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Himmelwärts. Die Gustav-Adolf-Kirche im Jahr 1934.

© Otto-Bartning-Archiv TU Darmstadt

Architektur-Ausstellung: Die Akademie der Künste würdigt Otto Bartning

Moralist des Bauens: Für seine Kirchen war Otto Bartning berühmt. Nun zeigt sich, welchen Anteil der große Architekt auch am Hansaviertel hatte.

Die Magistrale des Hansaviertels, die Bartningallee, ist benannt nach dem Architekten Otto Bartning (1883–1959). Dem Namen nach ist er geläufig, aber mit seinen Bauten kaum mehr bekannt. Dabei war er maßgeblich an der städtebaulichen Planung des Hansaviertels beteiligt, des Modellvorhabens „Interbau 1957“. Durch einen während der Vorbereitung der Retrospektive zum Gesamtwerk Bartnings entdeckten, von ihm unterzeichneten Plan ist nachgewiesen, dass er die entscheidende Änderung der ursprünglichen Planung vornahm und dem weiteren Geschehen die Richtung wies.

Otto Bartning, hoch renommiert, wurde vom West-Berliner Senat zur Planung des Hansaviertels hinzugezogen und entwarf anstelle der noch 1953 vorgesehenen, zueinander schräg gestellten Wohnscheiben eine streng rechtwinklige Ordnung, in die die späteren teils auch turmhohen Bauten bei all ihrer Individualität Platz finden konnten. Nunmehr, ab 1954, Leiter der „Interbau“, verzichtete Bartning darauf, selbst ein Gebäude beizusteuern; nicht allein aus Gründen der Arbeitsbelastung, sondern auch aus Noblesse gegenüber den Kollegen.

Die Akademie annonciert Bartning als als „Architekt einer sozialen Moderne“

Der Plan ist jetzt in der großen Halle der Akademie der Künste am Hanseatenweg zu sehen, diesem Meisterwerk, das selbst ein Nachzügler der „Interbau“ ist. Erstaunlicherweise ist es die allererste Gesamtausstellung, die Bartning gewidmet ist, maßgeblich erarbeitet von Sandra Wagner-Conzelmann.

Das hat Gründe. Otto Bartning wird von der Akademie als „Architekt einer sozialen Moderne“ annonciert, um diese Seite des Schaffens hervorzuheben und wohl auch, um ihn für heutige Besucher interessant zu machen – denn den Kern von Bartnings Œuvre machen viel eher die Kirchenbauten aus, die ihn ein Leben lang beschäftigten, von den erstaunlichen 14 Kirchen, die er als junger Mann bereits vor dem Ersten Weltkrieg entwerfen durfte, bis zu den „Notkirchen“ der zweiten Nachkriegszeit und dem Wiederaufbau seines eigenen Meisterwerks, der kriegsbeschädigten Gustav-Adolf-Kirche von 1934 im nördlichen Charlottenburg. Bartning leitete bis zuletzt in Darmstadt, wohin er seit der Organisation des „Darmstädter Gesprächs“ von 1951 unter dem Titel „Mensch und Raum“ umgezogen war, ein Institut für Kirchenbau.

Doppeltürmige Stahlkirche auf der Ausstellung Pressa, Köln, 1928. Dem Architekten Otto Bartning (1883-1959) widmet die Akademie der Kuenste in Berlin erstmals eine Retrospektive.
Doppeltürmige Stahlkirche auf der Ausstellung Pressa, Köln, 1928. Dem Architekten Otto Bartning (1883-1959) widmet die Akademie der Kuenste in Berlin erstmals eine Retrospektive.

© Hugo Schmölz Otto-Bartning-Archiv TU Darmstadt

Unter den Architekten, die nach den Verheerungen des Ersten Weltkriegs eine radikal neue Kultur aufrichten wollten, galt Bartning als „Philosoph“; so hat ihn der wesensverwandte Hans Poelzig bezeichnet. An vielen Initiativen nahm Bartning teil, war Mitglied im „Arbeitsrat für Kunst“, später Mitbegründer der progressiven Vereinigung „Der Ring“. Zudem übernahm er nach dem Umzug des Bauhauses nach Dessau dessen Weimarer Gebäude und richtete die „Staatliche Bauhochschule“ ein, die zu Unrecht gegenüber dem Bauhaus vergessen wird. Früher als das Bauhaus richtete Bartning dort eine integrative Ausbildung ein, bei der die Studenten – die parallel ein Handwerk zu erlernen hatten – in einem „Aktiven Bauatelier“ an Planung und Ausführung von Projekten teilnahmen. 1930 entließen ihn die Nazis, die in Thüringen erstmals eine Landesregierung stellten. In den Jahren zuvor – den wenigen „guten“ der Weimarer Republik – war Bartning tatsächlich der „Architekt einer sozialen Moderne“; nicht der einzige, aber in Berlin in Zusammenarbeit mit Stadtbaurat Martin Wagner (SPD) wohl der entschiedenste Vertreter einer rationalen, ökonomischen Bauweise im Dienst der Menschen, die anstelle der Mietskasernen endlich Wohnung in Licht, Luft und Sonne finden sollten.

In Siemensstadt, wo auch Walter Gropius und Hugo Häring entwarfen, baute er den langen, geschwungenen Wohnriegel, der der Siedlung ihr Gepräge gibt. Dann wurde er in die „Reichsforschungsanstalt für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen“ berufen, die neben Vorhaben in Dessau durch Walter Gropius und in Frankfurt am Main durch Ernst May die Siedlung Haselhorst mit neuen, kostengünstigen Techniken realisierte. Die noch wesentlich größere Siedlung Schöneberg-Süd, die Martin Wagner mit amerikanischem Kapital zu finanzieren hoffte, kam wegen der Weltwirtschaftskrise nicht mehr zustande.

Berühmt und bewundert wurde Bartning mehr jedoch für seine Kirchenbauten. Sie stehen mit Modellen, Zeichnungen und zeitgenössischen Fotografien im Mittelpunkt der Berliner Ausstellung, vor allem den durch suggestive Fotografien weithin publizierten Entwurf einer „Sternkirche“ von 1922. Ihren Namen verdankt sie dem siebeneckigen Grundriss. Die Nähe zum Expressionismus insbesondere Poelzigs ist frappierend – mit dem großen Unterschied jedoch, dass Bartning schon damals auf seriell gefertigte, montierbare Bauteile setzte.

Gemeinschaft – das ist ein Schlüsselbegriff zum Verständnis des Architekten

Der Vision gebliebenen „Sternkirche“ schlossen sich eigenwillige Entwürfe wie die temporäre Kölner „Stahlkirche“ von 1928 an oder eben die Charlottenburger Gustav-Adolf-Kirche, die nach zehnjähriger Planungs- und Bauzeit erst 1934 fertiggestellt werden konnte. Die beiden Kirchen waren reich mit Glasfenstern ausgestattet, deren Leuchten Bartnings Vorstellung von Sakralität auch im protestantischen Kirchenbau erfüllten. Es käme ihm „wie die Erfüllung unserer Sehnsucht von 1919 vor“, erklärte Bartning damals im Rundfunk, „wenn gerade hier in Berlin eine Kirche entsteht, in der diese geistige Verbundenheit der Gemeinschaft zum stärksten Ausdruck kommen soll.“ Gemeinschaft – das ist ein Schlüsselbegriff zum Verständnis des Architekten.

Kirchen waren für ihn, den Moralisten des Bauens, der ideale Raum von Gemeinschaft. Die Nazi-Zeit verbrachte er als Architekt des Evangelischen Hilfswerks. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwarf er ab 1946 „Notkirchen“ aus vorgefertigten Teilen; rund 40 wurden in den Westzonen Deutschlands errichtet. „In christlicher Solidargemeinschaft“ – so Werner Durth, der in Darmstadt lehrt und maßgeblich zur Ausstellung beigetragen hat – „sollte ein innerer Wandel stattfinden (...) Als Orte der Identifikation, Integration und des gemeinsamen Neubeginns sollten die Notkirchen dienen.“

Bartning forderte einen radikalen Neubeginn, ein Sich-ehrlich-Machen angesichts der vollständigen Zerstörung. „Wiederaufbau?“ – mit diesem Fragezeichen beginnt die berühmte Passage aus einem Text, den er 1946 in den „Frankfurter Heften“ veröffentlichte, einer der meinungsbildenden Zeitschriften der frühen Bundesrepublik. „Wiederaufbau? Technisch, geldlich nicht möglich, sage ich Ihnen; was sage ich? – seelisch unmöglich!“ Der bloße Wiederaufbau alter Substanz sei „Kulisse und Lüge“, „museale Lüge“.

Otto Bartning
Otto Bartning

© Otto-Bartning-Archiv

Bartning wurde in Ehrenämtern beim Bund Deutscher Architekten und dem Deutschen Werkbund einer der einflussreichsten Vertreter seines Berufsstandes. Die Ausstellung der Akademie kann hier, um nicht in lauter Papier zu ersticken, wenig Greifbares zeigen und wendet sich gewissermaßen erleichtert dem bildkräftigen Hansaviertel zu. Tatsächlich hat Bartning nach dem Zweiten Weltkrieg wenig gebaut; er war stattdessen als Preisrichter in zahllose Wiederaufbauvorhaben involviert. Seine eigene Charlottenburger Kirche hat er vereinfacht und mit reduziertem Fensteranteil wiederhergestellt; sie wurde später, gegen seinen Willen, erneut und näher am Original restauriert.

Wie sich Bartning den allein möglichen, moralisch zulässigen Wiederaufbau dachte, hat er mit der Rekonstruktion von Schinkels bis auf die Außenmauern zerstörter Johanniskirche in Berlin-Moabit gezeigt: Es entstand ein karger, undekorierter, „protestantischer“ Innenraum, ein Raum der Stille und Besinnung, an der Bartning in seinen späten Jahren so sehr lag. Kein Zweifel, dass er unter der Hektik und Selbstzufriedenheit der Wirtschaftswunderjahre litt. Die von ihm geleitete „Interbau 1957“ freilich sahen den Sommer über fast anderthalb Millionen Besucher, die nichts sehnlicher wünschten als ein neues Leben in neuen Bauten, befreit von der Last der Vergangenheit.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 18. Juni. Katalog 128 S., 280 Abb., 19,90 €. Mehr unter www.adk.de/bartning

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