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Auf dünnen Beinen. Peter Zumthor wurde mit seiner Gedenkstätte für den Bergbau in Allamannajuvet zum Vorbild für die junge norwegische Architektur.

©  Bernhard Schulz

Architektur in Norwegen: Tanz auf dem Wasserfall

In Norwegen entstehen bemerkenswerte Gebäude mitten in der Landschaft. Sie demonstrieren Respekt vor der Natur.

Spätestens seit der vor zehn Jahren eröffneten Oper von Oslo mit ihrem schrägen, begehbaren Dach zählt das Architekturbüro Snøhetta zu den Großen der Architekturszene. In Berlin steht ein Frühwerk dieses internationalen, heute allein in Oslo 160 Mitarbeiter starken Teams: die Norwegische Botschaft am Tiergarten.

Es versteht sich also beinahe von selbst, dass Snøhetta an dem ambitionierten Vorhaben der Nationalen Straßenbehörde beteiligt ist, die insgesamt 18 ausgewiesenen Landschaftsrouten entlang der Naturschönheiten des Landes durch architektonische und gestalterische Maßnahmen aufzuwerten. Ausschließlich norwegische Architekten waren aufgerufen, sich an den entsprechenden Wettbewerben zu beteiligen, um auch jungen, unbekannten Büros eine Chance zu geben. Wie einst Snøhetta, die ihren Durchbruch als Drei-Mann-Team mit dem Wettbewerbssieg für die weltbedeutende Bibliothek in Alexandria erzielten.

Wie in einem Lehrbuch lässt sich in Norwegen beobachten, wie sehr wohlbedachte Eingriffe zu einem reicheren Erleben der Natur führen, die zugleich besser vor den Kehrseiten auch des gut gemeinten Tourismus, dem unkontrollierten Parken und Picknicken, geschützt wird. Und Tourismus wird für Norwegen, da der Ölreichtum abklingt, als Wirtschaftszweig immer bedeutender. Norwegen hat darüber hinaus erkannt, dass Architektur ein wirksames Mittel ist im Ringen um internationale „Sichtbarkeit“ – die Niederlande und die Schweiz machen das seit Jahrzehnten vor. Und in Norwegen gibt es tatsächlich nicht nur Snøhetta.

Nur wenige Wochen pro Jahr kann gebaut werden

Von den 18 Nationalen Touristenrouten befindet sich die Mehrzahl im Südwesten des Landes mit seinen tief ins Landesinnere reichenden Fjorden, seinen zahlreichen Seen, Gletschern und Wasserfällen. 1994 wurde das Programm vom norwegischen Parlament angestoßen, kam allmählich in Fahrt und ist mit der durchgehenden Beschilderung von knapp 2000 Straßenkilometern im Jahre 2012 für jedermann sichtbar geworden.

Höhepunkte der Routen sind die Einzelbauten, die zum größten Teil erst ab 2016 fertiggestellt wurden; einige Vorhaben stehen noch aus. Aufgrund des Klimas aus langen Wintern und kurzen Sommern stehen nur wenige Wochen pro Jahr als effektive Bauzeit zur Verfügung.

So ist das Vorhaben am Wasserfall Vøringsfossen im Gebiet des Hardangervida etappenweise im Bau. Der über 150 Meter lange Wasserfall unterhalb des bereits Ende des 19. Jahrhunderts, zu Beginn des damals von reiselustigen Briten angestoßenen Tourismus, erstmals errichteten Hotels Fossli ist schwer zugänglich. Architekt Carl-Viggo Hølmebakk hat eine Abfolge von Stegen und Plattformen entlang der Oberkante des Bergmassivs ersonnen, von denen aus Blicke auf die stürzenden Wassermassen möglich sind. In bewusster Materialbeschränkung sind die auf festem Grund errichteten Bauteile in Beton ausgeführt, die überkragenden Stege sowie die Geländer jedoch aus Metall. Bisweilen durchstößt der nackte Fels den Beton – eine bewusst unebene, natürliche Standfläche.

Von der Toilette aus auf das Wasser gucken

Ein Sanitärhäuschen am neuen Parkplatz ist gleichfalls in kargem Sichtbeton gehalten. Man könnte darüber spotten, dass ausgerechnet Toilettenanlagen die häufigsten und jedenfalls unabdingbaren Gebäude darstellen, die an den Aussichtsstellen zu errichten sind. Aber gerade das trägt zum Wert der Projekte bei, dass sie sich auch dieser Aufgabe mit Fantasie annehmen. So hat Architekt Nils Mannsaker am Doppelwasserfall des Skjervsfossen ein mit großflächigen Schieferschindeln gedecktes Häuschen mit steilem Pultdach errichtet, das wie eine Fortsetzung des dahinter aufragenden Felsmassivs wirkt. Zwischen Häuschen und Fels fließt der Bach, der sich wenige Dutzend Meter flussabwärts in einen gischtsprühenden Wasserfall verwandelt; in den Toilettenräumen aber gibt es großflächige Fenster, um auf das fließende Wasser zu schauen. Ein Gag? Das auch. Aber zuallererst der Hinweis darauf, doch beinahe in freier Natur zu sein.

Eine andere Materialität wählten Haga & Grov AS Sivilarkitekter beim Wasserfall Svandalsfossen, der direkt neben einer Landstraße niedergeht. Ihre Installation war 2006 eine der ersten im Rahmen des Gesamtprogramms. Hier sind es Treppen aus rostbraunem Stahl, die als Monolithe aus Treppenstufen und -wangen gefertigt wurden und von einer Haltebucht an der Landstraße aus nach unten zum See wie unter der Straße hindurch auf der Bergseite in einige Höhe hinaufführen, wo der gischtende Wassersturz und der vom Sonnenlicht gebildete Regenbogen bewundert werden können.

Minimalismus und Materialbewusstsein

Keinen spektakulären Wasserfall, sondern die ruhige Landschaft des Sandsfjords gilt es in Ostasteidn zu betrachten. Eivind Stornes Gjertsen vom Büro KAP hat sich für die kürzlich fertiggestellte Gestaltung des Rastplatzes mit seinen Ruhe- und Aussichtsbänken und – selbstverständlich! – dem Sanitärbau von Gemälden des in Norwegen zum nationalen Erbe zählenden 19.-Jahrhundert-Künstlers Lars Hertervig anregen und von einer interessierten Firma Fassadenplatten sowie Gitterroste aus recycelter Glasfaser produzieren lassen. Damit wurden die Wege belegt, die so dem aus heimischen Pflanzensamen komponierten Bewuchs mit starkfarbigen Wiesenblumen möglichst freien Raum lassen – wie auf einem Gemälde des verehrten Meisters.

Mit dem Thema Sicherheit, mit dem man notfalls jede Landschaftsarchitektur plattmachen kann, gehen die Architekten des norwegischen Programms sehr bewusst um: Sie machen sich und den Besuchern bewusst, dass die Natur keine Rundumsicherheit bietet. „Die Besucher müssen selbst für sich verantwortlich sein“, erklärt Architekt Hølmebakk beim Rundgang: „Sie sollen Respekt für die norwegische Natur entwickeln und die natürlichen Gefahren berücksichtigen.“ Eigenverantwortlichkeit – einschließlich der Entsorgung von Abfällen und sonstigen Hinterlassenschaften. Und Respekt für eine atemberaubende Landschaft.

Dass der Grundtenor der norwegischen Büros mit ihrer Mischung aus Minimalismus und Materialbewusstsein nicht von ungefähr kommt, wird deutlich beim nahezu vollständigen Ensemble der Zinkgruben von Allmannajuvet. Bereits im Jahr 2002 wurde der Schweizer Architekt Peter Zumthor beauftragt, eine Erinnerungsstätte für den kurzlebigen, mühsamen Bergbau des späten 19. Jahrhunderts zu schaffen. Zumthor konzipierte über Jahre hinweg eine Abfolge von zunächst drei Gebäuden, dem Sanitärhaus am abschüssigen, aufgemauerten Rand des Parkplatzes, dann einem Café auf Stelzen und schließlich dem ebenfalls aufgestelzten Dokumentationszentrum.

Ein Entwurf von sakraler Feierlichkeit

Dieses Gebäude, das im Inneren lediglich einen schmalen Gang zwischen Vitrinen mit Fundstücken des Bergbaus und der Bergleute bietet, ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Es sitzt auf einem Gerüst aus bis zu 25 Meter langen, untereinander verstrebten Kanthölzern auf, die geradewegs aus dem stark abschüssigen Felsenuntergrund herauszuwachsen scheinen. Es hat mehrere kurze Sommer gebraucht, bis die Streben im Fels verankert waren. Alle Bauten sind mit einem sackartigen Gewebe überzogen und in mattem, Licht schluckendem Schwarz gestrichen. Wie fremdartige Wesen staken diese Gebäude in der Landschaft. Dahinter beginnt ein Saumpfad. Er führt über Hunderte Meter zum Eingang des feuchtkalten Stollens, der noch Reste der Grubengleise birgt.

Es ist ein erratischer Entwurf, den Zumthor da ersonnen hat, fremd und ernst und von geradezu sakraler Feierlichkeit. Das führt vom konkreten Anlass des hier nun doch überschaubaren Bergbaus weg zum größeren Thema des Menschen in der Natur. Was Zumthor darstellt, ist dessen Schutzlosigkeit, was er zum Ausdruck bringt, ist seine Schutzbedürftigkeit.

Ins Positive gewendet steckt darin das pädagogische Moment des ganzen norwegischen Landstraßenprogramms: das der unaufdringlichen, durch die architektonischen Eingriffe begleiteten Hinführung zum Respekt vor der Natur, wie schön oder erhaben sie sich dem Betrachter jeweils darbietet.

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