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Der chinesische Pavillon steht unter dem Motto „Berge jenseits der Berge“.

© picture alliance / dpa

Architektur-Biennale in Venedig: Qualitäts-Check für die Moderne

Die 14. Architektur-Biennale in Venedig ist so klug und sinnlich wie noch keine dieser Großausstellungen zuvor. Dafür hat der Stararchitekt Rem Koolhaas gesorgt, der mit seinem Konzept die Moderne auf den Prüfstand stellt.

Als Marcel Duchamp 1917 in ein Sanitärfachgeschäft ging, ein Urinoir kaufte und es in eine New Yorker Kunstausstellung legte, gab es eine riesigen Kunst-Skandal. Wenn Rem Koolhaas ein solches Urinoir in den von ihm gestalteten Hauptpavillon der diesjährigen Architekturbiennale von Venedig legt, dann nicht als Kunstwerk, sondern als Belegstück aus der Entwicklungsgeschichte der Latrine, die der mittlerweile 69-jährige Unruhestifter der zeitgenössischen Architektur anhand von Beispielen aus der Römerzeit bis zum vollelektrischen Luxussitz japanischer Bauart zu den „Fundamentals“ der Architektur zählt. Da ist man doch verblüfft, hatte man Wand und Fenster, Tür und Dach als derartige „Grundelemente“ erwartet und nicht ausgerechnet Toiletten. Meisterdenker Koolhaas hat seinen eigenen Blick, und gerade das macht das von ihm in vierjähriger Arbeit realisierte Konzept dieser 14. Ausgabe der Weltausstellung der Baukunst so faszinierend.

Natürlich finden sich Wand, Fenster, Tür und Dach und noch einige andere Elemente mehr in der Ausstellung. Koolhaas ist nicht an Architektennamen interessiert und nicht an neuesten Bauten, wie das bei vorangegangenen Biennalen bisweilen allzu ostentativ der Fall war. Jedem Grundelement ist ein eigener Raum gewidmet, am spektakulärsten dem Element „Dach/Decke“. Der 1909 herrlich ausgemalten Kuppel des Eingangs-Oktogons, unlängst restauriert, ist teilweise eine aufgeschnittene Decke von heute untergeschoben, die das Gewirr von Lüftungsschächten und Elektroleitungen zeigt, ohne die heute kein Gebäude, schon gar kein Bürohaus mehr funktioniert. Das ist eindrucksvoll, weil es den Verlust baukünstlerischer Möglichkeiten demonstriert. Manche Räume sind mit derart skurrilen Beispielen ausgefüllt, dass sie wie die Widerlegung der Behauptung wirken, Architektur sei weniger ein „kreativer Prozess“, bestehend aus „endloser Forschung und Berechnung“. Dabei ist Koolhaas doch ein Meister beider Disziplinen, der seit vielen Jahren die Studenten an seinem Lehrstuhl in Harvard nach allem Möglichen forschen lässt, selbst aber die tollsten Ideen in gebaute Architektur zu übersetzen weiß.

Forschung und Schöpfung fließen im Hauptpavillon zusammen. Da gibt es Sammlungen von Treppenmodellen, Nachbauten von Türen aus aller Welt, Fenster in allen Materialien bis hin zur Auflösung des Fensters in der Vorhangfassade, die die Moderne zu einem ihrer Markenzeichen gemacht hat. Damit ist das zweite Hauptthema angeschlagen, das Koolhaas die „Absorption der Moderne 1914–2014“ nennt und den 65 nationalen Teilnehmern als Leitlinie vorgegeben hat. Denn die Biennale ist immer noch eine, gern als anachronistisch abgetane Selbstdarstellung von Staaten, so attraktiv, dass diesmal zehn weitere Länder um Beteiligung nachgesucht hatten. Zu den happy few derer, die über einen eigenen Pavillon in den Giardini verfügen, kommt aber aus Platzmangel kein Neuling mehr hinzu.

Letzter Zugang war Korea, gedacht als Gemeinschaftspavillon beider Halb-Staaten. Diesmal entspricht die Präsentation diesem Ursprungsgedanken und zeigt die – erwartbaren – Neubauten im Süden der Halbinsel, in einem Extraraum aber die Utopien des Nordens. Nordkorea, seit einem halben Jahrhundert von der Welt isoliert, hat das utopische Moment der Moderne auf anrührend verrückte Weise aufgegriffen. Natürlich hatten disneyhafte Pläne für ein Ferienparadies nie Aussicht auf Verwirklichung. Aber sie zeigen, dass die Moderne das Potenzial hatte, Grenzen weniger zu überwinden als einfach zu überspringen. Je weniger Realisierung möglich ist, desto mehr Vision: Wenn das die Botschaft dieser Biennale sein sollte, wäre es nicht die schlechteste. So dachte wohl auch die Jury und verlieh Korea den „Goldenen Löwen“ für den besten Nationalbeitrag.

Der deutsche Pavillon wird diesmal betreut vom Duo Savvas Ciriacidis und Axel Lehnerer und hebt sich wohltuend von der wohlfeilen Bekämpfung des NS-Ungeistes vergangener Biennalen ab. Schließlich wurde 1938 aus dem verspielten „Bayerischen“ (!) Pavillon der großdeutsche Schauraum mit dem eingemeißelten Namen „Germania“. Den damaligen Architekten Ernst Haiger kennt niemand mehr. Hingegen ist Sep Ruf ein bedeutender Vertreter der bundesdeutschen Nachkriegsarchitektur. Er hat 1964 für Ludwig Erhard den Bonner „Kanzlerbungalow“ entworfen, und den haben die beiden in der Schweiz lehrenden Architekten als Teilnachbau im Originalmaßstab in die drei Räume des Pavillons hineinkomponiert. „Auf diese Weise wollen wir das eine Gebäude durch das andere ,lesen’“, so die Erläuterung zum Beitrag „Bungalow Germania“.

Zwei Länderpavillons haben eine lobende Erwähnung erhalten: Frankreich und Russland. Frankreich hat sich Jacques Tatis Komödie „Mon Oncle“ zum Hauptgegenstand gemacht, weil dort die Moderne in Gestalt einer vollautomatisierten und slapstickhaft widerspenstigen Villa durch den Kakao gezogen wird. Aber genau das war doch der Traum der fünfziger Jahre: alles in Leichtbau und motorisiert. Im hinteren Raum darf der Doyen der Metallbauweise, Jean Prouvé seine Vision einer neuartigen, allem Steinernen entsagenden Bauweise vorführen. Sie wirkt wie aus einer versunkenen Epoche. Dass in einem weiteren Seitenraum die um 1930 als zukunftsträchtig gepriesene Wohnsiedlung in Drancy bei Paris vorgestellt wird, die im Zweiten Weltkrieg zum Sammellager für die Deportationen der französischen Juden umfunktioniert wurde, gibt Tatis Verulkung ein tragisches Gegengewicht.

Russland präsentiert seinen Ideenreichtum zur Moderne, von El Lissitzky bis zur Moskauer Metro, in kleinen Kojen wie auf einer Industriemesse. Das hat Witz, weil es die aufs Verehrungspodest gehobene Moderne auf den Boden der Nützlichkeitserwägung zurückholt. Hier sind die Ideen, scheint der Pavillon zu sagen, bedient euch. Man wünschte sich, die in Venedig vorgezeigten Forschungsergebnisse zur Geschichte der Moderne nicht nur in Form des Koolhaas-typisch gewichtigen, 574 Seiten dicken Katalogs, sondern in einer konzentrierten Wanderausstellung bewahrt zu sehen.

Bleibt noch die 300 Meter lange Seilerei des Arsenale, in früheren Jahren meist Schauplatz ambitioniertester Projekte. Koolhaas hat sie ganz dem Gastgeberland Italien überlassen. Unter dem Titel „Monditalia“ ist eine Art Standfilm zur großen Epoche italienischer Architektur zu sehen, von Mussolini-Moderne bis Nachkriegs-Mailand. Filmausschnitte verlebendigen 41 „Fallstudien“ zu den Leistungen, Sünden und dem Versagen der italienischen Moderne. So zeigt die Studie „Die Überbleibsel eines Wunders“ den Verfall der großartigen Beton-Schöpfungen der Nachkriegszeit, der weit gespannten Markthallen und rasant komponierten Fabrikensembles. Sieht so das Ende der Moderne aus? Und doch ist „Monditalia“ eine Verbeugung vor dem Land, das Koolhaas und sein Kurator Ippolito Pestallini Caparelli ein „fundamentales Land“ nennen, das immer schon Kulturgeschichte geschrieben hat. So anregend, so klug und zugleich sinnlich wie diese war wohl noch keine Architektur-Biennale zuvor.

Venedig, Giardini, Arsenale und zahlreiche Orte in der Stadt, bis 23. November. www.labiennale.org

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