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Kultur: Arsen und Spitzentäubchen

Das Opernfestival im englischen Glyndebourne verwandelt Händels „Giulio Cesare“ in ein Musical

Spätestens wenn sie den Regenschirm mit einem flotten Schlag als Golfschläger benutzt, hat sie das Publikum gewonnen. Da war Danielle de Niese schon – „Singin’ in the Rain“ und „Cabaret“ vereinend – durch einige Rollen getanzt, mal Liza Minnelli imitierend, mal Elizabeth Taylor, und am Ende auch Audrey Hepburn, verletzlich, kindlich, zart. Die 25jährige australische Sopranistin ist der unbestrittene Star des Abends, in Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare“ in Glyndebourne: Halb Kind, halb Kokotte, verführt sie als Cleopatra nicht nur ihren Imperator, sondern mindestens so erfolgreich die Zuschauer, die angesichts von so viel Charme über einige scharfe Töne und wenig lockere Koloraturen gnädig geneigt hinweghören.

Kleine krittelnde Schäfchenwölkchen nur, am ansonsten strahlend blauen Opern-Himmel. Hier in East Sussex, wo sich England am lieblichsten präsentiert, ist gut Wetter angesagt in diesem Sommer, musikalisch wie atmosphärisch. Und Perfektion das Gebot der Stunde. Wo traditionell schon Stunden vor der Vorstellung die Picknicktische, Damastdecken und Kristallgläser ausgebreitet werden, die Lachspastete und der Erdbeerkorb bereitet, der Champagner kalt gestellt und die Smokingjacke leger über den Stuhl gehängt wird, steht die Neuproduktion der hochnoblen Sommerfestspiele auch musikalisch unter einem glücklichen Stern. Nicht nur, dass Altmeister William Christie sein Orchestra of the Age of Enlightenment wie auch das Treiben auf der Bühne fest und sicher in der Hand hat, mit flotten Tempi und – ab und zu – einer atemberaubenden Generalpause: Auch die jugendliche Sängerschar ist von ganz ungewohnter Leichtigkeit, Sicherheit und Eleganz. Erdbeeren und Champagner eben.

Hinzu kommt ein recht lockerer Umgang mit dem Stoff, Händels wohl bekanntester, aber historisch gleichwohl recht kruder Oper von 1724. Dass das mit Caesar und Cleopatra und dem Mord an Pompeius so altägyptisch ernst nicht gemeint ist, zeigt die Regie von David McVicar gleich im ersten Bild: Ägypten, das ist in Glyndebourne ein bisschen Orientalismus, indischer Schleiertanz, 1001 Nacht, britischer Kolonialstil mit Uniform und Tropenhelm, türkischer Marsch und Entführung aus dem Serail. Im Hintergrund blaut immer blauer das Plastikmeer, und auf der allerliebsten Guckkastenbühne kehren Bediente die Scherben zusammen und servieren vergifteten Tee.

Da mag es schon mal Rosenblätter regnen, Caesar mit Ptolemäus paradieren, und der Geist des Pompeius schwebt als Maske über der Bühne. Am Ende erscheint eine U-Boot-Flotte samt HMS Mary I und Zeppelin am Horizont. Doch von Klamauk ist dieser elegante Spaß so himmelweit entfernt wie Glyndebournes Upper-Class-Opernwelt vom benachbarten, proletarischen Brighton. Und schnell geht es auch ernst zur Sache: Cornelia, die Witwe des ermordeten Pompeius ist die tragische Figur des Stücks. Und Patricia Bardon eine Sängerin, die alle Leichtgewichte mit einem Seufzer von der Bühne fegt. Ihre erste Arie schon, „Priva son d’ogni conforto“, schlägt andere Töne an. Hier ist eine große Tragödin am Werk, und wenn sie sich mit ihrem Sohn Sesto am Ende des ersten Aktes zum großen Abschiedsduett vereint, bleibt wohl kein Auge trocken.

Sesto ist der zweite Star des Abends. Cornelias blut- und rachedürstiger Sohn, dem es eigentlich nur ums Töten geht, wird in Angelika Kirchschlagers Interpretation der Arie „Svegliatevi nel core“ zum Mann: geschmeidig, verführerisch, leidenschaftlich. Und einmal auch darf William Christie im Orchestergraben sich beruhigt zurücklehnen: Die österreichische Mezzosopranistin singt so souverän, dass Sesto unversehens minutenlang zur Hauptfigur wird.

Nach der großen Picknick-Pause, die in Glyndebourne standesgemäß eineinhalb Stunden dauert, herrscht dann wieder eitel Sonnenschein, und alles strebt dem Happy End entgegen. Die Bösewichte werden ermordet und erstehen glücklich wieder auf, die Armeen marschieren als Marionetten aus dem Bild, und auch aus der leichtfertigen Cleopatra wird doch noch eine richtige Liebende, die zum Schlusstableau im prächtigen Reifrock erscheint und ihrem Caesar einen echten Kuss gewährt. Da ist dann längst vergessen, dass man – ein Missgeschick bei der Badeszene – sekundenlang mehr gesehen hat, als man hätte sehen sollen. Ein echter Gentleman schaut über so etwas hinweg. And Caesar is a honorable man.

Wieder am 28. und 31. Juli sowie 2., 5., 7., 11., 14., 17. und 20. August, Informationen unter www.glyndebourne.com

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