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Kultur: Arpschnarp, bitte melden!

„Von seltenen Vögeln“: Anita Albus treibt Naturkunde als Kulturgeschichte

Anita Albus hat ein Auge für verborgene Kostbarkeiten, für blaue Blumen, rare Vögel und wundersame Gelehrte. Die von Claude Lévi-Strauss hoch geschätzt Künstlerin ist eine Spaziergängerin zwischen den Jahrhunderten, die in der Malerei, der Naturkunde und der Literatur gleichermaßen zu Hause ist; federleicht bewegt sie sich zwischen den drei Feldern hin und her. Albus ist selbst einer dieser wissbegierigen Paradiesvögel, dieser „Gelehrten, Sammler und Nomaden“ wie Joris Hoefnagel oder Maria Sibylla Merian, die sie in ihrem Buch „Paradies und Paradox“ porträtiert. Die Grafikerin, Buchillustratorin und Malerin kostbarer Miniaturen, die einem Bild Jan Vermeers entstiegen zu sein scheint, hat eine Vorliebe für das Feine, Leise, Lichte, das schnell durch die Netze grober Wahrnehmungsmuster hindurchrutscht. Und sie ist eine Kritikerin unserer modernen Zivilisation. Gegen die Verluste, die mit der Moderne einhergehen, schreibt Anita Albus an. Auch mit „Von seltenen Vögeln“, ihrem jüngsten Buch .

„Von einhundertachtundzwanzig Vogelarten ist bekannt, dass sie weltweit seit 1500 ausgestorben sind, einhundertdrei davon seit 1800.“ Dass mit jeder ausgestorbenen Vogelart nicht nur die Natur ärmer wird, sondern dies auch einen Kulturverlust bedeutet, das führt Anita Albus anschaulich vor. In dem prunkvoll ausgestatteten Band beschreibt sie vier ausgestorbene und sechs bedrohte Vogelarten in ihrem Lebensumfeld und mit den ihnen eigenen Kunstfertigkeiten, Federkleidern, Gesängen sowie Verhaltensweisen bei Nahrungssuche, Balz, Brut und Aufzucht der Jungen: den „scheuen Wachtelkönig“, dessen Ruf „wie das Geräusch eines Kammes klingt, über dessen Zähne ein Hölzchen hin- und herstreicht“ und der als „Wiesenknarre“ in August Strindbergs „Blaubuch“ Eingang fand; die „schöne Schleiereule“ mit dem so menschlich anmutenden Antlitz, die „von allen Vögeln auf Erden das feinste Gehör hat“; oder den „unheimlichen Ziegenmelker“, eine von Natur aus wehrlose Nachtschwalbenart, um deren Namen sich von alters her Legenden ranken. Stirbt eine Vogelart aus, geht mit ihr eine Welt zugrunde. Ein Kosmos an kulturellen Bezügen, der seine Verankerung im Alltag verliert. So die griechische Sage von der treu liebenden Alcyone und ihrem verstorbenen Gatten Ceyx, die durch der Götter Erbarmen in Eisvögel verwandelt wurden und dem Vogel seinen lateinischen Namen Alcedo schenkten. So die Arbeit der großen Naturforscher des 16. bis 19. Jahrhunderts wie Conrad Gesner, Pierre Belon du Mans oder John James Audubon, die sich mit der „Kunst der Natur“ beschäftigten und die einzelnen Vogelarten beschrieben – und mit deren Zeichnungen und Stichen das Buch illustriert ist. So viele Wörter, die aus unserem Sprachschatz verschwinden, weil die Vögel nicht mehr da sind, auf die sie gemünzt waren – Wörter wie Arpschnarp, Schnerps oder Wiesenratscher als drei von zahllosen Synonymen für den Wachtelkönig.

Die Gründe für das Aussterben sind immer die gleichen: Beschneidung der natürlichen Lebensräume durch die moderne Landwirtschaft, Dezimierung des Artenbestands durch Fang zwecks Gewinnmaximierung – und Habgier. So wurde das weltweit letzte Riesenalkpaar 1844 an seinem Brutplatz auf einer kleinen isländischen Felseninsel erwürgt, weil das Museum von Kopenhagen unbedingt noch einen Riesenalkbalg für seine zoologische Sammlung benötigte.

Anita Albus führt mit jedem ihrer Bücher aufs Neue vor, wie wissenschaftliche Genauigkeit und sinnliches Wissen, Naturkunde, Kulturgeschichte und Malerei auch heute noch wunderbar in eins gehen können. Mitunter, wenn sie ihren Worten einen allzu literarischen Anstrich zu geben versucht, geraten Passagen zur Spitzenklöppelei. Doch darüber lässt sich leicht hinweglesen. Denn was die kleinen Biedermeierlichkeiten aufwiegt, ist der funkelnde Wissensschatz ihrer Bücher, die Schönheit ihrer nach alter Weise gemalten Miniaturbilder und die Unbeirrtheit, mit der Anita Albus einfach ihres Weges geht.

Anita Albus: Von seltenen Vögeln. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2005, 300 Seiten, 48 €. – Die Autorin stellt ihr Buch heute um 20 Uhr in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz vor.

Katharina Narbutovic

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