zum Hauptinhalt
Eröffnung der International Art Fair of Bogota (ArtBo) am 26. Oktober  2016

© dpa/ EPA/LEONARDO MUNOZ

Artbo Kunstmesse in Bogota: Eine andere Moderne

Zeigen, was nicht vergessen werden darf: ein Besuch auf der Kunstmesse Artbo in Bogota, die inzwischen 35.000 Besucher verzeichnet und mit einem besonderen Rahmenprogramm glänzt.

Ein kleines Mädchen sitzt an der menschenleeren Straße. Konzentriert zieht es eine Puppe aus und wieder an - bis ein großer, grauer Hund schwanzwedelnd von rechts kommt und die beiden im Holztor eines Hauses verschwinden, das sich am Straßenrand erhebt.

Der chilenische Künstler Gianfranco Foschino, Jahrgang 1983, hat sein Video „Barbie“ (9000 Euro) als Zufallsprodukt gedreht. Nichts davon ist inszeniert, und dennoch fühlt man sich vor dem tableau vivant am Stand der Galerie Michael Sturm wie in einer Blase. Was daran liegen mag, dass die Eindrücke außerhalb der Artbo, Bogotas Messe für zeitgenössische Kunst, so ziemlich das Gegenteil liefern. In den Hauptstraßen herrscht ununterbrochen Stau und wildes Hupen. Wo es stiller wird, würde einen der Fahrer niemals aus dem Auto lassen: Die sozialen Unterschiede in der Zehn-Millionen-Metropole sind ebenso krass wie gewöhnungsbedürftig.

Die Messe unterscheidet sich in einigem von ihren europäischen Pendants. Schwer bewaffnete Polizisten sieht man dort selten im Publikum. Ebenso wie die Trauben von uniformierten Schülern und Schülerinnen, die kichernd in den Kojen stehen, um sich die aktuelle Kunst erklären zu lassen. Im Nationalmuseum der Stadt gibt es wenig davon, die kolumbianische Galerieszene ist überschaubar, und Bogotas Sammler zeigen - aus Gründen der Sicherheit - bislang wenig Interesse an privaten Museen für die Öffentlichkeit. Als Artbo vor zwölf Jahren gegründet wurde, war dies auch eine politische Entscheidung: Kunst sichtbar machen, das ist ihr Auftrag und das Privileg jener Messe, die kontinuierlichen Zuwachs verzeichnet. Bei den inzwischen 35 000 Besuchern jährlich, den Galerien und einem bemerkenswerten Rahmenprogramm.

74 Teilnehmer aus 28 Städten

Dazu gehören Förderkojen und eine enorme Ausstellungsfläche für aufstrebende kolumbianische Künstler. Vor allem aber sticht die Sonderausstellung „Referentes“ ins Auge. Eine museale Präsentation von Positionen aus den sechziger und siebziger Jahren, deren Einfluss auf die gegenwärtige Kunst unmittelbar einleuchtet. Auch wenn Namen wie Ivens Machado oder Jonier Marin in erster Linie Experten vertraut sind. Verantwortlich für die Schau ist Pablo Leon de la Barra, Kurator für lateinamerikanische Kunst am Solomon R. Guggenheim Museum in New York. Seit Maria Paz Gaviria die Artbo 2012 als Direktorin übernommen hat, setzt die Messe noch einmal mehr auf internationale Vernetzung.

74 Teilnehmer aus 28 internationalen Städten, das mag angesichts der aufwendigen Veranstaltung vergleichsweise bescheiden klingen. Doch erstens macht Gaviria glaubhaft klar, dass sie in Bogota eben nicht an den üblichen Verdächtigen interessiert ist - an jenen Großgalerien also, die Glamour auf jede Messe bringen, aber sogleich auch die Atmosphäre dominieren. Und zweitens braucht es bloß einen Gang durch die weitläufigen Hallen, um festzustellen, wie wohltuend anders die Artbo ist.

Galerie Leon Tovar breitet Schätze aus

Es beginnt schon mit der politischen Grundierung. Dank Galerien wie Rolf Art aus Argentinien, die ihre Koje mit einer vierten Wand nahezu geschlossen hat und drinnen Arbeiten von Marcelo Brodsky oder Graciela Sacco zeigt: verfremdetes fotografisches Material von globalen Demonstrationen gegen Diktaturen und Kriegstreiberei. Isabel Aninat, seit drei Jahrzehnten als Galeristin in Santiago de Chile tätig, hat Fotos (je 6000 Dollar) und ein historisches Video (24 000 Dollar) von Lotty Rosefeld dabei. Die Künstlerin war 2007 auf der Documenta in Kassel vertreten. Hier intervenierte sie auf dieselbe Weise wie in Chile zu Pinochets Zeiten und machte Fahrbahnmarkierungen auf der Straße mithilfe weißer Linien zu Kreuzen.

Peter Kilchmann aus Zürich, der zusammen mit Michael Sturm (Stuttgart) und Gregor Podnar (Berlin) zu den bislang raren Galerien aus dem deutschsprachigen Raum gehört, widmet seine Koje der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles. Eine Wand füllen Plakate der Edition „Pesquisas“ (2016) mit den Porträts verschwundener und wohl ermordeter Mädchen. Auf der anderen reihen sich helle, miteinander verknotete Fäden zu einer poetischen Installation - die ihre Unschuld verliert, sobald man liest, dass sie aus den Endstücken jener Fäden gemacht ist, mit denen nach der Obduktion Leichen zusammengenäht wurden.

Kilchmann hat ebenfalls eine Arbeit von Francis Alys dabei. Ein klitzekleines Gemälde aus dem Jahr 1995 für 100 000 Dollar. Aber das hängt diskret im Kabinett und demonstriert, wie auf der Artbo mit großen, gefragten Namen umgegangen wird. Wenige Teilnehmer breiten ihre Schätze so ungeniert aus wie die Galerie Leon Tovar. Mit seiner dichten Hängung ohne jedes Namensschild leistet sich der Teilnehmer aus New York einen Auftritt wie sonst die Großen auf der Art Basel. Man muss wissen, dass Tovar seit Dekaden die Galerie für lateinamerikanische Moderne ist. Oder darauf schließen, weil sich in der zum Wohnzimmer ausstaffierten Koje Kataloge von Jesus Rafael Soto, Francisco Salazar und Jorge Riveros stapeln.

USA sind gut vertreten auf der Messe

Die USA sind überhaupt gut vertreten. Mit Galerien wie Johannes Vogt (New York) oder Steven Turner aus Los Angeles kommen auch die amerikanischen Sammler auf der Suche nach Ungesehenem und Überraschendem. Stefan Benchoam erfüllt solche Erwartungen mit dem japanischen Maler Akira Ikezoe, dessen surreale Fantasien über den Lauf der Welt ab 2200 Dollar zu haben sind. Seine Galerie Proyectos Ultraviolets (Guatemala) kann sich den Auftritt leisten, weil die Koje zum Artbo-Förderprogramm gehört: Jeder der 15 Teilnehmer zeigt eine von Star-Kurator Jens Hoffmann ausgewählte Position. Zusammen bilden sie die Schau „Proyectos“, die der jungen figurativen Malerei gewidmet ist.

Und auch außerhalb dieser Zone gibt es aufstrebende Galerien mit einem sehenswerten Programm. Arredondo Arrozarena aus Mexiko zum Beispiel ist gerade einmal zwei Jahre alt. Über Preise wie auf der Art Basel können die Galeristen bloß lachen. Die teuerste Arbeit an ihrem Stand stammt von der Künstlerin Fritzia Inzar: ein mit Sandpapier bearbeiteter Geldschein, der hinter Glas zur abstrakten Landschaft mutiert. Kostenpunkt: 8000 Dollar.

Artbo, Corferias, Bogota; bis 30. Oktober, www.artbo.co

Zur Startseite