zum Hauptinhalt
Von 1924 bis 1932 wurde in Etappen die Hermann-Beims-Siedlung in Magdeburg erbaut. Sie umfasst insgesamt 2000 Wohnungen.

© HBA / Katalog

Architektur der Weimarer Republik: Licht und Luft für alle

Zwei Architektur-Ausstellungen in Magdeburg und Frankfurt am Main zeigen, was die Weimarer Republik bewirkte und hervorbrachte.

Das Jubiläumsjahr des Bauhauses überdeckt, dass die Weimarer Republik eine Fülle von „Neuem“ sah, insbesondere das „neue bauen“ – eine neue Architektur und weit mehr noch eine neue soziale Verantwortlichkeit des Bauens. Siedlungen entstanden in vielen Städten, um die Wohnungsnot und das Elend der Mietskasernen zu lindern. Die „Wohnung für das Existenzminimum“, die sich der Architektenkongress CIAM bereits bei seiner zweiten Zusammenkunft im Jahr 1929 als Thema gegeben hatte, war die zentrale Aufgabe dieser Zeit.

Dieser zweite CIAM-Kongress fand in Frankfurt am Main statt, unter Vorsitz des dortigen Stadtbaurats Ernst May. Frankfurt war ein Hauptort des Siedlungsbaus, mehr noch als Berlin. Eine dritte Stadt muss genannt werden, deren Großsiedlungen vergleichsweise wenig bekannt sind: Magdeburg.

Beide Städte, Frankfurt wie Magdeburg, warten derzeit mit Ausstellungen auf, die an die kommunalpolitisch so glorreiche Zeit erinnern. Im Frankfurter Museum Angewandte Kunst heißt die Übersicht „Moderne am Main 1919–1933“, im Kulturhistorischen Museum der Elbestadt „Reformstadt der Moderne. Magdeburg in den Zwanzigern“. Beide Ausstellungen versuchen das kulturelle, aber auch das gesellschaftliche und politische Klima der Zeit einzufangen und in diesem Kontext das bahnbrechend Neue sichtbar zu machen, das insbesondere im Bau und der Gestaltung von kommunalen Großsiedlungen an der Peripherie der übervölkerten Innenstädte seinen Ausdruck fand.

Die sozialpolitischen Leistungen konkretisierten sich im Siedlungsbau

Magdeburg stand in der Weimarer Republik weit stärker im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit als heute. Hier war 1918 gleich nach dem (Ersten) Weltkrieg der „Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten“ als Sammelbecken derjenigen gegründet worden, die sich weder mit der Niederlage im Krieg noch mit der Republik abfinden mochten. Darauf antwortete 1924 ebenfalls in Magdeburg die Gründung des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ als Schutzverband der Republik mit alsbald Hunderttausenden Mitgliedern.

Die sozialpolitischen Leistungen konkretisierten sich auf kommunaler Ebene im Siedlungsbau. Diejenigen Frankfurts sind legendär; sie sollen übrigens bis 2025 zur Hundertjahrfeier der Berufung Ernst Mays so weit als möglich in ihren Ursprungszustand zurückversetzt werden. Die Siedlungen in Magdeburg verdanken sich ähnlich vorausschauenden Politikern und Architekten, an erster Stelle dem von 1919 bis 1931 amtierenden Oberbürgermeister Herrmann Beims, Tischler von Beruf und wie Reichspräsident Friedrich Ebert ein typischer Vertreter der geerdeten sozialdemokratischen Funktionärsschicht aus dem Kaiserreich, die nach dem Krieg ein neues Deutschland gestalteten. Unter Beims’ Leitung war zunächst Bruno Taut Stadtbaurat, ehe dieser nach Berlin übersiedelte, später der Architekt Johannes Göderitz, der mit dem Kollegen Carl Krayl die Mehrzahl der Großsiedlungen plante und tatsächlich realisieren konnte.

Magdeburg sollte spätestens nach dieser so dichten Ausstellung im Kunsthistorischen Museum wieder als eine der kulturell herausragenden Städte der Weimarer Republik ins Bewusstsein treten. Die Siedlungen sind nach Sanierungen in den vergangenen Jahren in durchweg hervorragendem Zustand. Was in der Beims- Siedlung, der Curie-Siedlung oder in Cracau an der Alten Elbe erbaut wurde, ist bei aller – der wirtschaftlichen Not geschuldeten – Einfachheit der Formgebung von großer Geste. Diese Bauten künden von dem Willen, Licht, Luft und Hygiene gerade auch für die Schwächsten der Gesellschaft bereitzustellen.

Durchdachte Arbeitsküche auf nur sechseinhalb Quadratmetern

Breite Grünstreifen trennen die Geschosswohnungsbauten, Gemeinschaftseinrichtungen, vor allem Schulen, gehören unabdingbar dazu. Die Wohnungsgrößen mussten immer weiter verkleinert werden, bis hinunter auf 45 Quadratmeter in den zuletzt, Anfang der dreißiger Jahre ausgeführten Bauten. Interessanterweise sind es Frankfurter Siedlungen wie Praunheim oder die Römerstadt, die mit ihren Mietergärten hinterm Reihenhaus viel stärker den lebensreformerischen Impuls aufnehmen als die großstädtischen Ensembles von Magdeburg.

Auch Frankfurt gedieh unter einem Oberbürgermeister, hier von den Liberalen nominiert, Ludwig Landmann, der 1924 ins höchste Amt gewählte wurde. Die Nazis verjagten ihn 1933; er starb 1945 mittellos im Amsterdamer Exil. Und es entstand am Main die legendäre „Frankfurter Küche“, die die gebürtige Wienerin Margarete Lihotzky – später Schütte-Lihotzky – als bis ins Detail durchdachte Arbeitsküche auf nur sechseinhalb Quadratmetern Grundfläche zauberte. In jeweils leicht abgewandelten Typen wurde sie serienmäßig in die Siedlungswohnungen eingebaut, nicht zum Kauf bestimmt, sondern mit der Wohnung zu mieten.

Mutig. Kopfbau der Siedlung Römerstadt in Frankfurt/Main.
Mutig. Kopfbau der Siedlung Römerstadt in Frankfurt/Main.

© akg-images / Stefan Diller

Was Magdeburg fehlte, war ein so geniales PR-Instrument wie die von Ernst May begründete Zeitschrift „Das neue Frankfurt“, die unter anderem von Willi Baumeister gestaltet wurde und von Fachleuten wie dem für örtliche Schriftgießereien tätigen, genialen Schriftgestalter der „Futura“, Paul Renner, Anregungen bezog. Nahezu quadratisch im Format und auf dem Umschlag mit jeweils einer Signalfarbe versehen, sind die Hefte der Zeitschrift heute Inkunabeln ihrer Zeit.

Frankfurt, das sei zugestanden, hatte das reichere kulturelle Leben; als Bürgerstadt gehörten Musik und Theater unabdingbar dazu. Vor allem aber die von Fritz Wichert geleitete „Kunstschule für freie und angewandte Kunst“, unter anderem aus der Städel-Museumsschule hervorgegangen, vermochte Lehrkräfte von Rang zu gewinnen, wie den bedeutendsten deutschen Künstler der ersten Jahrhunderthälfte, Max Beckmann.

Die Schau in Magdeburg lässt die politischen Konflikte plastisch werden

Beide Städte suchten sich – wie andere deutsche Großstädte auch – als Messestandorte zu etablieren. In Magdeburg konnte Bruno Taut bereits 1922 die weitgespannte Halle „Land und Stadt“ fertigstellen. Für die „Deutsche Theater-Ausstellung“ 1927 – die ein enormer Publikumserfolg wurde – hat Johannes Göderitz in sagenhaften vier Monaten die Stadthalle auf der Elbe-Insel errichtet, die nach langer Vernachlässigung bis 2000 generalsaniert und seinerzeit mit einer ganz ähnlichen Ausstellung wie der jetzigen des Kulturhistorischen Museums gefeiert wurde. In beiden Städten überstanden die Messen die Weltwirtschaftskrise nicht, die Frankfurter Messegesellschaft ging sogar regelrecht pleite.

Die Ausstellung in Frankfurt glänzt mit zahlreichen Originalobjekten, die das Museum gesammelt hat, bis hin zu einem Exemplar der berühmten Küche. Diejenige in Magdeburg ist weiter gespannt und lässt die politischen Konflikte der Zeit plastisch werden, beispielsweise anhand von Uniformen der beiden konkurrierenden Wehrverbände.

Beide lohnen unbedingt die Besichtigung. Denn nur auf der Ebene des kommunalen Alltags wird deutlich, wie großartig, wie im besten Sinne heroisch das soziale und kulturelle Engagement der Weimarer Republik war. Nicht das Bauhaus sollte in diesem Jahr 2019 im Mittelpunkt stehen, sondern die erste deutsche Republik, die so viel mehr geleistet hat, als ihre Verächter ihr bis heute nur zugestehen.

Magdeburg, Kulturhistorisches Museum, bis 16. Juni. Katalog 22 €. Umfangreiches Veranstaltungs- und Tourenprogramm, www.visitmagdeburg.de – Frankfurt am Main, Museum Angewandte Kunst, bis 14. April. Katalog 29 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false