die Sozialkassen neue Beitragseinnahmen von 600 Millionen Mark. Unter dem Strich bliebe ein Beitragsausfall von 2,4 Milliarden Mark für eine "nicht durchdachte Aktion", so Rürup.

Die Grünen aber sind unter Zugzwang. Dem kleinen Partner liegt viel daran, sich schon vor Beginn der Wahlkampfjahres auf dem Arbeitsmarktfeld zu profilieren. Deshalb sagen sie: Die Regierung dürfe sich nicht mit der "ruhigen Hand" zurücklehnen. Zum Missfallen des großen Partners vertrat Fraktionschef Schlauch ausgerechnet an prominenter Stelle, bei seinen Haushaltsreden im Budestag, die Forderung nach einer Flexibilisierung der Arbeitsmarktpolitik. Mit der Profilierung soll es auch weitergehen. Das weiß auch die SPD.

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