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Kultur: Arkadien für Angestellte

Haben sich die deutschen Architekten in eine Sinnkrise manövriert? Es scheint, dass die Innovationen rar werden.

Haben sich die deutschen Architekten in eine Sinnkrise manövriert? Es scheint, dass die Innovationen rar werden. Sprachlos sehen die Architekten in ihrer standesgemäßen Trauerkleidung zu, wie ihr Vorsprung vor der Nicht-Architektur der Investoren und Bauträger schrumpft. Findigen Kollegen wie Rem Koolhaas, Frank Gehry und Daniel Libeskind fallen Monopolstellungen nur so in den Schoß - durch spektakuläre Abweichung vom Einerlei. Die Pisa-Studie in Sachen Architektur wird spätestens dann fällig, wenn Einkaufszentren aussehen wie Jüdische Museen.

Hoffnungsträger der deutschen Architektur wie Uwe Kiessler und Thomas Herzog versauern in Raumkommissionen des Hochschulbetriebs oder versäumen mit kleinkarierter Selbstdarstellung den Anschluss an die internationale Aufmerksamkeit. Vertrocknete Ideen aus dem Poesie-Album der klassischen Moderne der zwanziger Jahre mit abgestandener Schweizer Kargheit oder oft erprobte Norman-Foster-Sequenzen zu verschneiden, heißt, kleinlaut Vergangenheit zusammenzufassen.

Dem Mann auf der Straße fällt auf die Frage nach dem prominenten Architekten in erster Linie der verstorbene Maler Friedensreich Hundertwasser ein. Kein Grund zu verzweifeln - aber der Blick auf die populistischen Theaterkulissen aus zerschlagenen Standardfliesen und goldenen Zwiebeltürmen macht auf Defizite aufmerksam. Die emotionale Komponente der Architektur gilt der Profession als unanständig. Themen aus der Kategorie Freizeit, Einkauf und Design werden darum erst gar nicht als architektonische Arbeitsfelder anerkannt. Ausnahmen wie die Autostadt Wolfsburg und vor allem die VW-Manufaktur Dresden bestätigen nur die Regel - verzauben sie doch nicht mit Architektur, sondern eher mit Glas. Der schale Rest heißt "CentrO Oberhausen" oder "Space Park Bremen".

Weil für glanzvolle Orte von Kultur und Kommerz mittlerweile das Geld ausgegangen ist, fällt die Rekultivierung der Stadt überraschend an die Allerweltsaufgabe Büro. Hier allerdings zeigt sich ein architektonischer Hoffnungsschimmer. Der Name, der am Horizont aufleuchtet, ist zwar auch kein deutscher. Aber der Wahlhamburger Hadi Teherani ist in Deutschland aufgewachsen, hat in Braunschweig studiert und eröffnete vor zwölf Jahren sein erstes Büro in Köln. Anders als Libeskind verweigert sich der Mittvierziger nicht der deutschen Sprache, spielt nicht fortwährend mit dem Gedanken, das Land zu verlassen, fühlt sich nicht als Verfolgter, wenn anders denkende Kollegen Neid ausstreuen. Ausgangspunkt der Entwürfe von BRT (Bothe Richter Teherani) ist ein status quo, den es zu verbessern gilt: mit allen Beteiligten, also auch mit Bauherrn und Investor, vor allem aber mit unkonventionellen Ideen.

Teheranis neue Denkfabriken in Hamburg und München verlassen mit Nachdruck den Schematismus des Kasernen-, Korridor- und Kantinen-Rituals. Sie bieten dem "Wissens-Arbeiter" - der so heißt, weil seine Kenntnisse nicht ohne ihn zu haben sind - einen grandiosen Raum, der motiviert und an die Firma bindet. Die Architektur des Bürohauses, die Arbeitsbedingungen im Mikroklima der Gebäudehülle wie im Makroklima von Stadt und Umgebung, werden zu entscheidenden Magneten. Sie verhindern, dass flüchtige Büronomaden mit einem Wissen abwandern, das mit Leitz-Ordnern ebensowenig zu halten ist wie mit Essensmarken.

Für die knapp 600 Angestellten im neuen Raumgeflecht des weltweit operierenden Rückversicherers "Swiss Re" in München-Unterföhring gehören zum Luxus der Büroarbeit eine rund um das Gebäude schwebende Jogging-Strecke von 600 Metern Länge, Fitnessräume im Gebäude, das Tafeln an gedeckten Tischen mit Bedienung, dazu der Blick auf die hintersinnige Gartenkunst der Amerikanerin Martha Schwartz. Gearbeitet wird wie in Luftschiffen mit 25 Mann Besatzung, die nur mittelbar mit der Bodenstation in Verbindung stehen. Das luftige Neben- und Übereinander von Innenraum und Außenraum, dessen aufgestelzte Obergeschosse demnächst eine umlaufende Hecke abschirmen wird, erinnert an unrealisierte Raumstadt-Ideen von Yona Friedman oder Constant Nieuwenhuys. Das urbanistische Prinzip der Architektur, die fortschreibbare dichte Verzahnung von Außen- und Innenraum in einem für die moderne Nomadengesellschaft symbolischen Spiel von Treppen, Stegen und Gängen, zeigt sich als Branding für einen Konzern ebenso labyrinthisch wie systematisch. Dennoch eröffnet das architektonische Konzept des endlosen Raumes eine Perspektive, die sich nicht darin erschöpft, nach Berliner Muster Geschichte rückwärts zu erzählen oder Investoren mit ästhetischen Kategorien zu deckeln.

In Hamburg, das mit seinen spektakulärsten Projekten nicht zuletzt dank kleiner wie großer Eingriffe von BRT auf gutem Wege ist, Berlin architektonisch den Rang abzulaufen, entstand parallel zur "Swiss Re" in Gestalt einer Luftschiffhalle mit Glashaut und beidseitig eingeschnittenen Höfen ein fast noch ungewöhnlicherer Bürobau. Ein Büroviertel im Gewerbegebiet zwischen Autobahnzubringer und Innenstadtrand an der lauten vierspurigen Ausfallstraße Heidenkampsweg. Die Nachbarschaft hat man vor Augen, ohne sie gesehen zu haben. Anspruchsvolle Ausnahmen sind in Hammerbrook an einer Hand abzuzählen, etwa ein historischer Ziegelbau aus dem Jahr 1928: das Geschäftshaus Leder-Schüler, eines der Hauptwerke Fritz Högers. Geradezu brisant ist aber die Geistesverwandtschaft zwischen dem hochaktuellen Bürohaus "Berliner Bogen" von BRT, dessen Grundstück über der Wasserfläche eines Kanalarms erst einmal erfunden werden musste, und dem weithin einzigen historischen Zeitzeugen. Beide erschöpfen sich nicht in der Zusammenfassung bereits vorliegender Mitteilungen, beide suchen nicht nach schmückenden Ausreden, sondern leben von ihrer konstruktiven Struktur: im einen Fall eine differenzierte Klinker-Lisenengliederung, im anderen der stählerne Parabelsprung über das Wasser. An dem glasgedeckten Bogen hängen acht weitgehend stützenfreie Geschosse. In diesem gläsernen, mit haushohen Atrien durchsetzten Bürohaus von 140 Metern Länge gleicht schon in Raumzuschnitt und Orientierung kaum ein Arbeitsplatz dem anderen. Dazu kommt, dass hier ökologisches Bauen nicht mathematisch verrätselt bleibt, sondern in der unmittelbaren Verschränkung von Außenraum, begrünter Zwischenzone und Innenraum den Menschen einbezieht.

Zivilgesellschaftliches Engagement lebt auch von dem Bewusstsein des Ausgeliefertseins, der Integration in die Umgebung, der Urbanität von Orten der Gemeinschaft. Insofern verleiten historisierende Idyllen schon von innen zu falschen Ansichten. Architektur hat dann ein Publikum, wenn es Architekten gelingt, mit Raum- und Stadtqualität zu faszinieren. Dazu sind nicht unbedingt dekonstruktivistische Kunststücke notwendig, es genügt ein Weiterdenken der guten alten Moderne, allerdings mit ungewissem Ausgang. Auf diesem Weg bleibt auch in unserer "modernen darwinistischen Arbeitswelt" - wie Ulrich Beck sie nennt - eine architektonische Neudefinition menschenwürdiger Arbeit möglich.

Klaus-Dieter Weiss

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