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Archäologie: Das gerettete Gold

Weltoffenes Reich vor 2000 Jahren: Afghanistans Schätze in der Bundeskunsthalle Bonn.

Schon die Entdeckung ist eine Sensation. Es ist November 1978, in Kabul treffen sich Archäologen und Historiker zu einer Tagung. Mit dabei: der Franzose Paul Bernard, der seit 1965 die alexandrinische Stadtgründung Ai Khanum im äußersten Norden Afghanistans ausgegraben hatte. Und der russische Archäologe Viktor Sarianidi, der in einer Papiertüte einen atemberaubenden Fund dabeihat, eine kleine, erlesene Goldapplikation für ein Gewand.

Es ist nur der erste Teil eines Schatzes, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Über 21 000 Stücke, zumeist aus Gold, kombiniert mit Türkis, Granat, und Lapislazuli. Feinste Goldplättchen in Blüten- oder Tränenform, die auf die Gewänder aufgenäht waren, Schnallen und Anhänger mit Tier- und Jagdszenen, Schmuckelemente in Form von Widderköpfen, hauchdünne Ohrgehänge, eine Krone in Form von sechs verzweigten Bäumen, ein Paar goldener Sohlen, die die Füße des Verstorbenen schmückten, eine wunderbar gearbeitete Goldschale, Münzen, Ringe, Amulette. Der Schatz von Tillya Tepe (Goldhügel), der als das „baktrische Gold“ berühmt wurde und aus sechs Gräbern stammt, ist einer der reichsten und kunstvollsten Schmuckensembles – und steht stilistisch zwischen Ost und West, zwischen Griechenland und Zentralasien. Wer vor drei Jahren in Berlin die große Skythen-Ausstellung gesehen hat, konnte vergleichbaren Gewandschmuck und Tierornamentik bewundern.

Viktor Sarianidi hatte nicht viel Zeit, seinen Fund zu erforschen. Ein grausamer Winter stand bevor, Rebellenüberfälle und die näherrückende russisch-afghanische Front zwangen ihn im Februar 1979 zur Flucht. In Papiertüten trug er die geborgenen Objekte aus den sechs Gräbern und lieferte sie im Nationalmuseum in Kabul ab. Hier geriet der Schatz, der durch eine prachtvolle Publikation in Leningrad gerade erst der Welt bekannt geworden war, schon wenige Jahre später wieder in Vergessenheit.

Nach leidvollen Erfahrungen mit Plünderungen und Partisanenkämpfen entschieden die Museumsleute, ihn 1988 heimlich in Sicherheit zu bringen, in die Tresore der Bank von Afghanistan, die sich im Präsidentenpalast befindet. Nur wenige Beteiligte wissen von der Aktion und dem Aufbewahrungsort. Seitdem ist das Gold von Baktrien eine Legende – Gerüchte, der Schatz sei eingeschmolzen, zerstört oder auf dem Schwarzmarkt ins Ausland verkauft worden, machen die Runde. Spätestens als 1993 das Nationalmuseum von Kabul geplündert, von Bomben getroffen und in Brand gesteckt wird, ist von der reichen afghanischen Kultur nicht mehr viel zu sehen im eigenen Land. Eine Großaktion der Taliban, die nicht nur die berühmten Buddhas von Bamiyan, sondern auch 2500 Skulpturen aus dem Nationalmuseum zerstören und zerschlagen, tut ihr Übriges.

Und so kommt es zu einer zweiten Sensation. Im April 2004 trifft sich eine Gruppe grauhaariger Herren im Präsidentenpalast von Kabul. Mitarbeiter des Nationalmuseums sind dabei, ein Vertreter der American National Geografic Society, die sich an der Erstellung eines Gesamtkatalogs beteiligt – und Victor Sarianidi, der Entdecker von Tillya Tepe. Die Szene ist ein echter Krimi: Aus den geheimen Kellern des Palasts werden verstaubte Tresore herausgefahren, es fehlt allerdings der Schlüssel. Ein Schlosser wird gerufen, um den Safe zu knacken, eine Plastiktüte kommt zum Vorschein, darin ein feiner, goldener Anhänger aus Blütenblättern. Viktor Sarianidi bestätigt: Es ist der Schatz, den er 1978 in Tillya Tepe ausgegraben hat. Ein gerührter Museumsangestellter sagt: „Afghanistan hat sein Gedächtnis zurückbekommen.“

In Bonn nun ist der Schatz von Tillya Tepe, der auf das erste Jahrhundert nach Christus datiert wird, der Höhepunkt einer Präsentation, die die Sammlung des Nationalmuseums von Kabul vorstellt – jenseits der aktuellen Diskussionen um den Krieg in Afghanistan. Die Ausstellung „Gerettete Schätze“, die sich auf die Vorgängerausstellung „Afghanistan – une histoire millenaire“ bezieht, die 2001 in Barcelona und 2002 in Paris zu sehen war, tourt seit 2006, über Paris, Turin, Amsterdam, Washington und Kanada. Nun ist sie bis Oktober in Bonn zu sehen.

Weltschätze, die man verloren glaubte, von einer Kulturnation, die über den Schreckensnachrichten der letzten 30 Jahre in Vergessenheit geraten ist: Man begreift einmal mehr, wie gefährdet Kultur in kriegerischen Zeiten ist. Paul Bernard, der Ausgräber von Ai Khanum, stand 25 Jahre später konsterniert an der Stätte seines einstigen Wirkens: Raubgräber, Kriegshandlungen und Bombardements haben die alexandrinische Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Keine Chance mehr, etwas über den Zusammenhang und das Umfeld der Funde von damals zu erfahren. Die nun in Bonn gezeigten Objekte, griechische Skulpturen und korinthische Kapitelle, Bronzeobjekte, kunstvolle Steingefäße aus lokalem Schiefer und antike Sonnenuhren, sind die letzten Zeugen einer mutwillig zerstörten Kultur.

Vier Grabungsorte werden vorgestellt, im Norden Afghanistans, im einstigen Baktrien rund um die ehemalige Hauptstadt Baktra – die Zeitspanne erstreckt sich über 4000 Jahre, die Fundorte wechseln von Wüsten über Bergkulissen bis zu fruchtbaren Tälern. Was die Funde durch alle Zeiten hindurch verbindet, ist die Offenheit gegenüber fremden Kulturen.

Schon die zeitlich späteren, aber geografisch verwandten Schätze der GhandaraZeit, wie sie 2008 zunächst in Bonn und 2009 im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt wurden, hatten die Mischkultur dieses einst für alle Einflüssen offenen Landes spürbar werden lassen. Auch Baktrien, an der Seidenstraße gelegen, wichtiger Verkehrs- und Wirtschaftsknotenpunkt am Hindukusch, bezog seine Anregungen aus Griechenland und Indien, aus Rom und China – selbst koreanische Einflüsse wollen die Kuratoren in der fragil-vegetabilen Krone der Prinzessin von Tillya Tepe ausgemacht haben. Nicht nur, dass all diese Kulturen in den Schätzen von Tepe Fullol und Begram, von Tillya Tepe und Ai Khatum eine hinreißende Melange eingehen – zum Teil sind es auch Funde, wie sie sonst nicht überliefert sind.

Das gilt zum Beispiel für die bemalten Glasvasen, die seit den dreißiger Jahren in Begram, unweit von Kabul, gefunden wurden. Begram ist der späteste Fundort, der Schatz stammt aus dem 1. und Beginn des 2. Jahrhunderts nach Christus, als sich der Fokus unter der Kushana-Herrschaft nach Süden verlagerte. Auf den Glasvasen sind Jagd- und Fischszenen von fast comicartiger Lebendigkeit zu sehen, ganz der römischen Dekorationskunst entsprungen. Und im gleichen Fund gibt es Elfenbeinschnitzereien von überquellendem Dekor, üppige Szenen von Fruchtbarkeit und Liebe, die eindeutig aus Indien stammen, auch wenn über ihre Datierung noch gestritten wird.

In Ai Khanum, wo Alexander auf seinem Welteroberungszug eine prachtvolle Stadt mit Akropolis, Palast und Theater erbaute, wurde eine Kybele-Scheibe gefunden, die die griechische Göttin der wilden Natur mit orientalischen Priestern kombiniert. Die frühesten, bronzezeitlichen Funde aus Tepe Fullol bestehen aus drei fein getriebenen Goldgefäßen, die mesopotamische geometrische Formen mit einheimischen Tierdarstellungen mischen. Doch das schönste Beispiel stammt erneut aus Tillya Tepe: Es ist die nur fünf Zentimeter hohe, entzückende „Aphrodite von Baktrien“, die griechische Göttin der Liebe, die mit einem indischen Schönheitsfleck und mit Flügeln versehen wurde, die aus der lokalen Bildtradition stammen.

„Eine Nation bleibt lebendig, wenn ihre Kultur und Geschichte lebendig bleibt“, ist auf einem Foto von 2002 über dem Eingang des Nationalmuseums von Kabul zu lesen. Damals war das Museum eine Ruine, die meisten Schätze geplündert, was übrig geblieben war in Millionen Stücke zerbrochen. Seitdem bemühen sich Wissenschaftler aus Afghanistan und aus Frankreich um Rettung. Das Nationalmuseum ist inzwischen wieder geöffnet. Und die Hoffnung ist groß, dass auch das „baktrische Gold“ irgendwann dort wieder seinen Platz finden wird.

Afghanistan. Gerettete Schätze. Bundeskunsthalle Bonn, bis 3. Oktober 2010. Katalog 32 Euro.

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