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© dpa

Ariane Mnouchkine: Die Sonnenkönigin

Weltreisende durch alle Zeiten: Der Theater- und Filmregisseurin Ariane Mnouchkine zum 70. Geburtstag.

Vorsicht mit Superlativen! Aber: Ariane Mnouchkine, die an diesem Dienstag 70 wird, ist einzigartig. In jeder Hinsicht. Haben wir doch eine Kanzlerin, und auch sonst Präsidentinnen, Außenministerinnen, Magnatinnen, weibliche Häuptlinge in Hülle. Zumindest das. Nur die Großmacht der Regisseure liegt fast überall noch in Männerhand. Mit ein paar Ausnahmen wie Jane Campion im Film oder Andrea Breth im Theater. Aber die absoluten Alphatiere? Das sind die Spielbergs und Zadeks, die Eastwoods, Scorseses, Godards und die Brooksteinwilsoncastorfpeymänner. Im Regieberuf hat es nur eine Frau wirklich in den Olymp geschafft. Und diese Göttin = Diva ist eine Königin - und als Französin tatsächlich: die Sonnenkönigin des Welttheaters.

Keine freie, vergleichsweise wenig subventionierte Truppe hat über mehr als drei Jahrzehnte hinweg so häufig triumphiert und ist zur magischen Marke geworden wie das von Ariane Mnouchkine gegründete, von ihr bis heute geleitete Théâtre du Soleil. Dieses Sonnentheater arbeitet und spielt noch immer in der legendären Cartoucherie, in den alten Backsteinhallen einer ehemaligen Munitionsfabrik am östlichen Rand von Paris.

Im Zauberwald von Vincennes. Dorthin sind viele Hunderttausend gepilgert, um in den oft zirzensisch raumfüllenden, oft vier- bis sechsstündigen Spektakeln des Sonnentheaters strahlend durch die Nächte und Welten zu reisen.

Die Abende mit dem Soleil, in Paris oder bei Gastspielen in ganz Europa und Übersee, viele Male auch in Berlin, sie waren jedes Mal geistige, sinnliche Entführungen aus dem Gewohnten, also wahrhaftig: Weltwunderreisen. Durch Zeiten und Räume. Ariane Mnouchkine hat im neapolitanisch-spanischen Historienzauberstück "L'Age d'Or", im "Goldenen Zeitalter", die Masken- und Gaukelspiele der Commedia dell'Arte neu erfunden. Sie hat die Französische Revolution in ein grandioses modernes Volkstheater übersetzt (und mit "1789" daraus auch den besten Theaterfilm der Kinogeschichte geschaffen). Oder ihr gelang es, im anverwandelten Stil des indischen und japanischen Spiels Shakespeares Königsdramen gleichsam zu globalisieren und Europas und Asiens Künste zu einen (was sich Brecht schon erträumte).

Ariane Mnouchkine hat, mit ihrer Lebensgefährtin und Co-Autorin Hélène Cixous das Drama des Landes Kambodscha als Exempel der Kolonialgeschichte inszeniert; und sie verdichtete den Ursprung des europäischen Dramas im Übergang vom Mythos, Ritual und Tanz zum säkularen, politischen Theater in ihrer Tetralogie der "Atriden". Oder das: Immer wieder umgetrieben hat sie als Theater- und auch Filmregisseurin das Leben und Werk Molières. Ihre Inszenierung des "Tartuffe" aber war 1995 eine hellsichtige Sensation. Denn der Titelheld, Molières religiöser Schleimer und Betrüger, erschien nicht in der üblichen mitteleuropäischen Biedermannmaske. Sondern als Anführer einer in schwarze Tücher und Turbane gehüllten fundamentalistischen Sekte, ein Guru und Mullah, der bei seinen Erpressungen weniger mit der Kirche oder der Polizei des Sonnenkönigs Ludwig XIV. drohte als mit einer geheimnisvollen Fatwa. Und das, ohne Molières Text zu verändern - einmal mehr ein Beispiel von Mnouchkines ingeniöser, poetischer Schauspielkunst.

Nach 2001 hat sich Ariane Mnouchkine, die immer schon vom Kampf und der Vereinigung der Kulturen erzählt, vor allem den neuesten Odysseen zugewandt: den oft tödlichen Weltreisen der globalen Flüchtlingsströme, etwa mit der auch in Deutschland gezeigten Fabel der "Letzten Karawanserei". Sie selbst kommt aus einer multinationalen Familie, ihr Vater ein im Zuge der Revolution nach Frankreich geflohener russischer Filmproduzent, die Mutter eine englische Schauspielertochter. Und Ariane, deren großer Wuschelkopf nun längst graue Locken trägt, ist ein Kind und zugleich eine Mutter der 68er Generation. Sie hatte, von der Pop-Revolte und der Anti-Vietnamkriegsbewegung animiert, das Soleil bereits 1964 als Studententheater gegründet.

Ihre erste Inszenierung im Théâtre du Soleil waren vor 45 Jahren Gorkis "Kleinbürger" - ein merkwürdiger Zufall. Denn mit Gorki hatte in Berlin vor einem Jahrhundert auch das Regietheater Max Reinhardts angefangen, mit Gorki startete Giorgio Strehler 1947 sein Mailänder Piccolo Teatro und Peter Stein 1970 seine Berliner Schaubühne. Doch das vorrevolutionäre Russland, dessen Kleinbürger und abgetakelte Landadlige waren bald nicht mehr Mnouchkines Gesellschaft. Ihr Theater sprengte alle Konversationsstücke, es drängte zum emphatischen, von Sprache, Musik und furiosen Choreographien befeuerten Gesamtkunstwerk.

Die große Zeit des Soleil begann so mit "1789" Anfang der siebziger Jahre. Seitdem wird die Spielhalle des Soleil innen jedes Mal neu entworfen. Nur eines blieb: Die Schauspieler sitzen vor Beginn in ihren offenen Boxen, und die Zuschauer erwandern das Areal und sehen den Akteuren schon beim Schminken zu. In den Pausen kochen und servieren die Spieler auch, und das Publikum wird von Ariane Mnouchkine als Kartenabreißerin oft schon persönlich am Eingang begrüßt: als sollte es hier keinerlei Grenze mehr geben zwischen Kunst und Leben.

Das täuscht ein bisschen darüber hinweg, dass die Jubilarin als geliebte, aber auch strenge Mutter der Compagnie gilt. Schauspieler berichten, sie sei eine sehr autoritäre Königin, bisweilen eine Tyrannin. Aber wenn das Ergebnis glückt, ist das für alle nachthellen Sonnenstunden vergessen. Dann kann man sie nur feiern.

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