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Kultur: Arktisches Licht

Zum Jubiläumsjahr hat Anne-Sophie Mutter ein zweites Mal Mozarts Violinkonzerte aufgenommen

Noch ist es nur ein Wellengekräusel, doch unter der Wasseroberfläche hat sich unaufhaltsam das Mozart-Jahr herangeschoben, wie ein gigantischer Eisberg, ein Jubiläums-Koloss zum 250. Geburtstag des ewigen Amadeus. Auf der Spitze steht, in arktisches Licht getaucht, Anne-Sophie Mutter. Eine perfekte Silhouette wie aus Disneys „Arielle“, mit Beinen, die selbst Nadja Auermann neidisch manchen könnten, gehüllt in eine schulterfreie Spitzenrobe, die tatsächlich in einer Art Fischschweif auszulaufen scheint. Umrankt wird die violinbewehrte Nixe von algenartigen Ornamenten, die aussehen, als habe sie ein Jugendstil-Künstler im Absinth-Vollrausch geschaffen. Dabei geht es hier doch um einen weit ab von jedem Strand geborenen Komponisten, um seine Violinkonzerte genauer gesagt, die nun als erste Lieferung eines groß angelegten Mutter-Mozart-Projekts vorliegen (die Trios folgen Mitte Januar).

Was für ein Kontrast zwischen diesem Cover und jener ersten Schallplatte des 14-jährigen Wunderkinds von 1978: Ein pausbäckiges Mädchen ist da an der Seite Herbert von Karajans zu sehen, das sein Glück kaum fassen kann, mit dem Maestro assoluto Mozarts Violinkonzerte Nr. 3 und 5 aufnehmen zu dürfen. Eine Verwunderung freilich, die schnell einem stahlharten Selbstbewusstsein weichen sollte: Heute, mit 41 Jahren, ist Anne-Sophie Mutter die teuerste Solistin der Welt. So teuer, dass die Berliner Philharmoniker auf die Zusammenarbeit mit dem Star verzichten.

Nötig hat sie die sinfonischen Begleiter ihrer Kindertage schon lange nicht mehr – ebenso wenig wie einen Dirigenten. Den bringt sie entweder selber mit – nämlich ihren Ehemann André Previn – oder stellt sich gar in Doppelfunktion aufs Podium: Seit 2001 hat Mutter die Mozart-Konzerte diverse Male mit sich selber als Kapellmeisterin aufgeführt. Und so hält sie es auch auf der Neueinspielung für die Deutsche Grammophon, diesmal an der Spitze des London Philharmonic Orchestra. Das britische Orchester wird allerdings auf der Vorderseite der CD-Hülle noch nicht einmal genannt.

Was bringt einen dazu, nach 27 Jahren Mozarts Violinkonzerte erneut einzuspielen? Eine Geschmackskrise: „Es gibt ein paar wundervolle, frühe Aufnahmen von Isaac Stern und Arthur Grumiaux – aber danach habe ich eigentlich keine Streicher mehr gehört, die Mozart so spielen, wie ich es mir vorstelle“, erklärt Anne-Sophie Mutter. Stern wurde 1920 geboren, Grumiaux 1921, beide sind längst verstorben. Heute wird Mozart dagegen, so Mutter, „von der jüngeren Generation nicht besonders ernst genommen. Man betrachtet seine Musik abwertend als ziemlich einfach – die Leute wollen mehr Bravour.“ Aber zum Glück weiß ja eine, wie man’s richtig macht – und das seit drei Jahrzehnten.

Der Hörvergleich zwischen den Aufnahmen von 1978 und 2005 beginnt mit einer angenehmen Überraschung: Im Gegensatz zu manch anderer Interpretation des einst unumschränkten Plattenmarktbeherrschers klingt Karajans Mozart keineswegs démodé . Die Philharmoniker treten in angenehm kleiner Besetzung an, die Stimmführung ist durchweg klar und natürlich, ja selbst in KV 216 sucht der Dirigent nicht nach Rokoko-Süße, sondern betont sogar jene Momente, in denen sich schon die dramatisch aufgeheizte Atmosphäre des „Don Giovanni“ ankündigt. Und auch das Spiel der 14-jährigen Solistin wirkt heute noch unnachahmlich jugendfrisch. Jede gewagte Wendung, jede Dissonanz scheint sie gerade erst zu entdecken, staunend über die Vielfalt der Musik.

Wohin sollte diese Frühvollendete gehen, die als Teenager schon technisch alles beherrschte, der sich inhaltlich fast alles erschloss? Um nicht vor der Zeit zur Zynikerin zu werden, flüchtete sich Anne-Sophie Mutter ins Manierierte, gestaltete alles mit überkünstelter Perfektion, als sei jeder Ton ein geschliffener Diamant. Das macht viele ihrer Einspielungen so schwer erträglich.

Dagegen wirken die Violinkonzerte des Jahres 2005 zunächst entspannt, dokumentieren Selbstverständlichkeit im Umgang mit den Werken. Mag Anne-Sophie Mutter eine vehemente Gegnerin der historischen Aufführungspraxis sein – „Ich kann nicht so tun, als könnten wir die Zeit zurückdrehen und wieder so hören wie die Menschen vor 250 Jahren“ –, dem London Philharmonic Orchestra merkt man die Beschäftigung mit der Alte-Musik-Bewegung deutlich an. Und auch ihr unterlaufen unfreiwillig barocke Rückbezüge, wenn in der Mittelsatz-Kadenz des 3. Violinkonzerts Bach-Assoziationen aufkommen.

Geht die junge Interpretin den Eröffnungssatz des 5. Violinkonzerts ausgeglichen und temperiert an, betont die reife Anne-Sophie Mutter die Kontraste nun scharf, zeichnet die langsame Einleitung mit dem Silberstift, damit sie das Thema umso heller aufstrahlen lassen kann. Und da ist dann wieder dieses arktische Licht, diese kalte Perfektion. Letztlich sieht sich auch Anne-Sophie Mutter mit jenem Problem konfrontiert, das derzeit in den Theatern die Gemüter erregt: Kann man, darf man sich im Jahr 2005 überhaupt noch naiv für die Klassiker begeistern? Darf man sie unhinterfragt akzeptieren, oder muss man nicht auch die Meisterwerke brechen, aktualisieren, um sie dem nachwachsenden Publikum überhaupt verständlich zu machen?

Vor Dekonstruktion, vor dem Eingriff in den Text scheut Anne-Sophie Mutter zurück. Aber die Textur ist durch und durch heutig, um nicht zu sagen: modisch. Distanziert, aus der Vogelperspektive betrachtet die Interpretin den Gegenstand ihrer Bemühungen. Kein kindlicher Amadeus im Brokatkostüm tritt dem Hörer da entgegen, sondern ein cooler Wolfgang im Joop-Look. Das Gefühl, von Mozarts Musik umarmt zu werden, stellt sich freilich nur bei der alten Aufnahme ein.

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